| # taz.de -- Leiter der American Academy in Berlin: Der Wannsee ist kein Ozean | |
| > Der ehemalige Stanford-Präsident Gerhard Casper leitet nun die American | |
| > Academy in Berlin. Eine Begegnung im Haus Cramer. | |
| Bild: Gerhard Casper vor der Villa Cramer. | |
| Berlin taz | Stanford. Natürlich. Wenn es einen Ort in dem an | |
| amerikanischen Stätten reichen Berlin gibt, der Gerhard Casper entspricht, | |
| dann ist es das Haus Cramer in Dahlem. Es ist die deutsche Außenstelle der | |
| US-Eliteuniversität aus Kalifornien. Neun Jahre war Casper Stanfords | |
| Präsident, und noch im dicht begrünten Vorgarten der Villa fängt der | |
| Verfassungsrechtler an zu erzählen. | |
| Über die Geschichte des Hauses, das der Architekt Hermann Muthesius Anfang | |
| des 20. Jahrhunderts entworfen hat, und das Glück, dass es seit nunmehr 15 | |
| Jahren im Besitz der Universität ist. Dafür gesorgt hat auch Casper, im | |
| letzten Jahr seiner Präsidentschaft setzte er den Kauf gemeinsam mit einem | |
| Alumnus der Uni um. Aus Sorge, es könne zu einer weiteren Botschaft werden, | |
| von denen das Haus Cramer ringsherum eingerahmt wird. | |
| So gehen weiterhin Studenten in dem denkmalgeschützten Haus ein und aus, | |
| nur im Berliner Sommer sind die Räume verwaist, der Flügel im Wohnzimmer | |
| ist mit einem schwarzen Überzug abgedeckt. Ein guter Ort für ein Gespräch | |
| mit Gerhard Casper, dem gebürtigen Hamburger, der seinen deutschen Pass | |
| schon lange gegen einen amerikanischen eingetauscht hat. Nicht Stanford, wo | |
| er immer noch in Gremien tätig ist, sondern die American Academy führt den | |
| Professor für ein gutes Jahr zurück in die Heimat. Doch was ist Heimat für | |
| den 76-Jährigen, der von sich selbst sagt, er habe, bedingt durch sein | |
| Leben in Deutschland und Amerika, eine „komplizierte Identität“? | |
| Deutschland ist es nicht mehr. „Amerika ist meine Heimat.“ Die hanseatische | |
| Herkunft scheint durch in seinem Deutsch, in das sich nur sehr selten ein | |
| englisches Wort einschleicht. Seit 1964 lebt er in den USA, zunächst in | |
| Kalifornien, dann mehr als zwei Jahrzehnte in Chicago, wo er an der | |
| University of Chicago lehrte, bevor er nach Stanford ging. | |
| ## Akademisch vernetzt | |
| Gute Voraussetzungen, um als Präsident und geschäftsführender Direktor für | |
| die 1994 gegründete Academy zu wirken, die Künstler, Wissenschaftler und | |
| Journalisten nach Berlin einlädt, um in der Villa am Wannsee an ihren | |
| Projekten zu arbeiten und den transatlantischen Dialog zu fördern. Wannsee | |
| statt Atlantik oder Great Lakes, kann das gut gehen? „Der Wannsee ist sehr | |
| schön, aber anders als Lake Michigan ist er kein Ozean“, sagt Casper. Eine | |
| Umstellung also. | |
| Inhaltlich knüpft Casper mit seiner Biografie leicht an. In der | |
| akademischen Welt vernetzt zu sein ist hilfreich in der Academy, wobei er | |
| selbst seine Rolle bescheiden sieht. Die Strahlkraft der Academy sei es, | |
| die die Bewerber nach Deutschland ziehe, und mit der Auswahl der | |
| Stipendiaten habe er als Präsident ohnehin nichts zu tun. Dem Programm der | |
| Denkfabrik will er aber schon seine Handschrift geben. | |
| Als „Distinguished Visitor“ in Berlin zu Gast ist auch Nobelpreisträger | |
| Eric Kandel, Neurowissenschaftler, der sich mit Psychologie und Kunst | |
| auseinandersetzt. „Wir haben nicht so viele Naturwissenschaftler, weil sie | |
| es sich meistens nicht leisten können, so lange ihr Labor zu verlassen“, | |
| sagt Casper. Er will den bilateralen Dialog breiter machen, ein wenig | |
| globaler, bei allem Schwerpunkt auf die deutsch-amerikanischen Beziehungen. | |
| Auch mehr junge Leute will er an die Academy holen. Die Gäste der | |
| Veranstaltungen hätten doch zumeist seine Haarfarbe, sagt Casper. Es ist | |
| weiß. Für einen, der seine Karriere jungen Menschen und ihrer Ausbildung | |
| gewidmet hat, ein Anliegen. | |
| ## Dem Wahlkampf entkommen | |
| Viel Zeit, seine Pläne umzusetzen, hat Casper nicht. Er ist nur für eine | |
| Übergangszeit an der Spitze der Academy, bis ein Nachfolger gefunden ist. | |
| Unkapriziös sitzt er mit in der Auswahlkommission. Für den Job auf Zeit hat | |
| Casper ein Visum beantragt, er lacht, als er danach gefragt wird, so | |
| unwirklich ist das eigentlich, denn – Pass hin oder her – die Herkunft aus | |
| Hamburg betont er ein ums andere Mal. Ein Jahr reicht das Visum nun, dann | |
| geht es zurück nach Kalifornien. Für Berlin und die Academy sprach neben | |
