# taz.de -- Porträt über Regisseur Fabian Gerhardt: Der Spielmacher | |
> Der Theaterregisseur Fabian Gerhardt beschäftigt sich mit | |
> Machtverhältnissen und der Suche nach dem echten Moment. | |
Bild: Fabian Gerhardt redet über sich, wie über eine Figur in seinen Inszenie… | |
Othello rast vor Eifersucht. Er zittert, schnauft, seine Augen starren ins | |
Leere. Der Verdacht, seine Ehefrau Desdemona könnte ihn betrogen haben, | |
beherrscht seine Gedanken. Jago hat diese Zweifel an Desdemonas Treue | |
gestreut – aus Rache, weil der Feldherr Othello ihn nicht befördert hat. | |
Obwohl Desdemona eine selbstbewusste Frau ist, steht ihre soziale Rolle von | |
Anfang an fest: Sie ist das Opfer. Die Männer dominieren. In der | |
modernisierten Version von Shakespeares „Othello“, die am Theaterdiscounter | |
die Spielzeit beschloss, geht es um Machtstrukturen – wie in vielen | |
Inszenierungen des Regisseurs Fabian Gerhardt. Das Thema zieht sich wie ein | |
roter Faden durch seine Biografie. | |
Ihm selbst war das lange nicht bewusst. „Ich glaube, es stimmt so sehr, | |
dass es für mich schon selbstverständlich ist“, sagt er. Der 43-jährige | |
Berliner sitzt auf einer Bank im Park am Gleisdreieck in der Nähe des | |
Naturspielplatz, für Gerhardt eine Oase in der Stadt. Zwei Tage zuvor ist | |
er mit seinen beiden Söhnen umgezogen. In den letzten sieben Monaten hat er | |
acht Premieren herausgebracht. Jetzt braucht er Zeit, um anzukommen. | |
Seine Hemdsärmel sind hochgekrempelt, die Arme tätowiert. Fabian Gerhardt | |
redet viel und ist dabei ungewöhnlich offen. Er erzählt von inneren Krisen | |
und analysiert sich, als sei er selbst eine Figur in einem seiner | |
Theaterstücke. | |
## Autoritäten vertraut | |
Hierarchien haben in seinem Leben immer eine Rolle gespielt. Als Kind | |
wollte er Polizist werden. Autoritäten vertraute er blind. „Lehrer hatten | |
für mich fast schon einen göttlichen Status.“ Er fand sich leicht in | |
Strukturen ein, suchte nach Anerkennung und Halt. Seine Eltern trennten | |
sich, als er sechs Jahre alt war. Er spricht viel vom Verlust, vom | |
Vertrauensbruch, von der fehlenden Vaterfigur. Es war eine traumatische | |
Erfahrung. | |
Die persönlichste Geschichte, die er je inszeniert hat, sei das Stück | |
„Kaspar“ von Handke am Hans Otto Theater in Potsdam gewesen. „Es geht um | |
einen Jungen, der immer versucht, alles richtig zu machen.“ Die sogenannten | |
Einsager trichtern dem Findelkind Worte ein, foltern ihn verbal. Am Ende | |
bleibe von Kaspar nicht viel übrig, sagt Gerhardt. | |
Fabian Gerhardts Vater Ulrich ist ein bekannter Hörspielregisseur, seine | |
Mutter Eike Schauspiellehrerin. Werner Rehm, Darsteller an der Schaubühne, | |
war sein „Theaterpapa“ und wurde nach der Trennung seiner Eltern zu einer | |
Bezugsperson. Als er selbst den Weg des Schauspielers einschlug, fragte er | |
sich oft: „Ist es das, was ich will? Oder erfülle ich damit nur die | |
Biografien meiner Eltern?“ Die Suche nach seiner Identität war für ihn ein | |
Kampf. | |
Nach einem Schauspielstudium in Hannover gehörte er in Leipzig, Bremen, | |
Hannover und zuletzt in Dresden zum festen Ensemble. Zwei Mal wurde er zum | |
Berliner Theatertreffen eingeladen. Er war stolz auf das, was er erreicht | |
hat, und fühlte sich trotzdem lange nur wie jemand, der aus der Zunft | |
kommt. | |
## Beziehung zur Stadt | |
Mit 35 Jahren wurde er Regisseur. Nach „Besessen“ von Corraxía Cortez | |
schaffte er mit Athol Fugards „Die Insel“ am Staatsschauspiel Dresden 2010 | |
