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# taz.de -- Die Wahrheit: Brotwehr ist Notwehr
> Nach dem Thalys-Anschlagsversuch müssen auch die Europäer mehr
> Eigeninitiative bei der Terrorabwehr zeigen.
Bild: Gerade alte Baguettes eignen sich hervorragend als Hieb- und Stichwaffen
Zum gesicherten Besitzstand der transatlantischen Folklore gehört die Rede
von den mutigen US-Amerikanern einerseits und den feigen Europäern
andererseits, zu denen natürlich auch die feigen Deutschen gehören. Der
Politikberater Robert Kagan hat 2003 ein ganzes Buch, „Macht und Ohnmacht“,
darüber geschrieben.
Laut Kagan kommen die US-Amerikaner vom Mars und sind daher mutige Krieger.
Die Europäer dagegen stammen von der Venus. Sie mögen Menschenrechte,
veranstalten Kuschelpartys, und wenn ein Bär kommt, rennen sie davon. Die
US-Amerikaner dagegen haben Thinktanks, die nur darüber reden, wie sie das
Fell des Bären verteilen, wenn sie ihn mit einer Drohne erlegt haben. Daher
sind sie für das 21. Jahrhundert militärisch und moralisch besser gerüstet.
## Von welchem Planeten stammen Engländer?
Im Mai 2015 schrieb die US-Bloggerin Pamela Geller von der „Cowardice of
Europe“, weil sie keine Pressekonferenz im Europäischen Parlament abhalten
darf. Frau Geller ist in der Verbreitung von Hass und Verachtung gegen
Muslime so engagiert, dass ihr in den USA nicht einmal mehr die
wertbewusste Conservative Political Action Conference (CPAC) zuhört, zu
deren Hauptsponsoren unter anderem die National Rifle Association zählt.
Dass sie nicht mehr nach England einreisen darf, kann bei feigen Europäern
nicht verwundern. Wobei niemand weiß, von welchem Planeten die Engländer
stammen.
Auch die Europäer kennen ihre feigen Europäer. Der österreichische Blog
„Kopten ohne Grenzen“ wusste 2011 Erschütterndes über die „Unverschämt…
der Moslems und Feigheit der Europäer“ zu berichten. Der Focus grübelte
nach dem Anschlag auf Charlie Hebdo über „Unsere Freiheit, unsere
Feigheit“. Viele freie Stimmen in der freien Welt des Internet wie der Blog
„As der Schwerter“ (“Die Deutschen sind erbärmliche Feiglinge“), Micha…
Mannheimer (“Feige Deutsche schreiten in U-Bahn nicht ein“) und Henryk M.
Broder (“Ihr feigen Deutschen seid passiv-aggressiv!“) leisten ihren
Beitrag zu einem differenzierten und pluralistischen Meinungsbild.
## Weniger Staat, mehr Bürgersinn
Anlässlich des verhinderten Anschlags im Schnellzug Thalys hat sich vor
einigen Tagen in der FAZ auch Lorenz Hemicker zu Wort gemeldet, der weiß,
„Warum es Amerikaner waren“. Hemicker plädiert für mehr Eigeninitiative b…
der Terrorismusbekämpfung. Weniger Staat, mehr Bürgersinn ist gefragt. „Im
Angesicht eines Terroranschlags kann sich der Einzelne auf keine staatliche
Autorität mehr verlassen und muss, so er es denn kann, das Schicksal in die
eigene Hand nehmen.“ Wie bei der Rente halt auch.
Wie gut, dass es so viele Beispiele für beherzte Demokraten in diesem Land
gibt. Im Jahr 2011 vertrieb eine Bäckereiverkäuferin in Bad Oeynhausen eine
Räuberin, indem sie ihr ein Brot an den Kopf warf. 2012 schubste ein
Juwelier in Stuttgart zwei bewaffnete Räuber aus seinem Ladengeschäft. 2014
wurde ein Nato – korrigiere – Netto-Überfall durch zwei männliche Kunden …
wehrfähigen Alter in Hamburg-Lohbrügge verhindert, die den Täter trotz
Schusswaffe überwältigten. Für die Eigensicherung von 80 Millionen ist wohl
das Modell „Brotwehr ist Notwehr“ am einfachsten zu verwirklichen: Es gibt
Bäckereien in Berlin, mit deren Brötchen man einen Elch erschlagen kann,
wenn sie älter als 30 Minuten sind.
## Schrippenpflicht für Bahnreisende
Also warum nicht Schrippenpflicht für Bahnreisende als ersten Schritt in
die bewaffnete Zivilgesellschaft? Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen,
dass wir uns nicht ewig auf unsere Rentner verlassen können. Ja, richtig,
die Rentner. Sie bilden den Grundstock der bürgerschaftlichen
Eigensicherung. In Norderstedt hielt sich 2008 ein alter Mann den Angreifer
mit dem Spazierstock vom Leib. In Remscheid vertrieb 2012 ein 79-Jähriger
den Aggressor mit Pfefferspray. Ein Jahr später schützte in Ratingen ein
71-Jähriger sich und seine 92-jährige Lebensgefährtin, indem er dem
Gewalttäter auf der Straße liegend herzhaft in die Eier trat.
Im Jahr 2010 schoss ein 77-Jähriger einem von fünf jugendlichen Einbrechern
in den Rücken, als der sich zur Flucht wandte. Der 16-Jährige starb. Als
einfühlsamer Beobachter geht Hemicker auf derartige Missgeschicke natürlich
nicht näher ein: „In den Vereinigten Staaten glauben die Menschen an die
eigene Wehrhaftigkeit. Das führt mitunter zu anderen Problemen.“ Hoffen
wir, dass beim nächsten Amoklauf eines Veteranen genug Soldaten da sind,
die couragiert eingreifen.
All jene, die hierzulande aus Feigheit den wehrhaften Griff zum Wurfbrot
verweigern, können sich auf Ambrose Bierce berufen, der im US-Bürgerkrieg
kämpfte und mit Pancho Villa durch Mexiko zog: „Ein Feigling ist ein
Mensch, bei dem der Selbsterhaltungstrieb normal funktioniert.“
26 Aug 2015
## AUTOREN
Rob Alef
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Krieg
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Terrorismus
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Schwerpunkt Frankreich
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