| der Chance, noch einmal längere Zeit in Deutschland zu verbringen, noch | |
| mehr: „Ich wollte dem amerikanischen Wahlkampf entfliehen“, sagt Casper. | |
| Die Augen hinter der randlosen Brille werden dabei ein bisschen schmaler, | |
| bevor er wieder lacht. | |
| Kein schlechter Scherz. Die amerikanische Politik und Gerhard Casper haben | |
| eine eigene kleine Geschichte, und in ihrem Zentrum steht Condoleezza Rice. | |
| Nicht selten heißt es, er habe es zu verantworten, dass Rice | |
| Sicherheitsberaterin unter dem Präsidenten George W. Bush wurde. So geht | |
| Legendenbildung. Tatsächlich aber machte Casper Rice 1993 zum Provost von | |
| Stanford, zur zweiten Frau hinter ihm, dem Präsidenten. Ein Karriereschritt | |
| für Rice. „Wir hatten ein gutes Arbeitsverhältnis“, erinnert sich Casper. | |
| Über die weitere Karriere von Rice spricht Casper nicht, doch die Politik, | |
| die Bush und Rice forcierten, entsprechen nicht seinen politischen Ideen | |
| und Vorstellungen; den Krieg im Irak lehnte er entschieden ab. | |
| Mit Jeb Bush könnte sich die Ära der Bushs im Weißen Haus kommendes Jahr | |
| fortsetzen. Hanseatisch zurückhaltend äußert sich Casper auch dazu nicht. | |
| Doch als Chef der American Academy wird er dem US-Wahlkampf auch in Berlin | |
| nicht entgehen. Dann also die Metaebene: Demokratie und Aristokratie seien | |
| nur schwer zu verbinden, so Casper. Eine Anspielung auf die Politfamilien | |
| Bush und Clinton. Doch wer weiß, vielleicht kommt am Ende doch ein guter | |
| Präsident heraus – und nur das zähle schließlich. Leistung, der Wert von | |
| etwas, da ist Casper schnell wieder bei seinem Thema: Bildung. | |
| In den neun Jahren als Standford-Präsident hat er 2.2 Milliarden Dollar für | |
| die Universität eingesammelt. Auch in Deutschland hat sich Casper immer für | |
| Universitätsgebühren ausgesprochen, gekoppelt mit einem ausgeprägten | |
| Stipendienprogramm. Ob das nicht nur Eliten fördert? Da unterscheidet | |
| Casper genau: Eliten im Sinne von Macht lehne er ab. Aber „wenn Eliten das | |
| Ergebnis eines Auswahlprozesses sind, bin ich sehr für sie“. Besser werden, | |
| Leistung fördern, Caspers eigene Karriere zeugt davon. Sein erstes Vorbild | |
| ist seine Deutsch- und Geschichtslehrerin Erna Stahl in Hamburg, seitdem | |
| sind einige dazugekommen. Partner nennt Casper diejenigen, mit denen er in | |
| seiner langen Karriere zusammengearbeitet hat. Bekannte Namen sind | |
| darunter, wie Hanna Ahrendt, mit der er gemeinsam in den USA ein Seminar zu | |
| den Nürnberger Prozessen organisierte. Sein Leben: Bildung, Wissen, | |
| Aufklärung. | |
| ## Dialog vertiefen | |
| Das Engagement für die Academy, wo er lange Jahre im Kuratorium saß, | |
| schließt daran an. Die Fellows beschäftigen sich mit Grundfragen des | |
| kulturellen Austauschs und langfristigen Perspektiven. Und auch, wenn beide | |
| Länder wohl oft voneinander meinen, schon alles übereinander zu wissen, | |
| sieht Casper großen Bedarf, den Dialog zu vertiefen. „Kenntnisse über | |
| Amerika sind in Deutschland nicht weit verbreitet, und umgekehrt gilt das | |
| genauso. Klischees tendieren dazu, die Ansichten zu bestimmen.“ Wer könnte | |
| die Klischees besser ausräumen als der Deutsche mit US-Pass, der seinen | |
| Ehering – kulturell klar verortet – am linken Ringfinger trägt. Näher am | |
| Herzen, sagen die Amerikaner. Was Gerhard Casper nah am Herzen ist, | |
| verbirgt er nicht. Er ist Universitätsmensch durch und durch. | |
| Da gerät das Erzählen manchmal zum Dozieren, nicht von oben herab, vielmehr | |
| sachlich, Wissen vermittelnd. Beispiel Revolutionen: Da neige Deutschland | |
| dazu, stets die Französische Revolution zu zitieren, dabei hätten die | |
| Amerikaner doch früher revoltiert, und diese habe sehr wohl Einfluss auf | |
| die Französische gehabt. Da ist er, der Amerikaner, leise, aber präzise in | |
| seiner Kritik. Kritik üben – auch in diesem Punkt gehen die Auffassungen | |
| zwischen den Welten USA und Deutschland auseinander. Für Casper ist Kritik | |
| etwas absolut Positives, notwendig, um besser zu werden. Ein Ansporn, egal | |
| von wem: „Die wichtigsten Partner sitzen im Hörsaal, es sind die | |
| Studenten“, sagt er. Nichts sei besser, als wenn eine Studentin den | |
| Professor korrigieren würde – und recht habe. Gerhard Casper glaubt man das | |
| sofort. | |
| 9 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Rieke Havertz | |
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