# taz.de -- Die Folgen der Fluchthilfe: Irrsinn auf bayerisch | |
> Verhöre, nackt ausziehen und 31 Stunden in Gewahrsam: Wie die Polizei in | |
> Bayern mit arglosen Leuten umgeht, die Flüchtlinge über die Grenze | |
> fahren. | |
Bild: Wer Flüchtlinge nach Bayern mitnimmt, lebt gefährlich. | |
Eine unbekannte Nummer, die da auf dem Handydisplay erscheint. „Hallo, ich | |
bin’s, Joachim*). Können wir reden? Ich habe gerade zwei Tage in Bayern in | |
Untersuchungshaft gesessen.“ – „Was hast du????“, brülle ich ins Telef… | |
Jetzt ist auch klar, warum Joachim ein neues Handy hat. Sein altes ist | |
mitsamt der Daten jetzt Beweismaterial. Wie sein USB-Stick. Joachim ist | |
eines Verbrechens angeklagt: der Schleuserei. Strafmaß bis zu fünf Jahren. | |
Joachim ist so ziemlich jene Person, die man sich am wenigsten als | |
Verbrecher vorstellt. Joachim ist Senior Fellow an einem großen Wiener | |
Thinktank, Fachgebiet zwischen Kulturwissenschaften, Politik, Kunstfeld, | |
ansonsten geht er auch schon mal auf Partys und spielt mit viel Freude | |
Fußball. Vor ein paar Wochen etwa fuhr er spontan nach Röszke an der | |
ungarisch-serbischen Grenze, um dort mit anderen HelferInnen die | |
Flüchtlingsbetreuung in einem provisorischen Lager aufzubauen: Wasser, | |
Zelte, Essen, Medikamente – all das, was der ungarische Staat | |
vernachlässigte. | |
Am Wochenende vom 12./13. September ist Joachim auf einem Geburtstagsfest. | |
Den Montag geht er ruhig an, er liest, schaut Nachrichten. Als dann abends | |
über Facebook die Frage die Runde macht, ob jemand Refugees vom | |
Hauptbahnhof in Wien an die deutsche Grenze bringen könne, denkt sich | |
Joachim: Sinnvoller Ausklang für einen vertrödelten Tag. „Es sind fünf | |
Leute, eine Frau und vier Männer, jung, Mittzwanziger allesamt, schätze | |
ich“, schreibt Joachim in seinem Gedächtnisprotokoll. „Mit dabei auch eine | |
kleine, süße Katze … Sie wollten sie nicht zurücklassen. Ich finde das | |
schon mal super und sympathisch …“ | |
Sie besprechen, dass er sie zur deutschen Grenze bringt. Damit ersparen sie | |
sich eine zusätzliche Nacht des Wartens auf den nächsten der Sonderzüge, | |
die seit Tagen die Flüchtlinge von Wien nach Deutschland bringen. Joachim | |
würde sie wohl auch fahren, wenn er den Eindruck hätte, das sei illegal. | |
Aber in diesem Moment erscheint ihm das nicht wie eine klandestine | |
Heldentat, er tut ja eigentlich das Gleiche wie jeder Zugführer der | |
Staatsbahn. Das ist ja nicht mehr als Chauffieren. Viel unspektakulärer als | |
die Fluchthilfe, die zur selben Zeit Hunderte ÖsterreicherInnen etwa in | |
Ungarn leisten, die wissen, dass sie – zumindest dem Wortlaut des Gesetzes | |
entsprechend – eine Straftat begehen. | |
## Nicht unsympatisch, aber doch eine Straftat | |
Überall Staus, sagt der Verkehrsfunk. So wählt Joachim die Brücke bei | |
Schärding, dort war er schon einmal. „Als wir etwa 200 Meter vor der Grenze | |
sind“, erzählt er, „sehe ich einen deutschen Polizisten, der uns mit einer | |
roten Ampelleuchte zuwinkt. Ich werde langsamer, halte an … „Kennen sie | |
diese Leute?“, fragt er und zeigt auf Joachims Passagiere. „Nicht besonders | |
gut, es sind jedenfalls sehr nette Leute“, sagt Joachim. | |
Nach dem Hinweis, dass er sie von einem Wiener Bahnhof hierher gefahren | |
hätte, sagt der Polizist – Joachim erscheint er „keineswegs unsympathisch�… | |
–, dass das aber leider eine Straftat sei. Und: „Ich muss Sie daher jetzt | |
über Ihre Rechte aufklären.“ | |
Von einem Protokoll ist die Rede, dass er die österreichische Botschaft | |
anrufen könne, einen Anwalt verständigen, dass das eben lästige Formalakte | |
seien. Joachim beruhigt seine Fahrgäste, ruft ihnen zu, keine Sorge, „don’t | |
worry“. Der Polizist sagt, er dürfe nicht mehr mit denen reden. | |
Plötzlich heißt es auch, er dürfe nicht mehr telefonieren. Dann: Handy | |
abgeben. Autoschlüssel abgeben. Warten. „Nach 10 Minuten kommt ein Kleinbus | |
mit zwei jungen Polizisten. Die Vernehmung könne man nicht hier machen, | |
sagt der eine. Der andere packt mich unter dem rechten Oberarm und schubst | |
mich.“ Arme auf den Wagen, Beine breit, abtasten. „Mir werden Handschellen | |
angelegt. Ich sage: Ist das jetzt echt notwendig? Einer: „Wir wissen ja | |
nicht, mit wem wir es zu tun haben.“ Er wird, genauso wie seine Passagiere, | |
nach Passau in die Erstaufnahmestelle chauffiert. | |
## Leibesvisitation im Container | |
Joachim bekommt ein Band um das Handgelenk. Darauf die Nummer: 0387/15. | |
