# taz.de -- Die Wahrheit: Ausgekochte Regentin | |
> Es ist nicht nur der Humor: Warum der Engländer von aller Welt bewundert | |
> wird und der Deutsche auf ewig Mr. Hyde geben muss. | |
Bild: Gott speichere die Königin! | |
Ein Baumhaus irgendwo im England gehörenden Kenia. Die Uhr zeigt Februar | |
1952 an. Draußen ist es dunkle Nacht, drinnen hat es sich Prinz Philip | |
gerade mit seiner Frau gemütlich gemacht. Da klettert ein schwarzer Mann | |
den Stamm auf allen vieren hinauf. | |
In der Finsternis ist er kaum von der Nacht zu unterscheiden. Was führt er | |
im Schilde? Prinz Philip, der als Offizier die Gefahr gewittert hat, reißt | |
die Tür auf und ist schon im Begriff, den Attentäter zu zerstückeln, als | |
der die frohe Botschaft zu Gehör bringt: Elisabeths Vater ist tot! Lang | |
lebe die Queen! | |
Was damals kaum einer ahnte: 63 Jahre und 216 Tage später, also gerade eben | |
erst, stellte Elisabeth als fortan langlebigste Regentin sogar ihre | |
Ururomama Viktoria in den Schatten. Der hundsnormale Engländer dürfte | |
darüber aus vollem Hals jubeln – denn bei aller Distanz, die das steife | |
Königshaus wahrt, bei aller kiloweise darüber ausgeschütteten Kritik sieht | |
der brave Englishman in der Queen sich, sein Land und seine Traditionen wie | |
in einem Goldfischglas komprimiert. | |
## England - Sauberland | |
Der Globus feiert mit, weil die Queen und merry old England das weltweit | |
unübertreffliche Markenzeichen der Queen und merry old Englands sind. | |
Längst gilt England nicht mehr als der Schurkenstaat, der es im 16. und 17. | |
Jahrhundert war, längst ist es im Abflussrohr der Vergangenheit | |
verschwunden, dass die Engländer bei der Niedermetzelung des indischen | |
Aufstands 1858 zur Vergeltung ganze Stadtviertel mit Mann und Maus | |
ausräucherten; längst ist zu einer niedlichen Erinnerung verblüht, dass | |
England noch Mitte des 20. Jahrhunderts überall auf der Erdkugel fremde | |
Völker unter dem Daumen hatte, nein: Gehalten hat sich eher das elegante | |
Bild des englischen Kolonialherrn in Indien und Afrika als Paradepferd des | |
weißen Mannes. | |
Der Engländer hat – kein Zufall in dieser krummen Welt – Dracula sowie Dr. | |
Jekyll und Mr. Hyde erfunden, zumindest beugten der Ire Bram Stoker und der | |
Schotte Robert Louis Stevenson ihre Häupter als Untertanen Ihrer Majestät, | |
als sie ihre jeweiligen Bestseller schrieben. | |
Ausgekocht, wie es seine Art ist, hat der Engländer sich den Thron als | |
schmucker Dr. Jekyll reserviert, während er dem Deutschen den Platz des | |
stinkenden Mr. Hyde zuweist. Eine Verunglimpfung, die jedoch mit leichter | |
Hand zermalmbar ist! Ein unwiderlegbares Argument lautet zum Beispiel, dass | |
der Deutsche ganz im Gegenteil. Oder auch nicht. So! | |
## Dr. Jekyll ist einzigartig | |
Schauen wir also besser, was den Engländer alias Dr. Jekyll so einzigartig | |
im Kosmos macht, bewundert und beneidet vom Homo sapiens. Da ist seine | |
Sprache, mit der er den Planeten infiziert hat. Wer heute mit einem anderen | |
Idiom als Englisch aufwächst, darf als geistig behindert gelten. Manche | |
Kritiker halten Englisch zwar wegen des Tie-Äitsch für einen Sprachfehler, | |
übersehen aber, dass es gegenüber dem bloßen Lispeln den Vorzug einer | |
arroganten Betonung besitzt. Und im Unterschied zum Feld-, Wald- und | |
Wiesendeutschen beherrscht der Engländer immerhin eine Fremdsprache: | |
Englisch. | |
Da ist sein Humor. Während der Deutsche mit hochgerüstetem Kopf gründlich | |
forscht, um das Wesen des Komischen zu ertappen, lässt der Engländer | |
einfach einen Scherz über „German“ und „Chairman“ von Bord und lässt … | |
Universum erbeben. Ist dem Deutschen zur weltweiten Überraschung ein Witz | |
gelungen, platzt er vor Freude. Dagegen der Engländer: Wenn er lacht, | |
bleibt die Oberlippe festgeschnallt, das Pokerface festgebacken. Lieber | |
übertreibt er Understatement, als sein Gesicht ausrutschen zu lassen. | |
Übrigens: Bereits Ende des 17. Jahrhunderts pachtete der Engländer den | |
Humor für sich. Im Gefolge seiner Weltmachtstellung seit 1713ff. lernte | |
dann der Rest des Globus den Humor Englands kennen. | |
Dazu das passgenaue Seitenstück: der Sportsgeist. Stets feuert der | |
Engländer den Underdog an, damit der die starken Konkurrenten abholzt, die | |
dem englischen Team in den Schwanz beißen könnten. | |
Der unsinkbare Ruf Englands gründet ferner auf Dings, auf Kultur. Man denke | |
an Shakespeare, obwohl die Werke in Wahrheit von einem Anderen gleichen | |
Namens geschrieben wurden, oder an Charles Darwin, der bewies, dass die | |
Engländer vom Affen abstammen. | |
Weitere Stichworte, die im Raum herumstehen, hören auf die Namen Fish and | |
Chips, Plumpudding, Pfefferminzsoße, Linksverkehr, Schlangestehen, das | |
Pfund sowie jenen Brauch, wenn sich Schlag fünf Uhr der Engländer mit sich | |
selbst versammelt und dem Wasser etwas Teegeschmack beifügt, um es nicht | |
trocken runterwürgen zu müssen. Das alles ist bekannt wie der Regen, der | |
Katzen und Hunde schneit, und muss nicht mehr runtergebetet werden. Auch so | |
ist astklar: England und seine Elisabeth – ein dreifach donnerndes „God | |
Save the Queen“! (Auch wenn die Queen vom Affen abstammt.) | |
16 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
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