| # taz.de -- Russlands Militäreinsatz in Syrien: Putins dreistes Doppelspiel | |
| > Statt des IS lässt Russlands Präsident die gemäßigten Rebellen | |
| > bombardieren. Der Westen schaut zu – und sendet damit ein fatales Signal. | |
| Bild: Syriens Botschafter für russische Angelegenheiten bei seiner Erklärung,… | |
| Der Zeitpunkt könnte dreister nicht gewählt sein. Da sitzen in New York die | |
| Außenminister der Welt beieinander und ringen zentimeterweise um | |
| Verständigung im Syrienkonflikt und was macht Wladimir Putin? Er beginnt | |
| schon mal seinen ganz eigenen Antiterrorkampf, der in Wahrheit der | |
| Überlebenskampf des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad ist. | |
| Statt wie behauptet Stellungen des IS, bombardierten russische Kampfjets | |
| syrische Rebellen und Zivilisten, etwa in Talbiseh, nördlich von Homs. Was | |
| dort passiert, wissen wir ziemlich genau, denn das örtliche Medienzentrum | |
| arbeitet seit Jahren mit deutschen Organisationen und Medien zusammen. Die | |
| Berichte der Aktivisten lassen keinen Zweifel daran, dass Putin gegen die | |
| gemäßigten Gegner des Regimes vorgeht und somit die Terrorismusdefinition | |
| Assads übernimmt: „Terrorist ist, wer gegen mich ist.“ | |
| Wird der Kreml damit durchkommen? Es sieht ganz danach aus. | |
| US-Außenminister Kerry fordert lediglich eine bessere militärische | |
| Abstimmung, um „unerwünschte Zwischenfälle“ zu verhindern. Im Klartext: | |
| Sagt doch bitte das nächste Mal früher Bescheid. Wir gehen im Osten Syriens | |
| weiter gegen den IS vor, was ihr mit Assad über Idlib, Aleppo, Homs, Hama, | |
| den Vororten von Damaskus und Daraa macht, werden wir ignorieren. Dabei | |
| sind das genau die Gebiete, die durch Flugverbotszonen geschützt werden | |
| müssten, weil dort die meisten Zivilisten sterben. | |
| Damit sendet der Westen eine fatale Botschaft an die Syrer: „Sorry, wir | |
| wissen, dass Assad für 95 Prozent der getöteten Zivilisten verantwortlich | |
| ist und jeden Tag eure Schulen, Marktplätze und Wohnhäuser bombardiert, | |
| aber das ist uns egal. Angst haben wir nur vor dem Terror des IS.“ | |
| ## In die Arme des IS | |
| So treiben wir die Syrer entweder in die Flucht oder direkt in die Arme des | |
| IS, der sich zur Schutzmacht der Sunniten aufschwingt. Zuzuschauen, wie | |
| Syriens Zivilgesellschaft und die etwa 100.000 moderaten und | |
| syrisch-islamistischen Rebellen, die seit Jahren im Zweifrontenkrieg gegen | |
| Assad und den IS aufgerieben werden, jetzt auch noch mit moderner Technik | |
| aus Russland angegriffen werden, ist unverantwortlich. Nicht nur den Syrern | |
| gegenüber, sondern weil es unseren Interessen schadet. | |
| Der IS würde dadurch gestärkt, was Assad dient, der zunächst alle anderen | |
| Gegner vernichten will, um am Ende als einzige Alternative zum IS | |
| dazustehen. Sämtliche gemäßigten Kräfte – Rebellen, Aktivisten, lokale | |
| Räte, kommunale Strukturen – wären dem Untergang preisgegeben. Der Krieg | |
| würde noch länger und brutaler wüten, eine politische Lösung wäre unmögli… | |
| (es sei denn, man möchte mit IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi verhandeln), | |
| Hunderttausende machten sich auf in Richtung Europa, und Syrien würde | |
| endgültig zum Sammelbecken des internationalen Terrorismus. | |
| Ja, es geht noch schlimmer in Syrien – nicht für die Syrer, aber für uns. | |
| Deshalb muss, wer den IS bekämpfen und dabei Luftschläge mit Russland | |
| koordinieren will, zugleich Assads Bomben stoppen. Am besten mit einer | |
| Resolution des Weltsicherheitsrats, die Putin für seine internationale | |
| Allianz gegen den IS (“wie damals gegen Hitler“) fordert. Ein Gesamtpaket | |
| also – gemeinsam den IS bekämpfen und Zivilisten schützen. | |
| Im Luftraum über Syrien fliegen bereits amerikanische, französische, | |
| türkische und russische Kampfjets (britische sind unterwegs), eine | |
| Arbeitsteilung wäre sinnvoll. Amerikaner und Russen könnten sich auf | |
| IS-Stellungen konzentrieren, Franzosen und Briten den Himmel über Aleppo | |
| und Idlib im Auge behalten und Assads Piloten daran erinnern, dass der IS | |
| nicht in den Wohngebieten Aleppos sitzt, sondern weiter östlich. | |
| Schließlich geht es speziell den Europäern darum, in Syrien Fluchtursachen | |
| zu bekämpfen, also Luftangriffe auf Zivilisten zu unterbinden. Hätten wir | |
| so eine Flugverbotszone eingerichtet? Ja, und zwar mit UN-Mandat. Putins | |
| Luftangriffe lassen einen solchen Deal leider immer unrealistischer | |
| erscheinen. | |
| 1 Oct 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Kristin Helberg | |
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