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# taz.de -- Die Pille für weibliche Lust: Gleitgel fürs Gehirn
> In den USA ist nun „Pink Viagra“ zugelassen. Die Pille soll den Defekt
> beheben, dass Frauen nicht ständig Bock auf „Rock hoch, Hose runter“
> haben.
Bild: Wie diese „Jungen“ Pioniere sollen Frauen „immer bereit!“ sein.
Morgens bin ich aufgewacht, in die Küche getapert, hab das Radio
angeschaltet, und da war sie, die Nachricht: Jetzt ist sie da. Die Pille
für die Frau. Also nicht DIE Pille. Die gibt es schon lange und wird aus
Mangel an Alternativen und weil Kondome sich scheiße anfühlen und weil SIE
sonst das Kind im Zweifel allein aufziehen muss, jeden Morgen von vielen
Millionen Frauen auf der ganzen Welt eingeworfen. Für mehr Spaß am Sex.
Es gibt jetzt was Neues. Flibanserin. Viagra für Frauen. Die rosa Pille.
Die neue sexuelle Revolution. Am Mittwoch wurde es nach zwei gescheiterten
Anträgen in den USA als Medikament zugelassen.
Zur Erinnerung: Die „blaue Pille“ Viagra wirkt bei Erektionsstörungen; also
wenn Mann will, aber nicht kann. Es konzentriert das Blut im Penis und dann
steht er länger. Feine Sache.
Wie aber wirkt das entsprechende Mittel für Frauen? Wie Gleitgel?
Nee. Um der weiblichen Libido auf den Grund zu kommen, müssen wir in die
Psyche der Frau eindringen. Eindringen, jawohl! Das neue Medikament ist ein
Psychopharmakon, ursprünglich als Antidepressivum entwickelt. Es greift in
den Hormonhaushalt ein. Wie die Anti-Baby-Pille. Und muss, wie diese,
täglich genommen werden. Täglich!
So weit, so aberwitzig. Der Punkt ist, es funktioniert nicht mal! 15
Prozent der Frauen, die das Zeug geschluckt haben, hatten einmal mehr Sex
im Monat als die Vergleichsgruppe. 15 Prozent! Einmal im Monat! Bei
täglicher Einnahme!
Die Nebenwirkungen: Schwindelgefühle, Müdigkeit, Abgeschlagenheit,
Ohnmachtsanfälle.
Mich erinnert das alles sehr an die Beschreibungen sogenannter hysterischer
Frauen aus dem 19. Jahrhundert. Der Siegeszug der Psychoanalyse begann mit
der Therapie einer an „weiblicher Hysterie“ erkrankten Frau, der Freud in
seinen Schriften den Namen Anna O. gab. Es gilt heute als erwiesen, das die
Symptome der Frau einzig der Suggestion ihres Therapeuten zuzuschreiben
sind, die dieser dann wieder wegdiskutieren konnte.
Apropos Suggestion.
Die amerikanische Sexualwissenschaftlerin Emily Nagoski schreibt in ihrem
Blog „[1][The dirty normal]“ über weibliche Sexualität. Sie vertritt die
These, dass es unterschiedliche Arten von Begehren gibt: das spontane
Begehren, bei dem man völlig unvermittelt genau jetzt Lust auf Sex hat;
dieses Begehren, das uns in unserer Pubertät so gequält hat und das eher
Männern zugeschrieben wird.
Und dann gibt es das responsive Begehren; wir haben Bock, wenn wir in
Stimmung sind und uns wohl fühlen, wenn wir verliebt sind und jemand
anderes uns toll findet. Wenn uns etwas anturnt.
Das Problem ist, dass in unserer heutigen durchsexualisierten Gesellschaft
nur das spontane Begehren als normal gilt. Wer nicht allzeit bereit ist,
immer und überall Bock hat, den Rock hoch- oder die Hose runterzulassen,
mit dem stimmt etwas nicht. Heißt es. Um diesen angeblichen Defekt zu
beheben, wurde Flibanserin entwickelt.
Entschuldigung?
Vielleicht ist es einfach normal, wenn man nach 20 Jahren Ehe nicht mehr
täglich übereinander herfällt. Die Kinder müssen versorgt, der Kredit
abbezahlt werden und der Arbeitgeber droht mit Freistellung.
Es ist okay, wenn man abends müde ist! Man muss nicht unentwegt Sex haben.
Man kann auch mal ein Buch lesen. Oder es sich selber machen. Oder in
Urlaub fahren. Das entspannt.
Ich habe im Urlaub Sibylle Berg gelesen: „Der Tag, als meine Frau einen
Mann fand“. Da drin ist zum Thema Ficken in Langzeitbeziehungen eigentlich
alles gesagt. Im Radio haben sie gestern Morgen die Börsenkurse des
Pharmakonzerns, der das Zeug auf den Markt bringen wird, besprochen. Dessen
Aktienkurse sind wohl das Einzige, was von Flibanserin einen hochbekommen
wird.
19 Aug 2015
## LINKS
[1] http://www.thedirtynormal.com/
## AUTOREN
Lea Streisand
## TAGS
Sexualität
Psychopharmaka
Sexismus
Sex
USA
Liebe
Kino
Luft und Liebe
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