# taz.de -- Filmsubventionen in Israel: Wie undankbar, die Kulturwelt | |
> Kritik an der Politik? Die israelische Kulturministerin Miri Regev will | |
> Förderungen unterbinden. Regisseure und Produzenten halten dagegen. | |
Bild: Sie wird von der israelischen Filmbranche nicht geliebt: Kultusministerin… | |
Kaum sechs Monate sitzt Miri Regev (Likud) auf dem Chefstuhl in Israels | |
Ministerium für Kultur und Sport, einem Posten, den sie eigentlich niemals | |
wollte. „Ich wusste, dass die Kulturwelt undankbar ist“, sagte sie jüngst. | |
Vom arabischen Theater Al Midan in Haifa, dem Regev vor sechs Wochen die | |
staatliche Finanzierung einfror, dürfte sie kaum großen Dank erwarten. Auch | |
die Kinemathek in Jerusalem wird der Ministerin keine Blumen schicken, | |
nachdem die Organisatoren des diesjährigen Filmfestivals auf Regevs | |
Drohung, sie werde öffentliche Zuwendungen kürzen, reagiert und eine | |
umstrittene Produktion aus dem Programm geworfen haben. | |
Aus Protest gegen diese Zensur organisierten Filmemacher kurzerhand eine | |
alternative Vorstellung. „So etwas hat es noch nie gegeben“, sagt der | |
israelische Filmproduzent Liran Atzmor, der federführend bei dem Protest | |
gegen die Kulturministerin und das Verhalten der Kinemathek war. Seit | |
Regevs Einzug in die Regierung verdüstert sich der Himmel über Israels | |
Kino. | |
„Es müssen Grenzen gezogen werden in den Filmen“, erklärte sie. Die | |
Diffamierung des Staates Israel und der Armee zu unterbinden ist ihr Ziel – | |
sie war zuvor Armeesprecherin. Dabei wolle sie „keineswegs die | |
Meinungsfreiheit beschneiden“, doch ob die Produktionen aus ihrem Budget | |
finanziert werden, stehe auf einem anderen Blatt. „Ich werde keine Münder | |
schließen, aber wenn wir zensieren müssen, dann werde ich das tun.“ Die | |
liberale Zeitung Ha’aretz kommentierte, Regev verhalte sich wie „die | |
Karikatur einer Faschistin“. | |
## Verfehlte Aufregung | |
Noch blüht Israels Filmproduktion. Rund „300 Dokumentarfilme und über 30 | |
Spielfilme“ seien im letzten Jahr gedreht worden, sagt Atzmor. Der Staat | |
fördert die Produktionen mit umgerechnet 20 Millionen Euro jährlich, die | |
anhand festgelegter Kriterien über eine öffentliche Kommission an fünf | |
Filmstiftungen verteilt werden. | |
Die Ministerin Regev droht, die Kriterien zu verändern, was beim | |
Justizberater der Regierung Warnlampen aufblinken lässt. Die Grenzen des | |
Dialogs in der israelischen Gesellschaft dürften nicht eingeengt werden, | |
verlautete aus dem Büro von Generalstaatsanwalt Jehuda Weinstein. | |
Ausschlaggebend für die Förderung dürften allein künstlerische und | |
professionelle Überlegungen sein. Regev bleibt stur: „Der Berater muss sich | |
in meine Entscheidungen über die Verteilung des Budgets nicht einmischen.“ | |
Liran Atzmor findet die Aufregung der Kulturministerin verfehlt. „Das Bild, | |
das die Regierung vom israelischen Film zeichnet, hat mit der realen | |
Situation nichts zu tun“, sagt er. Dass der Film politisch ist und sich vor | |
allem mit dem Nahostkonflikt beschäftige, „stimmte vielleicht Ende der 90er | |
Jahre, Anfang 2000, heute sind die Themen viel weiter gestreut“. Als | |
„völligen Unsinn“ empfindet Atzmor die „Hetze und Dämonisierung“ der | |
Ministerin gegen die Filmindustrie und die Medien. | |
## Gute Dokumentaristen | |
Ein Blick auf die Preisträger bei Docaviv, dem jährlichen | |
Dokumentarfilmfestival in Tel Aviv, genüge. In diesem Jahr gewann Sylvain | |
Biegeleisen mit „Twilight of a Life“ über seine 94-jährige, sterbende | |
Mutter den Wettbewerb, im vergangenen Jahr Avigail Sperber, die in | |
„Probation Time“ sich selbst und ihre drogenmissbrauchende Adoptivschwester | |
in den Mittelpunkt stellte, und 2013 ein Film über eine Tänzerin, „A | |
Dancer, a Pole and a Movie“. | |
Im Ausland sind es hingegen oft die politischen Filme, die wahrgenommen | |
werden. Die weltweit erfolgreiche TV-Serie „Homeland“ geht auf eine | |
israelische Fernsehproduktion zurück. Vier der fünf israelischen | |
Oscar-Anwärter seit 2000 hatten unmittelbaren Bezug zum | |
israelisch-arabischen Konflikt. Doch Atzmor, der 2013 den Film „The Law in | |
these Parts“ über Israels Rechtsprechung im Westjordanland produzierte, | |
