# taz.de -- Die letzten Muschelfischer: Ackerbau im Meer | |
> In Niedersachsen hat die Muschelfischerei Tradition, aber Stürme, Austern | |
> und Seekabel machen den Fischern das Leben schwer. Noch halten sich drei | |
> Betriebe. | |
Bild: Werden immer weniger: Muschelfischer | |
OLDENBURG taz | Im Hafen von Bensersiel schlendert eine Handvoll Urlauber | |
am Kai des Hafenbeckens entlang, von einem zum anderen Ende ist das ein | |
Spaziergang von weniger als fünf Minuten. Von der Nordsee her weht der | |
Wind, legt sich um die Ohren, die Wellen klatschen an die festgemachten | |
Boote und die Kaimauer. | |
Ein Schiff schiebt sich durch die Hafeneinfahrt, immer zwischen den Pricken | |
hindurch, die die Fahrrinne markieren. Flach liegt es im Wasser, der Bug | |
zerschneidet die Wellen. Motorbrummen mischt sich in den Wind. Es ist die | |
Royal Frysk von David de Leeuw. | |
De Leeuw ist einer der letzten verbliebenen Miesmuschelfischer an der | |
friesischen und ostfriesischen Nordseeküste, die anderen zwei haben ihren | |
Heimathafen in Norddeich und Greetsiel. Die Royal Frysk ist 45 Meter lang | |
und gleitet ins Hafenbecken, an Bord ist der Fang der letzten Stunden, | |
gefischt vor der kleinen Insel Juist. | |
## Übermannsgroße Säcke | |
Die Mannschaft will die Ladung löschen. Kaum haben sie das Schiff | |
festgemacht, schwenkt David de Leeuw das große Fischernetz von Deck, bis es | |
über dem Wasser hängt. Der Blick auf die Ladung ist frei. 22 übermannsgroße | |
Säcke, randvoll mit schwarzen Muscheln, füllen einen der drei Laderäume des | |
Schiffes, etwa 22 Tonnen Muscheln. „Wir könnten 190 Tonnen laden“, sagt | |
David de Leeuw. | |
„Dies hier ist eine Bestellung für unseren niederländischen Abnehmer“, sa… | |
er. De Leeuw liefert regelmäßig an eine niederländische Firma, anders als | |
seine Kollegen. Die bieten ihren Fang auf einer zentralen Auktion in den | |
Niederlanden an. Dort läuft die Ware aus Niedersachsen und | |
Schleswig-Holstein, aber auch aus den Niederlanden, Dänemark und Irland | |
auf. Die meisten Händler und Verarbeitungsbetriebe kaufen dort ein. | |
Die Mannschaft, das sind Sohn und Auszubildender Arian und sein Kollege | |
Christian, löst die armdicken Sicherungsketten des Fischernetzes. „Das hier | |
ist ein Knochenjob, aber ich mag ihn“, sagt Christian, seit zwölf Jahren an | |
Bord der Royal Frysk. Bald ist alles entsichert, doch der Lastwagen, der | |
die Ladung aufnehmen soll, hat Verspätung. Die Männer vertreiben sich die | |
Zeit mit einem Ostfriesentee auf der Brücke. Eine willkommene Pause. | |
Anfang der Muschelsaison herrscht Hochbetrieb, weil nicht nur gefischt, | |
sondern auch wieder ausgesät wird. Die Fischer betreiben Ackerbau im Meer. | |
Anders als in den Anfängen der Muschelfischerei im 19. Jahrhundert fischen | |
sie nicht mehr ausschließlich natürlich angesiedelte Wildmuscheln, sondern | |
zum Großteil sogenannte Besatzmuscheln. Sie züchten dafür an speziellen | |
Netzen oder Leinen im Meer Jungmuscheln an. Die Fischer bringen sie dann | |
auf günstig gelegenen Kulturflächen im Wattenmeer aus. | |
Wenn die Royal Frysk zur Ernte anrückt, sind die Muscheln ein bis zwei | |
Jahre herangereift. David de Leeuw hat seine Flächen in der Jade bis vor | |
Langeoog, aber auch in der Ems bis vor Juist. Er sät parallel zum Ernten. | |
Fünf Tage die Woche fährt die Mannschaft im Moment raus, am sechsten Tag | |
wird das Schiff gewartet. „Manchmal bleiben wir auch draußen“, sagt er. | |
Dafür gibt es unter der Brücke eine kleine Wohnung. Noch bis einschließlich | |
Oktober geht das so. | |
Gerade haben die Miesmuscheln die geeignete Größe und das beste Fleisch. | |
Und es liegen sogar genügend Muscheln auf den Bänken. „Es läuft besser als | |
erwartet“, sagt David de Leeuw. Schließlich waren die Muschelfischer noch | |
mit Zweifeln in die diesjährige Saison gestartet. Es war unklar, ob die | |
starken Frühjahrs- und Herbststürme die Muscheln von ihren Bänken gefegt | |
hatten. | |
So wie 2014 geschehen. „1.700 Tonnen hatten wir insgesamt. Das konnte man | |
vergessen“, sagt de Leeuw. Zwar seien die Preise gut gewesen, die Fixkosten | |
von rund 750.000 Euro pro Schiff und Jahr decke das auf Dauer aber nicht. | |
Dafür müsse ein Schiff allein 1.000 Tonnen pro Jahr fischen. „Die Natur ist | |
