Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Muschelfischers Freud und Leid: Vom Dünger zur Delikatesse
> Die Miesmuschel hat eine steile Karriere hingelegt. Wolfgang Christoffers
> aus Norddeich ist eine Legende unter den niedersächsischen
> Muschelfischern.
Bild: Muschelfischerei: Ein hartes Geschäft für die, die es betreiben.
NORDDEICH taz | Freunde werden sie in diesem Leben keine mehr. „Wir sind
für Naturschutz“, grummelt Wolfgang Christoffers. „Umweltschutzverbände
brauchen wir aber nicht.“ Der Senior der niedersächsischen Muschelfischer
lehnt über dem Steuersitz seines Fangschiffes „Anna“, ein schon etwas
älterer Kahn, der einmal zerschnitten wurde, um ihn zu verlängern. Lang,
dicker Bauch und ein Kran für die Erntenetze – beim Muschelschiff geht es
um praktischen Nutzen, nicht um Schönheit. Das Schiff liegt im Hafen
Norddeich an der ostfriesischen Küste vor Norderney. Die Luft schmeckt
salzig und riecht ein bisschen modrig. Bei Niedrigwasser hockt die „Anna“
einige Meter unter der Hafenkante. Dann wird das Entern zur Akrobatik.
Als ältester Muschelfischer ist Christoffers eine Legende. Man sagt, der
66-Jährige stecke den Finger ins Meer, lecke das Salzwasser ab – und
schmecke, wo Muscheln zu finden sind. Die Geschichte amüsiert ihn. Ein
bitteres Lächeln lässt die Fältchen in seinem Gesicht tanzen. Mit seinem
Vater hat er noch Miesmuscheln mit der Forke von den Sandbänken
geschaufelt. „Wir haben damals im Vergleich zu heute lächerliche Mengen
geerntet“, sagt er. Die wurden im dreckigen Abflusswasser des Hafens
gewaschen. Aber keiner beschwerte sich, im Gegenteil: „Die Muscheln sind
uns im Ruhrgebiet aus den Hände gerissen worden“, erinnert sich
Christoffers.
## Gänse- und Hühnerfutter
Diese Zeiten sind vorbei. Nicht dass die Menschen im Ruhrgebiet keine
Muscheln mehr äßen, aber es gibt immer weniger Muscheln. Der Direktvertrieb
vom Fischer zum Verbraucher funktioniert nicht mehr. Alle in Deutschland
geernteten Miesmuscheln werden über niederländische Großhändler auf
Auktionen in Ysereke gehandelt. An der ostfriesischen Küste sind keine dort
geernteten Muscheln zu kaufen: Die gehen während der Fangsaison direkt mit
Kühltransportern in die Niederlande. Bei zwei von vier ostfriesischen
Unternehmen haben sich Niederländer eingekauft mit Tochterfirmen in
Schleswig-Holstein.
„Hier haben die Leute nie Muscheln essen wollen“, erzählt Christoffers.
Tatsächlich galten Muscheln wie auch Krabben an der Küste und auf den
Inseln lange als Gänse- und Hühnerfutter. „In Norddeich haben überall
Darren rumgestanden, da wurden Krabben getrocknet. Das hat vielleicht
gestunken“, sagt Christoffers lachend. Muscheln und Krabben wurden erst ab
den 1960er-Jahren eine Delikatesse – durch die Touristen.
„In Frankreich und Belgien sind die Leute verrückt nach Muscheln“, so
Christoffers. Allerdings werden in Frankreich nur kleine Miesmuscheln
gegessen, bis vier Zentimeter Länge. Die zu ernten ist in Deutschland
verboten. In Belgien wiederum werden größere Muscheln bevorzugt: über vier
Zentimeter groß, gedünstet in Lauch, Wein, Zwiebeln und Kräutern – und
häufig aus Ostfriesland. „In Deutschland gibt es nur im Ruhrgebiet eine
Muschelkultur.“ Überhaupt gebe es in hierzulande nur Ärger, sagt
Christoffers. Womit wir wieder bei den Umweltverbänden wären. „Die haben
doch keine Ahnung. Denen muss man noch Ebbe und Flut erklären.“ Er grinst.
Aber er wirkt verzweifelt dabei. Muschelfischerei sei ein hartes Geschäft,
grummelt er. Da solle einem keiner reinreden.
Seit 1997 gibt es ein „Muschelmanagement“, das regelmäßig kontrolliert und
erweitert wird. Grund für die staatliche Kontrolle war der alarmierende
Schwund der Meeresfrucht, aber auch die Erkenntnis, dass die
Muschelfischerei mit ihrem Umpflügen des Meeresbodens die maritime Flora
und Fauna unwiederbringlich zerstören könnte. Zudem liegen die
Muschelkulturen im eigentlich unter Schutz stehenden Nationalpark
Wattenmeer. „Bevor wir hier etwas kaputt machen, sind schon andere lange
vor uns dagewesen“, sagt Christoffer müde lächelnd, und meint damit
Bauarbeiten, Kabeltrassen und Schlickverklappungen.
## Bei Sturm keine Ernte
Jeweils im April, Mai und Juni ist es an der deutschen Küste erstmals
erlaubt, Muschel-Saat aus dem Meer zu entnehmen – vorausgesetzt, der
Fischer weiß, wo sich die Brut abgesetzt hat. Christoffers hebt lächelnd
den angeblich magischen Zeigefinger. Mit ihren vier Meter breiten Kurren,
so heißen die Netze, die hinter einen Rahmen gespannt sind, schürfen die
Fischer dann nach dem „schwarzen Gold“ im Wattenmeer.