den Durchbruch. Die Aufführung wurde an das Deutsche Theater Berlin und das | |
Thalia Theater Hamburg eingeladen. | |
„Du brauchst einfach so ein Ding, wo es Klick macht.“ In dem Stück geht es | |
um zwei Männer, die sich eine Zelle auf einer Gefängnisinsel teilen. Um die | |
Realität zu ertragen und ihre Würde zu wahren, proben sie heimlich eine | |
Szene aus einer griechischen Tragödie. Da er die Rollen mit zwei Studenten | |
besetzte, galt er daraufhin als „der Schauspieler, der jetzt inszeniert und | |
gut mit Studenten kann“, erzählt Gerhardt. | |
Inzwischen ist er dort angekommen, wo er sein will: als Theaterregisseur | |
mit Basis in Berlin. An welchem Theater er inszeniert, bedeutet ihm nicht | |
viel. Seine Eitelkeit habe er bereits als Schauspieler befriedigt. „Klar | |
merke ich, dass die Leute anders reagieren, wenn ich sage, dass ich am | |
Deutschen Theater arbeite, aber das ist mir ziemlich egal.“ Wichtiger als | |
das Label sei ihm der Zusammenhalt. | |
Zudem brauche er eine Beziehung zur Stadt. Er fühle sich schnell | |
entwurzelt. „Wie andere Kollegen von Stadt zu Stadt zu reisen, könnte ich | |
psychisch nicht.“ In ein paar Filmen hat er mitgespielt, als Filmregisseur | |
könnte er jedoch nicht arbeiten. Er denke nicht in Bildern, sondern in | |
Vorgängen, erklärt Fabian Gerhardt. | |
## Musik hat immer recht | |
Aus diesem Denken in Vorgängen schlägt er oft ein großes Tempo und viel | |
Humor heraus. Urkomisch wirkt es, wenn der Schauspieler Anton Weil im | |
„Othello“ plötzlich seine Rolle wechselt und er nicht mehr Jagos treudoofen | |
Gehilfen spielt, sondern dessen Ehefrau. | |
Dabei sucht Gerhardt auf der Bühne oft nach dem wahren Moment, der die | |
Zuschauer überrascht. Das Schauspiel soll sich nicht inszeniert, sondern | |
echt anfühlen. Um eine solche Energie in seinen Stücken zu erzeugen, | |
braucht er viel Freiraum für Kreativität. Musik ist sein erster Ansatz. | |
Erst dann wisse er, wie das Stück wird, denn Musik habe immer erst mal | |
recht. | |
Zudem lässt er seine Schauspieler_innen zunächst improvisieren und ohne | |
Text spielen. „Wenn Schauspieler improvisieren dürfen, kommen von ihnen so | |
viele Angebote“, sagt Gerhardt. Für ihn als Regisseur sei das dann eine | |
einfache Arbeit. Er müsse nur annehmen und auswählen, sowie entscheiden, | |
was er festlegt und was er offen lässt. „Ich hatte schon immer so das | |
Spielmacher-Ding in mir“, sagt er. Im geschützten Rahmen des Theaters kann | |
er sich austoben. | |
„Wir alle haben mit Machtstrukturen zu tun. Worin wir uns unterscheiden, | |
ist, wie wir uns ihnen entziehen.“ Seine Art ist, immer wieder in seinen | |
Stücken davon zu erzählen. | |
In „Wunderland“, einem Projekt an der Universität der Künste Berlin, find… | |
sich Alice in einer kafkaesken Welt wieder mit Regeln, die alle befolgen, | |
aber niemand versteht. Am Hans Otto Theater Potsdam thematisiert „Die Kunst | |
des negativen Denkens“ Geschlechterrollen und das Leben mit Behinderungen. | |
In seiner nächsten Premiere „3000 Euro“ von Thomas Melle widmet sich | |
Gerhardt dem gesellschaftlichen Abstieg in einer egoistischen Welt. Im | |
Februar nächsten Jahres führt er „Michael Kohlhaas“ von Kleist am | |
Staatsschauspiel Dresden auf: Ein Mann, der auf seine Ohnmacht mit Terror | |
reagiert. | |
10 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Julika Bickel | |
## TAGS | |
Macht | |
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Kulturhauptstadt | |
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