wehrt sich gegen die Vorstellung, dass nur Filme mit diesem Sujet zu | |
internationalen Erfolgen gekommen seien. Themen wie Holocaust oder | |
Homosexualität schafften es auch. | |
## Kritik an der Armeezeit | |
15 internationale Preise und einen israelischen gewann die Regisseurin | |
Tamar Yarom 2007 mit „To See if I´m Smiling“, eine Dokumentation über jun… | |
israelische Frauen, die kritisch auf ihre eigene Armeezeit in den besetzten | |
Palästinensergebieten zurückblicken. Beim diesjährigen Docaviv zeigte Yarom | |
„The Pracht Inn“ nach dem Buch „Blumen der Finsternis“ von Aharon | |
Appelfeld. „Regev kann auf die Inhalte wenig einwirken“, sagt sie, da „die | |
Stiftungen und die Filmkommission unabhängig von der Regierung darüber | |
entscheiden, wem sie Geld geben und wem nicht“, anders als bei Theatern, | |
die direkt von den Ministerien gefördert werden. | |
Das Haifaer Theater Al Midan ist für die jüngste Produktion „Parallele | |
Zeiten“ über einen palästinensischen Terroristen ins Visier der | |
Kulturministerin geraten. Auch das Kindertheater Almina in Jaffa wird von | |
Regev nicht subventioniert. Norman Issa, der künstlerische Direktor von | |
Almina, der parallel am städtischen Theater von Haifa engagiert ist, hatte | |
sich geweigert, mit dem Haifaer Ensemble vor Siedlern im Westjordanland | |
aufzutreten. | |
Die Filmindustrie steht zwar nur indirekt unter der Kuratel der | |
Kulturministerin, trotzdem verändere sich für die Regisseure und | |
Drehbuchautoren „deutlich spürbar die Atmosphäre“ im Land, sagt Yarom. �… | |
hatte das Okay vom israelischen Erziehungsministerium, den Film an den | |
Schulen zu zeigen.“ Obwohl sich „einige Lehrer für den Film interessierten, | |
ist er in keiner einzigen Klasse gezeigt worden.“ Einer nach dem anderen | |
hätte einen Rückzieher gemacht. | |
## Die Schere im Kopf | |
Yarom glaubt zwar, dass sie auch heute für einen politisch kritischen Film | |
staatliche Fördergelder bekommen würde, gibt aber zu, dass die Stimmung in | |
Israel „bei vielen Filmleuten zu verstärkter Selbstzensur führt“. Ob die | |
Schere im Kopf schon beim Drehbuchautor ansetzt, beim Produzenten oder erst | |
bei der Filmförderung, lasse sich schwer sagen, meint Liran Atzmor. „Man | |
sieht es nicht, aber es ist klar, dass die Zensur da ist und stärker wird.“ | |
Er ruft zum Kampf gegen „die Regierung, die Filmkommission und auch die | |
Kinemathek Jerusalem“ auf. Es könne nicht angehen, dass ein Film auf | |
politischen Druck aus dem Programm genommen wird, schimpft er, „natürlich | |
auch dann nicht, wenn es sich um einen Film handelt, der eher rechts ist“. | |
Die beim Jerusalemer Filmfestival umstrittene Dokumentation „Beyond the | |
Fear“ dreht sich um Igal Amir, den rechtsreligiösen Mörder von | |
Regierungschef Jitzhak Rabin. „Unser Kampf gilt der freien Meinungsäußerung | |
schlechthin, nicht nur dem Schutz linker Filmemacher, die die Besatzung | |
kritisieren.“ Atzmor findet, dass mehr Vertrauen nötig sei. „Die Demokratie | |
Israels ist stark genug, um Kritik auszuhalten.“ | |
## Boykottaufruf gegen Israel | |
Das Dilemma der israelischen Filmemacher wächst wegen der antiisraelischen | |
Boykottkampagne. Miri Regevs radikaler Kampf gegen die ihr unbequemen | |
Kulturschaffenden bedrängt die Filmschaffenden von rechts und die Bewegung | |
für „Boykott, Kapitalabzug und Sanktionen“ (kurz: BDS) von links. Während | |
des Filmfestivals von Locarno zum Beispiel unterzeichnete Jean-Luc Godard | |
einen Boykottaufruf gegen Israel. | |
Liran Atzmor unterstützt zwar den Boykott grundsätzlich, denn, „bei all | |
dem, was hier passiert, scheint es nicht ohne internationalen Druck zu | |
gehen“, warnt aber gleichzeitig davor, dass die Kampagne „gerade die | |
reaktionären Kräfte in der Regierung, die die Meinungsfreiheit und die | |
freie Kunst in Israel beschneiden wollen, stärkt“. | |
Atzmor will sich weder von BDS noch von Miri Regev bei seinen Filmen | |
beeinflussen lassen. Ob mit oder ohne Förderungen zahle er bei seinen | |
Dokumentarfilmen fast immer drauf. „Leben kannst du sowieso nicht vom | |
Filmemachen.“ | |
26 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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