# taz.de -- Schule im Knast: Lernen, draußen zu bleiben | |
> In der JVA Luckau-Duben bietet der Unterricht eine Abwechslung zum Alltag | |
> im Hochsicherheitstrakt. Und es beginnt die Resozialisierung. | |
Bild: Flur im Zellentrakt der JVA Luckau-Duben | |
LUCKAU taz | Auf dem Gang stehen die Frauen. Einige warten direkt vor dem | |
Detektor. Eine Bedienstete durchwühlt die Taschen, klappert mit | |
Zigarettenschachteln, schaut in Leitzordner. Manchmal piepst es, | |
Überwachungskameras registrieren jede Bewegung. | |
Eine zierliche Frau mit langen rotblonden Locken und großen blauen Augen | |
hat die Sicherheitskontrolle bereits passiert. Sie lehnt neben dem Aquarium | |
im Pausenraum, blickt zum Lehrerzimmer, vorbei an Seelsorge, Turnhalle und | |
Kraftraum. | |
Seit fast drei Jahren sitzt Frau H. in dem 2005 erbauten | |
Hochsicherheitsgefängnis Luckau-Duben im südlichen Brandenburg. 83 Frauen | |
und 214 Männer, Schwerverbrecher und Kleinkriminelle, sollen hier | |
resozialisiert werden. Die Mörder, Vergewaltiger und Betrüger, die zusammen | |
auf einer „Piste“ wohnen, können sich täglich auch im Klassenzimmer | |
treffen. Um sich für die Fachoberschule und die Berufsbildung zu | |
qualifizieren oder sich in einem Vorkurs auf die Schule vorzubereiten. | |
Um 8 Uhr beginnt der Unterricht und dauert bis 11.30 Uhr. Danach werden die | |
Studierenden in ihre Zellen zurückgeführt, über Gänge, an denen | |
Gefangenenporträts neben einem Bild von Che Guevara hängen. | |
## Verschlossene Schulräume | |
Falls Nachmittagsunterricht ansteht, werden sie anschließend wieder zur | |
Schule abgeholt. Fünf Lehrer unterrichten Englisch, Mathe, Deutsch, Bio, | |
politische Bildung und Wirtschaft. Die drei Klassenräume sind grün oder | |
gelb gestrichen. Während des Unterrichts sind die Türen verschlossen. Die | |
Lehrer tragen einen Personensicherheitssystem bei sich, eine Art | |
Walkie-Talkie. Damit können sie im Notfall das Wachpersonal rufen. | |
„Gleich schließen sie uns ins Klassenzimmer“, sagt Herr J. zu seinem | |
Gegenüber. Der große, stämmige Mann mit dem kahl geschorenen Schädel und | |
den schweren Ohrringen streckt seinen tätowierten Arm nach vorn. „Da, der | |
Liebesbrief von deiner Frau, hat sie mir gestern im Unterricht gegeben.“ | |
Der Vierzigjährige ging draußen schon mal zur Schule, machte sogar einen | |
Abschluss. Die Knastschule besucht er, weil sie ihn an die Zeit draußen | |
erinnert. Außerdem will er sein Allgemeinwissen auffrischen, die neue | |
Rechtschreibreform studieren, Englisch lernen. Interessant findet er die | |
Debatte über TTIP. „Diese Schiedsgerichte sind ja krass, so wie die | |
zusammengesetzt sind, stehen die Urteile ja bereits vor der Verkündung | |
fest, und wer kann sich da überhaupt einen Anwalt leisten, bei den | |
Stundensätzen?“ | |
Draußen hatte sich Frau H. schon öfter vorgenommen, ihren Abschluss | |
nachzuholen. Ihre Kindheit verbrachte sie größtenteils im Heim. Mit 14 | |
landete sie auf der Straße und begann Heroin zu spritzen. Wegen Diebstahl | |
wurde sie inhaftiert. Im Knast kam sie zunächst in die Wäscherei, dann | |
machte sie den Europäischen Computerführerschein. In einem Computerraum | |
können die Gefangenen PC- und Internet-Grundlagenkenntnisse erwerben, aus | |
Sicherheitsgründen allerdings ohne Zugang zum Netz. | |
## Zehn Inhaftierte haben einen Schulabschluss erworben | |
Frau H. absolvierte als Beste die 10. Klasse. „Morgen ist Zeugnisausgabe, | |
ich fürchte, ich bin auch noch Schulbeste“, erklärt sie stolz. Frau H. | |
hinterfragt viel und führt gerne lebhafte Diskussionen. Wichtig ist ihr | |
auch die persönliche Beziehung zu den Lehrern. „Da kann man sich einmal | |
öffnen, was preisgeben. Sonst gilt hier einer für alle und alle für sich.“ | |
Früher übersetzte sie oft Lieder vom Englischen ins Deutsche, jetzt | |
schreibt sie vor allem Gedichte: “Wolkenverhangener Himmel, auf der Seele | |
liegt Schimmel. Hände, die sich Handschuhe überstreifen und Hände, die ins | |