nie gleich, die Menge schwankt schon sehr“, sagt de Leeuw. | |
Die Branchenzahlen untermauern seine Aussage. Lag der Ertrag aus der | |
Besatzmuschelfischerei laut Interessenvertretung der niedersächsischen | |
Muschelfischer 1998 noch bei rund 13.000 Tonnen, ging er zehn Jahre später | |
gegen null. Nach einem ertragreichen Jahr 2009 mit knapp 10.000 Tonnen habe | |
er sich in den vergangenen vier Jahren auf niedrigem Niveau um die | |
1.000-Tonnen-Marke eingependelt. Auf Dauer zu wenig, um den | |
Wirtschaftszweig am Leben zu erhalten. | |
Neben den Stürmen spielen noch andere Faktoren eine Rolle, die das Problem | |
verschärfen. Zum Beispiel nehme die Pazifische Auster den Lebensraum der | |
Miesmuscheln ein, erzählt David de Leeuw. „Die tun den Muscheln zwar | |
nichts, setzen sich aber auf die Bänke dazwischen und wir können nicht mehr | |
abfischen.“ Hinzu kommen Verklappung und Baumaßnahmen im Küstenbereich, | |
etwa durch den Jade Weser Port und die Verlegung von Seekabeln. Beides | |
wirbelt Schwebstoffe auf, die die Muscheln filtrieren und als Schlick unter | |
sich ablagern. Dadurch können sie sich schlecht auf ihren Bänken halten. | |
All das führt dazu, dass der Saatzuwachs nicht mehr stimmt. | |
Die Fischer behelfen sich, indem sie auf andere Flächen ausweichen. | |
„Außerdem arbeiten wir so oft es geht zusammen“, sagt David de Leeuw. „Z… | |
Beispiel, indem wir die Anzuchtanlagen gemeinsam betreuen.“ Das spare | |
Kosten. Die Anlagen seien teuer und die Pflege aufwendig. Allein die | |
Anschaffungskosten bewegten sich im Millionenbereich, den Umbau eines | |
Schiffes zur Erntemaschine und die Arbeitszeiten zur Pflege nicht | |
mitgerechnet. Manchmal kommt er angesichts der Lage schon ins Grübeln, sagt | |
de Leeuw und rührt in seiner Teetasse herum. „Schließlich hängen ja auch | |
unsere Leute aus den Betrieben dran.“ | |
## Kampf um die Existenz | |
All das klingt nach Existenzkampf. Für die meisten wäre das ein triftiger | |
Grund, schnellstens den Beruf zu wechseln. Aber de Leeuw sieht es gelassen | |
und wirkt trotzdem zufrieden. „Ein bisschen verrückt muss man schon sein, | |
um das zu machen“, sagt er und schmunzelt. „Aber wir sind es nicht anders | |
gewohnt.“ Stimmt. Das belegt auch die Geschichte. | |
So fuhren 1937 allein von Norddeich aus noch 22 Kutter raus zum | |
Muschelfischen, unterstützt von vier Betrieben aus anderen Häfen. In den | |
40er-Jahren brach die Branche aber komplett zusammen. Die Gründe waren | |
rücksichtslose Befischung, harte Winter und ein Muschelparasit. Die Fischer | |
wichen auf andere Fangobjekte aus. Erst in den 50er-Jahren konnten sie | |
wieder Miesmuscheln fischen. | |
Brüche gab es also schon immer, Aufschwünge aber auch. Darauf scheint auch | |
David de Leeuw zu vertrauen. Auch sein Sohn Arian teilt diese Gelassenheit. | |
Vielleicht ein Grund, warum er die Ausbildung zum Fischwirt macht und den | |
Betrieb seines Vaters später wohl weiterführen wird. „Irgendwer muss es ja | |
machen“ grinst der 19-Jährige. | |
## In einer Tüte über Bord | |
Die Teepause ist vorbei und Arian schaufelt nun per Hand Muscheln aus dem | |
Laderaum in einen Korb. „Die sind für einen Bekannten von Papa, der wartet | |
unten.“ Mehrmals spült Arian die Muscheln durch und reicht sie schließlich | |
in einer Tüte über Bord. Der Lastwagen parkt mittlerweile am Kai, die | |
Heckklappe ist geöffnet. David de Leeuw klettert auf einen kleinen Kran | |
dahinter und schwenkt den Arm mit Kette über den Laderaum. Dort hängt Sohn | |
Arian die Säcke mit den Muscheln ein und tritt zur Seite, sobald sie in die | |
Höhe schweben. Am LKW hängt Christian sie wieder aus. | |
Keine 30 Minuten später kann die Royal Frysk wieder ablegen, um zu den | |
Flächen vor Juist zu fahren. „So langsam wird es auch Zeit“, sagt David de | |
Leeuw. Wieder auf der Brücke schaut er mit dem Fernglas aufs Meer. Der Wind | |
hat aufgefrischt. „Jetzt wird der Weg ein bisschen ungemütlich“, sagt er | |
und legt ab. Die Royal Frysk schiebt sich zwischen den Pricken hindurch, | |
diesmal gegen den Wind. „Ein bisschen verrückt muss man schon sein, um das | |
zu machen“, sagt er. „Aber ich mag das.“ | |
11 Oct 2015 | |
## AUTOREN | |
Manuela Sies | |
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