Im Frühjahr ist es meist kalt, die Muscheln wachsen nur langsam. Kann die
Brut sich nicht an festem Untergrund festklammern, spült die Tide sie ins
Meer. Aus Naturschutzgründen dürfen die Fischer nur festgelegte Mengen der
„Saat“ entnehmen. Ein Drittel der Wattfläche ist für die Bewirtschaftung
ohnehin tabu.
Die Saat siedeln die Fischer auf ihnen günstig erscheinenden Flächen an.
Hier wachsen die Muscheln mindestens zwei Jahre bis zu den vorgeschriebenen
vier Zentimetern „Konsumgröße“. Die Gefahr, dass diese Kulturbänke bei
Sturm oder Eisgang leer gefegt werden, ist groß – dann fällt die Ernte aus.
Zwischen Oktober und November darf dann nochmals Saatgut entnommen werden.
Dann ist die Ernte der reifen Konsummuscheln in vollem Gang – beides läuft
dann parallel.
## „Von den Grünen geknechtet“
„Vor 20 Jahren gab es ein dramatisches Muschelsterben in Deutschland. Das
haben wir zum großen Teil der Muschelfischerei angelastet“, sagt Harald
Asmus vom Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven. Auf einer Fischereitagung
kam es wegen der Untersuchung zu Tumulten. Noch heute wettert der
Vorsitzende der Muschelfischer Schleswig-Holsteins, Peter Ewaldsen, über
seine „Feinde“: Die Fischer würden von Grünen und Umweltverbänden erpres…
und geknechtet.
In Schleswig-Holstein trägt man Konflikte vor Gericht aus, in Niedersachsen
sind Fischer, Verbände und Regierung moderater. „Wir wollen die
Muschelfischerei, auch in den geschützten Regionen des Nationalparks“, sagt
Gerald Milhat von der Nationalparkverwaltung Niedersächsisches Wattenmeer.
„Aber wir wollen eine Reglementierung.“ Auch Manuela Gubernator,
Geschäftsführerin der niedersächsischen Muschelfischer, klingt kooperativ:
„Wir sind pragmatisch und machen unsere Arbeit transparent.“
Um die Wildbänke zu schonen, setzen die Fischer ihre Leinen und Netze vor
Wilhelmshaven ins Meer und fangen die Muschellarven. „Das macht viel
Arbeit, da müssen wir Lohnunternehmen beauftragen“, erklärt Christoffers.
„Die Leinensaat reicht bei Weitem nicht aus, um unseren Bedarf zu decken.“
Auch der Import von englischem und irischem Saatgut lohne sich nicht.
„Heute spielt die Muschelfischerei für die Veränderung des Wattbodens und
den Erhalt von verschiedenen Arten nur noch eine untergeordnete Rolle“,
sagt der einst so kritische Wissenschaftler Asmus. Deren Funktionärin
Gubernator fügt hinzu: „Wir wissen, dass unsere Arbeit ein Eingriff in die
Natur ist“ – deswegen kooperiere man mit Nationalparkverwaltung, Fischerei-
und Veterinärämtern. „Wir haben mehr mit Bürokratie zu tun als mit der
Fischerei“, murrt dagegen Wolfgang Christoffers. „Wir haben drei Blackboxen
auf unseren Schiffen. An jedem Ort der Welt kann man überprüfen, wo wir was
und wie viel ernten. Es fehlt nur noch, dass uns Fußfesseln angelegt
werden.“
Dabei haben die niedersächsischen Muschelfischer sogar das
MSC-Qualitätssiegel für nachhaltige Fischerei bekommen. „Wir haben über
100.000 Euro in Untersuchungen und Ausstattung gesteckt“, stöhnt
Christoffers. WWF und Nabu haben gegen die Zertifizierung protestiert.
Kuriosität am Rande: Das MSC-Siegel, vom WWF mit initiiert, ging zuerst an
dänische Muschelfischer – die nachweislich den Meeresboden schädigen.
Doch die Umweltschützer sind nicht alles. „Das Wattenmeer hat sich durch
die vielen Bauarbeiten sehr verändert“, sagt Christoffers. „Wo früher
Sandbänke waren, ist tiefes Wasser. In anderen Bereichen hat sich der
Meeresboden mit weichem Schlick aufgeschwemmt.“ Sein Enkel will trotzdem
die „Anna“ als Muschelfischer übernehmen. Mit welcher Aussicht?
Christoffers hebt skeptisch seine Schultern.
16 Nov 2014
## AUTOREN
Thomas Schumacher
## TAGS
Naturschutz
Nordsee
Ostsee
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die letzten Muschelfischer: Ackerbau im Meer
In Niedersachsen hat die Muschelfischerei Tradition, aber Stürme, Austern
und Seekabel machen den Fischern das Leben schwer. Noch halten sich drei
Betriebe.
Nachhaltigkeitssiegel für Fisch: Matjes mit Mehrwert
Bald gibt es Hering mit Nachhaltigkeitssiegel. Der Bestand erhole sich,
sagt das Bundesinstitut. Greenpeace findet die Datenlage für eine
Entwarnung zu unsicher.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.