Leere greifen. Ein Mund, der redet und nichts sagt und ein Mund, der | |
ausspricht, was sonst niemand wagt …“ | |
„Ich mag es, wenn man in der Schule nach vorne kommen muss, an die Tafel. | |
Wenn man das dann alleine kann, ist das ein Erfolgserlebnis“, erklärt Herr | |
J. „Vor der Klausur schrieb ich Mal einen Spicker, da bin ich ehrlich, aber | |
den brauchte ich dann nicht.“ Herr J. sitzt wegen Beihilfe zum Raub. Wegen | |
Raub mit Geiselnahme hatte er schon einmal „eingecheckt“. Zum ersten Mal | |
war Herr J. als Jugendlicher im Gefängnis, wegen Raub und Körperverletzung | |
in mehreren Fällen. | |
Seine Kindheit verbrachte auch er weitgehend im Heim. Der Vater hatte ein | |
Alkoholproblem und schlug öfters zu. „Ich hab auch früher schon gewusst, | |
dass ich gut reden kann, aber ich hab’s nicht angewendet, sondern immer | |
gedacht, ich muss mich körperlich durchsetzen. In der Schule ist mir klar | |
geworden, dass man verbal viel mehr schafft.“ In der 9. Klasse sitzen fünf | |
weitere Studierende. Zu Semesterbeginn waren es mehr als doppelt so viele. | |
Ein paar gaben auf, andere wurden entlassen oder verlegt. Bis zu 12 | |
Häftlinge können den Unterricht in einer Klassenstufe besuchen. Zehn | |
Inhaftierte haben dieses Jahr einen Schulabschluss erworben. | |
Es klingelt, die Lehrerin flitzt um die Ecke und legt los: „So, lesen Sie | |
nochmals den Text zur Theorie der Warren-Kommission. Den Film über die | |
Ermordung Kennedys haben wir ja letzte Stunde gesehen.“ Herr E. meldet | |
sich: „Können Sie mal die Tür aufschließen, ich muss aufs Klo.“ Herr R. | |
brüllt aufgebracht: „Das kann gar nicht sein, dass die Kugel siebenmal | |
durch einen Menschen durchging, die wird ja auch immer dicker.“ „Sehr gut�… | |
antwortet die Lehrerin. „Ha, habt ihr gehört, sehr gut hat sie gesagt“, | |
brüstet sich Herr R. Herr J. fügt hinzu: „Ich glaube, es war der | |
militärisch-industrielle Komplex, der da beteiligt war, und die Mafia, die | |
sind immer dabei.“ Frau L. zerreißt die ausgeteilten Blätter. „Den Schrott | |
brauch ich nicht mehr, morgen werd’ ich entlassen.“ „Pass bloß auf, sonst | |
bekommst heute nicht bezahlt“, meint Frau Z. | |
## Geduld nötig | |
Die JVA zahlt den Gefangenen eine Ausbildungsvergütung, stellt | |
Lehrmaterialien, organisiert Sportvergleiche und Freizeitangebote. „Wir | |
wollen, dass die Gefangenen, die lieber einen Schulabschluss machen, denen | |
die arbeiten, gleichgestellt sind“, sagt Antje Traue, Leiterin des | |
Bildungsbereichs: „Schulden oder finanzielle familiäre Verpflichtungen | |
dürfen nicht der Grund sein, warum Inhaftierte sich gegen ein | |
Bildungsangebot entscheiden.“ In Luckau-Duben können sie sich zur Fachkraft | |
im Gastgewerbe, der Metalltechnik oder zum Gebäudereiniger mit | |
Gesellenbrief ausbilden lassen. | |
Man könne durch den Unterricht versuchen, die Einstellung der Gefangenen zu | |
ändern und ihnen Werte vermitteln, konstatiert Traue. Bildung stärke oft | |
das Selbstbewusstsein, auch wenn man mit den Teilnehmern sehr geduldig sein | |
müsse. „Wir fordern sie, akzeptieren auch schlechte Tage, wissen damit | |
umzugehen und unterstützen. Sie können hier anfangen zu laufen, müssen dann | |
draußen alleine gehen. Wir geben nur den Krückstock an die Hand.“ | |
Nach der Haft möchte Herr J. wieder ein Tattoo-Studio eröffnen, sich mehr | |
um seine Kinder kümmern. „Jetzt denke ich, Mensch, wieso hab ich das früher | |
nicht genutzt, ich kann doch, ich hab doch Ideen.“ Frau H. hofft auf einen | |
Job, dann will sie ihren Sohn aus dem Heim holen. „Ich kann jetzt besser | |
mit Kritik umgehen, bin teamfähiger und würde gerne zeigen, dass ich doch | |
was drauf habe, wenn ich mir Mühe gebe.“ | |
Auf ihrem Zeugnis stehen fünf Einsen und eine Zwei, und dass Frau H. die | |
Fachoberschulreife auf dem Zweiten Bildungsweg absolvierte. Wo, steht dort | |
nicht. | |
5 Sep 2015 | |
## AUTOREN | |
Kristina Hille | |
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