| # taz.de -- Debatte Repression in Aserbaidschan: Schockierender Ölpreis | |
| > Das Land erlebt eine beispiellose Welle der Repression. Das Regime fühlt | |
| > sich bedroht. Doch die Krise könnte auch eine Chance sein. | |
| Bild: Das Regime steht auf Pomp: Abschlusszeremonie zum Ende der Europa-Spiele … | |
| Zwei Mal war ich in Aserbaidschan im Gefängnis inhaftiert, nur weil ich die | |
| Regierung offen kritisiert hattee. Mein Schwager, Nizami Aghabayov, wurde | |
| auch verhaftet. Er muss möglicherweise bis zu 12 Jahren in Haft, nur weil | |
| ich in Berlin die unabhängige online-Plattform „Meydan TV“ gegründet habe, | |
| um über die Situation in Aserbaidschan zu berichten. Aber die letzte Nummer | |
| von Präsident Ilham Alijew hat sogar mich schockiert. 23 meiner Verwandten | |
| wurden gezwungen, an Alijew einen Brief zu schreiben, in dem sie sich von | |
| mir distanzieren. So etwas hat es in Aserbaidschan seit Stalin nicht mehr | |
| gegeben. | |
| Warum unter diesen Bedingungen nicht einfach schweigen? Wozu alle diese | |
| Opfer und Risiken? Weil es unmöglich ist, diese Erniedrigungen durch den | |
| Staat und durch diese kriminelle Regierung zu akzeptieren. Auch wenn dieser | |
| Staat bereit ist, seine Gegner zu töten, zu verhaften und zu foltern. | |
| Derzeit gibt es an die 100 politische Gefangenen in Aserbaidschan. Die | |
| führenden Menschenrechtler, Journalisten und Politiker sitzen im Knast. Die | |
| Geschichte von Leyla und Arif Yunus, bei der die Regierung die ganze | |
| Familie der führenden Menschrechtler pauschal ins Gefängnis geworfen hat, | |
| zeigt auch womit wir es in Aserbaidschan zu tun haben. Leyla und Arif Yunuz | |
| sind alte und kranke Leute, sie werden mehrere Jahre im Gefängnis mit | |
| Sicherheit nicht überleben. Deswegen können wir über eine de facto Rückkehr | |
| der Todesstrafe reden. | |
| Die Frage ist, warum findet diese neue Repressionswelle gerade jetzt statt? | |
| Präsident Alijew fühlt sich nicht mehr so sicher an der Macht wie früher. | |
| Alijew ist 2003 an die Macht gekommen, zu einer Zeit des hohen Ölpreises | |
| und der steigenden Ölexporte. Und jetzt kommt mit niedrigen Ölpreisen und | |
| sinkender Ölproduktion der erste richtige Test für seine autoritäre | |
| Infrastruktur. | |
| Der Regime in Aserbaidschan fußt auf einem einem Klansystem. Weniger | |
| Öleinahmen bedeuten in diesem Systen weniger Loyalität, mehr | |
| Arbeitslosigkeit und programmierte sozialpolitische Spannungen. Das zeigt | |
| sich gegenwärtig in der Stadt Baku wie in den gesamten Regionen des Landes. | |
| ## Die Währung verfällt | |
| Die heftigen landesweiten Proteste finden aus verschiedenen Gründen statt, | |
| aber der strukturelle Grund ist die sich verschlechternde soziale und | |
| wirtschaftliche Lage der Bevölkerung, die wachsende Korruption und der | |
| Mangel an Vertrauen in die Regierung, Polizei oder in die vom Präsidialamt | |
| gelenkten Gerichte. Die Regierung sah sich angesichts der Proteste | |
| gezwungen zusätzliche Polizeieinheiten zu verlegen, um die Proteste im Keim | |
| zu ersticken. Aber wie lange kann sie das tun in Zeiten der niedrigen | |
| Ölpreise? | |
| Die fallenden Ölpreise könnten so gesehen in dieser Realität zu wichtigen | |
| Reformen und zu grundlegenden politischen Änderungen führen. Aserbaidschan | |
| ist eines der Länder, in dem der politisches Status Quo unter den Druck der | |
| neuen wirtschaftlichen Bedingungen geraten könnte. | |
