| # taz.de -- Weser-Kurier feiert Jubiläum: „Es war auch ein Kompliment“ | |
| > Weser-Kurier wird 70. Die taz.nord gratuliert per Interview mit dem bis | |
| > heute anonymen Chefredakteur der gefälschten Extra-Ausgabe vom 5. März | |
| > 1991. | |
| Bild: 5. März 1991: Der Weser-Kurier erscheint wie immer - und ist doch ganz a… | |
| taz: Herr Gorteck, wieso haben Sie sich für den Weser-Kurier entschieden? | |
| Frank Gorteck: Naja, die Bremer Nachrichten waren schon damals ziemlich | |
| eingeschrumpft, und uns war wichtig, dass es etwas Bremisches war. Und der | |
| Weser-Kurier (WK) ist, sorry taz, nun mal das Bremer Medium. | |
| Er hatte damals einen Zensur-Kasten... | |
| ...den wir mit unserem Unzensiert-Kasten aufgegriffen haben: Es war mitten | |
| im zweiten Golfkrieg, und wir wussten: Sehr viele Journalisten litten | |
| darunter, dass es keine Nachrichten gab, sondern nur, was die | |
| Militärbehörde geprüft und freigegeben hatte. | |
| Gab es eine schweigende Komplizenschaft im Pressehaus? | |
| Ich finde, die Geschäftsführung hätte das durchaus entspannter nehmen | |
| können: Es ist immer auch ein Kompliment für eine Zeitung, so gefälscht zu | |
| werden. | |
| Die rief aber die Polizei? | |
| Das war nicht das Schlimmste. Da hatten wir uns vorher juristisch beraten | |
| lassen: Natürlich war das eine Fälschung, aber eine, die sich selbst | |
| verriet. Zum Beispiel hatten wir auch dieses komische Siegel im Titelkopf | |
| übernommen, es aber verändert. | |
| Oh ja, der Reichsapfel ist eine Bombe mit brennender Zündschnur! | |
| Unangenehm war, dass die auch ihre Austräger auf uns angesetzt haben: Die | |
| hatten damals so kleine weiße Transporter mit blauem Aufdruck, die durch | |
| die ganze Stadt fuhren. Die bekamen, das kriegten wir schnell spitz, den | |
| Auftrag, die Leute abzufangen, die diese Extra-Ausgabe in die Briefkästen | |
| steckten. | |
| Das haben Sie als Chefredakteur nicht gemacht? | |
| Nein – ich war natürlich ganz vorne an der Front: Ein paar von uns haben in | |
| weißen Overalls mit blauen WK-Aufkleber am Bahnhof gestanden und allen | |
| Pendlern ein Exemplar in die Hand gedrückt, die dann sofort anfingen zu | |
| lesen. Es waren sogar ein paar Redakteure dabei. Einer von denen sagte: Was | |
| ist das denn, habe ich ja gar nichts von mitgekriegt!, Unerhört!, und | |
| stiefelte davon. | |
| Oha! | |
| Das war für uns das Signal: Jetzt müssen wir aufbrechen. Bis zur Redaktion | |
| hat er gemerkt, dass es ein Fake ist. Und dann ruft er die Polizei. | |
| Aber auf den ersten Blick konnte das Extrablatt Profis täuschen? | |
| Darauf sind wir noch heute stolz: Wir hatten ja doch nur sehr einfache | |
| Mittel, es gab gerade mal, was weiß ich, Pagemaker 2.0, es war einfacher | |
| und besser, die Sachen per Hand auszuschneiden und aufzukleben. Wir hatten | |
| natürlich auch nur einfachen Offset-Druck, und wenn man genau schaut, sieht | |
| man: Unser Papierformat ist etwas kleiner, als das Original. Aber trotzdem | |
| ist es gelungen, den Eindruck der Echtheit zu erzeugen, und die Auflage von | |
| rund 11.000 Stück zu verteilen, ohne Spuren zu hinterlassen. | |
| Die Polizei hat sie nicht erwischt? | |
| Keinen von uns. | |
| Hat sie sich denn richtig angestrengt? | |
| Man hätte natürlich rausfinden können, wo wir gedruckt haben, gerade auch | |
| das Falzen so hinzukriegen, das geht nicht überall. Mitunter haben die | |
| Bullen auch durchaus an die richtigen Türen geklopft, so weit ich das | |
| mitbekommen habe, und es wussten in der Stadt sehr viele Bescheid: Wir | |
| hatten bei allen möglichen Inis nachgefragt, einerseits, damit genügend | |
| Beiträge zusammenkommen, dann, um das nötige Kleingeld zusammen zu kriegen, | |
| und vor allem, ganz wichtig: Um ausreichend Leute zu haben, die das Blatt | |
| nachher verteilen. | |
| Wie viele waren denn der harte Kern der Redaktion? | |
| Schwer zu sagen. Die Arbeit zog sich ja über Wochen hin. Es gab viele | |
| Wechsel. Und Beiträge kamen wie gesagt von überall. | |
| Warum war der Eindruck der Echtheit so wichtig? | |
| Unser Anliegen war, der Erkenntniseffekt: Dass die LeserInnen sich erst | |
| etwas wundern bis sie schließlich dahin kommen zu sagen: Nein, das kann | |
| nicht stimmen. Deshalb ist das auch keine reine Satire-Zeitung. | |
| Der Aufmacher ist ein ganz klassischer, ernsthafter Bericht über das | |
| Todesurteil gegen Mumia Abu-Jamal, den Black-Panther-Aktivisten, der so nie | |
| im WK gestanden hätte, auf der folgenden Seite liest man die eher burleske | |
| die Nachricht vom für immer verlorenen Heldensperma: War der richtige Mix | |
| wichtig? | |
| Genau. Wobei sich die Heldensperma-Meldung ja später fast bewahrheitet hat: | |
| Die Samenspenden der Golfkriegs-Helden waren durchaus ein Thema. Bloß hatte | |
| es keine Panne mit irgendwelchen Etiketten gegeben. | |
| Die waren in ihrer Meldung verloren gegangen? | |
| Ja. Manchmal, wenn man die Gegenseite verstanden hat, bekommt die | |
| satirische Übertreibung etwas fast Prophetisches. Es kommt darauf an, die | |
| Dinge in ihrer Logik zu überziehen: Anfang der 1980er hatte es ja auch eine | |
| gefälschte Prawda gegeben, die den Zusammenbruch der Sowjetunion und die | |
| deutsche Wiedervereinigung voraussagte. | |
| Die Prawda war das Zentralorgan der UdSSR, der Inbegriff der offiziellen | |
| Verlautbarung... | |
| ...und in dem der Krieg die Zeitung zum Verlautbarungsorgan gemacht hatte | |
| ging es uns darum, eine Gegenöffentlichkeit herzustellen. Und das ist | |
| gelungen: Wir haben die Herzen der LeserInnen erreicht. | |
| 17 Sep 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Benno Schirrmeister | |
| ## TAGS | |
| Weser-Kurier | |
| Jubiläum | |
| Bremen | |
| Stadtentwicklung | |
| Funke Mediengruppe | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Leuchten der Menschheit: Hallo, wer meckert denn da? | |
| 25 Jahre Deutsche Einheit und die Streuung des gefühlten Glücks: Berlin und | |
| Hamburg kommen da laut Studien am besten weg. | |
| Neue Zentralredaktion in Berlin: Funke macht‘s selbst | |
| Vor zwei Jahren hat sich die Funke-Gruppe Springers Regionalzeitungen | |
| geschnappt. Nun startet die Zentralredaktion in der Hauptstadt. |