Rein in einen Container. Ausziehen, Leibesvisitation. „Ich sage: Wann werde | |
ich vernommen?“ Der Polizist sagt: „Die Kollegen kommen spätestens um | |
sieben Uhr morgens.“ Ich sage: „Ich möchte telefonieren.“ Er: „Das geht | |
nicht.“ | |
In einer Container-Zelle trifft Joachim zwei Leute. „Er wohnt in Innsbruck, | |
sagt der erste, ist nach Wien gefahren, arbeiten. Und heute Nacht zurück. | |
Bei einer Tankstelle haben ihn zwei Leute gefragt, ob er sie nach | |
Deutschland mitnehme. Er sei dann an der Grenze festgenommen worden. Der | |
andere sagt nur: ‚Scheiße, scheiße, scheiße.’ Ich stimme ihm zu.“ | |
Ein anderer, der schon vorher in dem Container geschlafen hatte, wird wach. | |
„Er ist Wiener, arbeitet in München. Er ist seit gestern 21 Uhr hier, | |
wütend darüber, dass die Vernehmung noch nicht stattgefunden hat und | |
überhaupt, dass er hier festgehalten werde. Er hat eine Filiale in München | |
und muss diese spätestens um 10 Uhr öffnen.“ Er und seine beiden | |
Freundinnen haben ihre Fahrgäste – nach Rücksprache mit der | |
österreichischen Polizei! – sogar 300 Meter vor der Grenze aussteigen | |
lassen. Die Freundinnen sitzen jetzt im Frauencontainer. | |
## Erinnerung an Kafka | |
Joachim wird um 11 Uhr zur Polizeidienststelle Passau gebracht. In der | |
Zelle trifft er einen Berliner und einen Mann aus Syrien, der ebenfalls | |
schon lange in Berlin lebt. Sie waren nach Bayern gereist, um einen Freund | |
unter den Flüchtlingen abzuholen. Sie haben bei der Polizei nach ihm | |
gefragt, erzählen sie. „Jetzt wurden sie eingesperrt, sie wissen nicht | |
warum.“ | |
Die ganze Situation erinnert langsam ein wenig an Kafka. Dann wird Joachim | |
zur Vernehmung geholt. Der Ermittler sagt, Joachim könne seine Aussage | |
verweigern. Die Kollegen des Ermittlers verlassen kurz den Raum. „Ich solle | |
aufpassen. Er selbst komme ja aus Hannover, sagt der Ermittler. Aber hier | |
ist Bayern. Er sei erst zwei Tage hier, ein Wahnsinn, was hier abgehe. Ich | |
solle mir überlegen, was ich zu Protokoll gebe.“ Langsam fragt sich | |
Joachim, in welchen Irrsinn er geraten ist: Ein Polizist aus Niedersachsen, | |
der ihn vor der bayerischen Polizei warnt. Joachim will das jetzt doch | |
nicht ohne Anwalt über die Bühne bringen. Zurück in eine Zelle. Hier trifft | |
er zwei Schweden, die extra nach Bayern gekommen sind, um einen Freund | |
unter den Flüchtlingen abzuholen und jetzt in einer Zelle sitzen wie vorher | |
Joachims Knastbrüder aus Berlin. | |
Ein paar Stunden später, Termin beim Haftrichter. Jetzt ist auch Joachims | |
Anwalt da, den seine Schwester mobilisiert hat, nachdem er bei der ersten | |
Vernehmung einen Anruf tätigen durfte. „Die Lage ist viel dramatischer als | |
Sie offensichtlich denken … Wissen Sie, worauf die Staatsanwaltschaft | |
plädiert: Auf zwei Jahre Haft.“ | |
## Während der Taxameter läuft | |
Vor dem Haftrichter sagt Joachim, dass er aus humanitären Gründen gehandelt | |
habe. „Der Haftrichter sagt, dass er sich in diesem Fall durchringen könne, | |
die U-Haft für eine Kaution von 5.000 Euro auszusetzen.“ Eine Ausnahme: Die | |
allermeisten Leute ohne festen Wohnsitz in Deutschland kommen in U-Haft und | |
sitzen erst mal drei Monate, der gutsituierte Akademiker aus Wien nicht. | |
In der nächsten Gefängniszelle trifft Joachim einen schwarzen Taxifahrer | |
aus Graz. Am Bahnhof ist er mit Flüchtlingen ins Gespräch gekommen, die | |
fragten, ob er sie nach München fahren könne, erzählt er. Er hat seinen | |
Arbeitgeber angerufen, ob er das tun dürfe. Dann ist er losgefahren. Der | |
Taxameter läuft wohl immer noch. Der Taxifahrer wird stets in Handschellen | |
abgeführt, bei Joachim verzichtet man darauf. | |
Nach 31 Stunden kommt Joachim auf Kaution frei. Er hat ein Strafverfahren | |
am Hals. Die ÖBB bringen weiter in Sonderzügen Flüchtlinge über die | |
deutsche Grenze, HelferInnen fahren in ihren Autos in Ungarn herum und | |
bringen Flüchtlinge nach Wien. Am Bahnhof in München helfen | |
Flüchtlingshelfer den Ankömmlingen. In den bunten Magazinen erscheinen | |
Artikel über das goldene Münchener Herz. Die Sicherheitskräfte klagen über | |
Überlastung. Man wundert sich weniger darüber, wenn man weiß, womit sie | |
ihre Zeit so verbringen. Die Zeitungen melden, in bayerischen Gefängnissen | |
säßen über 700 „Schleuser“. | |
* Name von der Redaktion geändert. | |
1 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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