| Das Staatsbudget hängt zu 70 Prozent von Kohlenwasserstoffen ab. 95 Prozent | |
| der Exporteinnahmen werden durch den Verkauf der Energieressourcen auf dem | |
| Weltmarkt erzielt. Bei der Budgetplannung wurden die Ölpreise auf dem | |
| Niveau von 90 US-Dollar pro Barrel kalkuliert. Jetzt ist der Ölpreis auf | |
| dem Weltmarkt aber unter 50 Dollar gesunken. Das hat schon zur Abwertung | |
| Nationalwährung Manat um rund 34 Prozent am Anfang des Jahres geführt. | |
| Viele andere Preise sind als Ergebnis dieser Entwicklungen gestiegen. | |
| Ähnliche Prozesse finden auch in Russland und Kasachstan statt. Experten | |
| sind der Meinung, dass die Ölpreise noch über längere Zeit auf diesem | |
| niedrigem Niveau verbleiben können. Das wird den Autokraten in der Region | |
| nicht helfen, im Gegenteil. | |
| Die EU und die europäischen Staaten haben bis heute versucht, das Regime | |
| von Alijew zu tolerieren und zu unterstützen. Das führt so weit, dass | |
| abstrakte Themen wie Menschenrechte, Demokratie, Rechtssaat und | |
| Pressefreiheit bei Präsident Alijew gar nicht erst angesprochen werden. | |
| Diskutiert wird statt dessen nur über Öl, Gas und deren Lieferungen. | |
| Einige europäische Staaten treten nun zurück, sie stellen die Unterstützung | |
| ihrer früherer Partner aus der Zivilgesellschaft ein, wenn Alijew sie | |
| verhaften lässt und die Nichtregierungsorganisationen in Baku schließt | |
| (2014 wurden die letzten unabhängigen NGOs dicht gemacht). Das ist eine | |
| gefährliche Politik, vor allem in den Zeiten der kommenden Krise. | |
| ## Europa ist gefragt | |
| Es gibt bis heute Dissidenten, kleine politische Gruppen und unabhängige | |
| Medien, die in kritischen Zeiten die friedliche, demokratische und säkulare | |
| Transformation steuern könnten. Wenn es in den nächsten Monaten und Jahren | |
| Präsident Alijew nicht gelingt, diese Gruppen vollkommen zu zerschlagen, | |
| dann ist damit zu rechnen, dass Aserbaidschan im Stande sein wird, die | |
| kommende Krise auch als Chance zu begreifen und sich darüber auf eine neue | |
| Stufe der Entwicklung zu erheben. | |
| Aber dafür braucht es internationale demokratische Akteure, vor allem | |
| Staaten, die mehr Verantwortung übernehmen, und die die Zivilgesellschaft | |
| in Aserbaidschan wie im ganzen postsowjetischen Raum unterstützen, und die | |
| nicht nur nackte Realpolitik betreiben. | |
| Es ist wichtig das Deutschland und die anderen europäischen Staaten vor | |
| allem die unabhängigen Medien in Aserbaidschan und in der Region direkt und | |
| offen unterstützen. Verhängnisvoll wären Rückschritte bei der Demokratie, | |
| genauso wie die Toleranz der Diktaturen oder eine Politik des Appeasements. | |
| Aserbaidschan braucht - wie Russland und die gesamte Region - eine Art | |
| Marshallplan zur Unterstützung der unabhängigen Medien. | |
| Die Realität ist leider eine andere. Als ich 2013 nach Berlin kam, hat mir | |
| Christian Mihr, Direktor bei „Reporter Ohne Grenzen“, gesagt „In | |
| Deutschland wird Dich keiner verstehen und unterstützen.” Leider hatte er | |
| zu einem großen Teil Recht behalten. So heißt es in einem Brief an Meydan | |
| TV ausdrücklich: „Ihr Projekt entspricht nicht der Menschenrechtspolitik | |
| der Bundesregierung in Aserbaidschan”. | |
| 30 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Emin Milli | |
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