# taz.de -- Angriffe auf Kurden in der Türkei: Der angefeuerte Wahlkampf | |
> Nach dem Protest gegen die PKK brannten die kurdische HDP-Zentrale und | |
> andere Einrichtungen. HDP-Chef Demirtaş beschuldigt Erdoğan. | |
Bild: Die zerstörte der prokurdischen HDP-Zentrale in Ankara am Mittwoch. | |
ISTANBUL taz |Die Nationalisten hinterließen brennende Häuser und | |
eingeschlagene Fensterscheiben. Sie schwenkten türkische Fahnen zogen durch | |
die Städte und verprügelten Menschen, die sie für Kurden hielten: In der | |
Nacht von Dienstag auf Mittwoch sollen laut türkischen Medienangaben 186 | |
Angriffe auf kurdische Geschäfte, Einrichtungen und Büros der HDP-Partei | |
stattgefunden haben. | |
In Ankara setzte ein Mob die HDP-Parteizentrale in Brand, bei dem Feuer | |
seien wichtige Wahlunterlagen zerstört worden. Die Polizei habe zunächst | |
tatenlos zugesehen, wie die Parteizentrale in Flammen aufgegangen seien, | |
kritisierte HDP-Chef Selahattin Demirtaş. Am Mittwoch teilten Behörden mit, | |
dass die Polizei 93 Menschen festgenommen hat. | |
Auch in der südtürkischen Stadt Alanya wurde der örtliche HDP-Sitz in Brand | |
gesetzt. Demirtaş selbst habe noch in der Nacht den Gouverneur von Ankara, | |
Mehmet Kılıçlar, angerufen und um Hilfe gebeten. „Aber da bemerkte ich, | |
dass er in diese Sache mit involviert war“, denn Kılıçlar habe einfach | |
aufgelegt. Demirtaş gab Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan und | |
AKP-Premier Ahmet Davutoğlu die Schuld an der Eskalation. | |
„Die von einer Hand gelenkte Angriffsaktion wird von der Regierung | |
ausgeführt.“ Erdoğans Schuld ist nicht bewiesen, dennoch sprach der | |
HDP-Abgeordnete Ertuğrul Kürkuçu gar von „Erdoğans Kristallnacht“ in | |
Anlehnung an die von den Nazis gesteuerten antijüdischen Pogrome 1938 in | |
Deutschland. Auf Bildern, die von der HDP veröffentlicht wurden, sind | |
völlig ausgebrannte Parteieinrichtungen zu sehen. | |
## Die Luftwaffe bombardiert | |
Die türkischen Nationalisten werfen der HDP vor, der politische Arm der als | |
Terrororganisation eingestuften kurdischen Arbeiterpartei PKK zu sein. Seit | |
Sonntag eskaliert die Situation zwischen Ankara und den Kurden. An diesem | |
Tag war ein Militärkonvoi in Dağlica in der südostlichen Provinz Hakkari in | |
eine Sprengfalle der PKK geraten. Anschließend lieferten sich die kurdische | |
Rebellen schwere Gefechte mit den Sicherheitskräften, 16 Soldaten kamen | |
nach Militärangaben dabei ums Leben. | |
Die Region wurde weitgehend abgeriegelt, die Kampfhandlungen dauern an. | |
Seither bombardiert die türkische Luftwaffe Stellungen der PKK im Südosten | |
des Landes. Im Kampf gegen die Kurden waren am Dienstag, wenige Stunden | |
bevor die Nationalisten durch die Straßen zogen, türkische Bodentruppen | |
kurzzeitig in den Nordirak eingedrungen. | |
Der nationalistische Hass richtete sich erneut auch gegen die Tageszeitung | |
Hürriyet. Dienstagnacht versuchte ein Mob, die Redaktion zu stürmen. Auf | |
den Bildern von Überwachungskameras ist zu sehen, wie rund 100 Menschen vor | |
dem Redaktionsgebäude stehen, „Allahu Akbar“ – „Gott ist groß“ schr… | |
das Gebäude mit Steinen bewerfen und versuchen, gewaltsam einzudringen. | |
Wieder konnte nur die Polizei die aufgebrachte Masse zurückdrängen. | |
Schon am Sonntag versuchten rund 200 AKP-Anhänger, die Redaktion der | |
Hürriyet zu stürmen. Auslöser war eine Meldung, welche die Redaktion kurz | |
zuvor online gestellt hatte. Dabei handelte es sich um ein Zitat Erdoğans, | |
der am Sonntag gesagt hatte: „Wenn eine Partei es geschafft hätte, 400 | |
Abgeordnete oder die (nötige) Anzahl, für eine (neue) Verfassung zu | |
bekommen, würde die Situation heute ganz anders aussehen.“ Bei den | |
Parlamentswahlen im Juni verfehlte die AKP die absolute Mehrheit und konnte | |
deswegen keine Verfassungsänderung im Alleingang durchführen. | |
## Angriff auf die „Hürriyet“ | |
Die Hürriyet brachte die Äußerung via Twitter mit den Gefechten in Hakkari | |
in Verbindung und unterstellte Erdoğan indirekt, den Konflikt mit den | |
Kurden anzuheizen und damit die Chancen für die von ihm mitbegründete AKP | |
bei den Neuwahlen am 1. November erhöhen zu wollen. Daraufhin formierten | |
sich die AKP-Anhänger vor der Hürriyet-Redaktion. | |
Wenige Stunden nach dem Angriff auf die Zeitung meldeten türkische Medien, | |
dass in der Gruppe auch der AKP-Abgeordnete und Vorsitzende der Istanbuler | |
AKP-Jugendorganisation, Abdurrahim Boynukalin, gewesen sei. Auf einem | |
Video, dass [1][auf der Homepage der] Hürriyet veröffentlicht wurde, ist er | |
vor der Redaktion zu sehen. Der Abgeordnete sagt, es sei egal, wer die | |
Wahlen am 1. November gewinnen werde, Erdoğan werde zum exekutiven | |
Präsidenten ausgerufen. Anschließend würde man mit allen Gegnern abrechnen. | |
Dann zählt er unter anderem die Fethullah-Gülen-Bewegung, die | |
regierungskritische Presse und die HDP-Partei auf. | |
9 Sep 2015 | |
## LINKS | |
[1] http://www.hurriyet.com.tr/gundem/30009883.asp | |
## AUTOREN | |
Cigdem Akyol | |
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