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# taz.de -- Rätselhafter Schwund im Ökosystem: Den Muscheln gehts mies
> An einigen Stellen des Wattenmeers sind die Bestände um 90 Prozent
> gesunken. WWF und Schutzstation Wattenmeer machen Muschelfischer
> verantwortlich.
Bild: Verdrängt die Miesmuschel aus dem Watt: die Pazifische Auster.
HAMBURG taz | Einst klebten sie an jedem Schiffsanleger, Stein oder
rostigen Pfahl. Ihre Schalen übersäten die Nordseestrände. Heute sind sie
im Nationalpark vor Schleswig-Holsteins Küste schwer zu finden: die
Miesmuscheln. Um alarmierende 90 Prozent sind die Bestände im
trockenfallenden Bereich des Wattenmeers von 1998 bis 2010 zurückgegangen.
Das geht aus dem Muschelbericht der Kieler Landesregierung hervor.
Über die Gründe sind sich Biologen, Naturschützer und Fischer im Unklaren.
Die steigenden Wassertemperaturen könnten eine Rolle spielen, ebenso die
Pazifische Auster, die sich im Wattenmeer auf Kosten der heimischen
Miesmuschel ausbreitet. Vielleicht liegt es aber auch einfach an der
Dynamik des Wattenmeers, einer Gegend, die sich stets verändert. Der WWF
und die Schutzstation Wattenmeer hingegen sehen die Miesmuschelfischerei
als einen Schuldigen. Der Nationalpark werde durch die Muschelwirtschaft
übernutzt, klagen die Naturschützer.
In den trockenfallenden Bereichen des Wattenmeers ist die Muschelfischerei
seit 1981 verboten. Unter strengen Auflagen dürfen die Fischer aber wild
lebende Miesmuscheln in eigens dafür angelegten Muschelkulturen "ernten".
Um diese zu bestücken, dürfen wild lebende Miesmuscheln eingefangen werden.
Da die Ernte dieser Saatmuscheln für die Fischer nicht ausreicht, um zu
überleben, importieren sie Miesmuschelsaaten aus Irland und Großbritannien.
Auf die Konsumenten hat der Rückgang der Miesmuscheln im Wattenmeer deshalb
kaum Auswirkungen.
Für die Schutzstation Wattenmeer und den WWF operieren die Fischer nicht
naturverträglich. Seit Jahren werde praktisch jede im ständig
wasserbedeckten Teil des Nationalparks entstehende Muschelbank zur
Gewinnung von Saatmuscheln mit schwerem Geschirr befischt und zerstört,
moniert Hans-Ulrich Rösner, Wattenmeerexperte des WWF: "Es ist plausibel,
dass sich Muscheln schlechter ansiedeln können, je weniger sie überhaupt
vorhanden sind." Deshalb müssten natürliche Miesmuschelbänke auch im
Unterwasserbereich des Nationalparks "in Ruhe gelassen und nicht sofort
abgefischt werden".
Peter Ewaldsen, Vorsitzender der Erzeugerorganisation
schleswig-holsteinischer Muschelzüchter e.V. wehrt sich gegen den Vorwurf,
die Fischerei sei mitverantwortlich für den Rückgang der Bestände: "Das
wird im Bericht an keiner einzigen Stelle erwähnt." Er betont, dass im
Wattenmeer zurzeit ein Ungleichgewicht bestehe zwischen Miesmuscheln und
immer mehr Raubtieren, die diese "einfach auffressen" würden. Deshalb seien
importierte Saaten notwendig. Deren Einsatz sei im Übrigen gründlich
voruntersucht worden und habe sich bewährt. Die Fischer streben sogar das
MSC-Label für nachhaltigen Fischfang an, welches sie bis Ende Jahr erhalten
wollen.
Der ewige Streit zwischen Fischern und Naturschutz flammte jüngst neu auf,
weil die Muschelfischer ihre 2016 auslaufenden Fanglizenzen bereits jetzt
auf das Jahr 2026 verlängern möchten. Die Fischer wollen 15 Millionen Euro
in den Ausbau ihrer Muschelfarmen und Ernteschiffe investieren.
Lizenzverlängerungen sind dafür Voraussetzung. Mit dem
Landwirtschaftsministerium vereinbarten die Fischer deshalb bereits im
Sommer Eckpunkte, ohne dass das Nationalpark-Gremium mit einbezogen wurde.
Dieses fühlt sich hintergangen. "Das Vertrauen des Naturschutzes in die
Fischerei ist am Nullpunkt", sagt etwa Hans-Ulrich Rösner.
19 Sep 2011
## AUTOREN
Adrian Meyer
## TAGS
Nordsee
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