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# taz.de -- Kolumne Gott und die Welt: Wettkampf mit jüdischer Sporthistorie
> Die Makkabiade soll das Berliner „Reichssportfeld“ von den Geistern der
> NS-Vergangenheit befreien – mit jüdischen Sportlern.
Bild: Eindrücke von der Makkabiade in Berlin 2015: Im Foyer des Turnhauses pra…
Es ist zwanzig Jahre her, dass das französisch-bulgarische Künstlerehepaar
Christo und Jeanne Claude den Berliner Reichstag verhüllte: Vom 24. Juni
bis zum 7. Juli 1995 war dieses Gebäude, das Ende Februar 1933 von den
Nationalsozialisten angezündet wurde, um dieses Ereignis den Kommunisten in
die Schuhe zu schieben und deren Grundrechte außer Kraft zu setzen, mit
einem Polypropylengewebe verhüllt.
Das während des Kalten Krieges im Britischen Sektor gelegene Haus wurde vor
den neunziger Jahren kaum genutzt; vor dem Neubau mit der zunächst
umstrittenen Kuppel des britischen Architekten Norman Foster lag es als
toter Baukörper in Westberlin. Christos Verhüllung fungierte als eine Art
Geisteraustreibung, als ein Exorzismus durch Kunst.
Zwanzig Jahre später wird Berlin Zeugin eines weiteren Exorzismus: Die
Makkabiade auf dem Gelände des Berliner Olympiastadions soll Berlin und das
von den Nationalsozialisten so genannte „Reichssportfeld“, auf dem 1936
Hitlers Olympische Spiele stattfanden, von den Geistern dieser
Vergangenheit befreien. Wenn jüdische Sportlerinnen und Sportler aus aller
Welt sich dort Wettkämpfe liefern, scheint die Beschämung durch das
rassistische, antisemitische Sportritual von 1936 gebannt zu sein.
Dass sich das Interesse des Berliner Publikums in Grenzen hält, ist nur zu
verständlich: warum auch sollte man sich Wettkämpfe auf dem Niveau von
Amateurligen nur deswegen ansehen, weil die TeilnehmerInnen Jüdinnen und
Juden sind? Das Gegenteil wäre beunruhigend!
Immerhin lohnt ein Blick in die Geschichte der jüdischen Sportbewegung:
entstand sie doch als Reaktion auf den Ausschluss beziehungsweise die
Nichtzulassung von Juden in Sport- und Turnvereine im Deutschen Reich sowie
in Österreich-Ungarn, zumal in Prag, seit Ende des 19. Jahrhunderts.
## Judenfeindschaft der hellenistischen Syrer
Die Namen dieser Vereine orientierten sich an jüdischen Gestalten der
Antike, etwa den Makkabäern, die im zweiten Jahrhundert vor der
Zeitrechnung zunächst gegen die Judenfeindschaft der hellenistischen Syrer
kämpften, um dann selbst zu Hellenisten zu werden; andere orientierten sich
um 1900 an dem falschen Messias Simon Bar Kochba, der um das Jahr 130 mit
einem sinnlosen Aufstand, gefolgt von einer verheerenden Niederlage, die
Römer dazu brachte, die bisher „Judäa“ genannte Provinz in „Palästina�…
umzubenennen.
Der wohl bekannteste Stichwortgeber dieser Bewegung war Max Nordau
(1849–1923), ein Kampfgefährte des Begründers des politischen Zionismus,
Theodor Herzl. Es war Nordau, ein Mediziner, der das Wort vom
„Muskeljudentum“ prägte.
In einem gleichnamigen Aufsatz aus dem Jahre 1900 schrieb er, dass die
„armen Glieder der Juden“ verlernt hätten, sich fröhlich zu regen, „in …
Angst der beständigen Verfolgung erlosch die Kraft unserer Stimme zu einem
bangen Flüstern … Aber jetzt ist ja der Zwang gebrochen. Knüpfen wir wieder
an unsere ältesten Überlieferungen an: werden wir wieder tiefbrüstige,
strammgliedrige, kühnblickende Männer.“
## Entartete Kunst von Wagner und Nietzsche
Nordau aber war nicht nur Mediziner, sondern auch ein Kulturkritiker, der –
ganz im Geist der Zeit, wenn auch betont rationalistisch – den Niedergang
der europäischen Zivilisation beklagte. Er prägte 1892 in einem dem
Kriminalbiologen Cesare Lombroso gewidmeten, gleichnamigen Buch den Begriff
der „Entartung.“ Als deutlichstes Beispiel für entartete Kunst galten
Nordau die Werke des Antisemiten Richard Wagner sowie des Philosophen
Friedrich Nietzsche, aber auch die Romane von Tolstoi und Zola.
Bei alledem war Nordau nicht frei von dem, was Edward Said als
„Orientalismus“ bezeichnen sollte: Als Sohn eines orthodoxen ungarischen
Rabbiners mit dem Namen Simon Südfeld geboren, benannte er sich im Alter
von vierundzwanzig Jahren, nun Naturalist und Evolutionstheoretiker, von
Simon in Max und von Südfeld in Nordau um. Bei alledem universalistisch
eingestellt, behandelte Nordau in Paris als Gynäkologe unentgeltlich
Frauen, die sich einen Arzt nicht leisten konnten.
Zu erwähnen ist schließlich, dass Nordau den Begriff des „Muskeljudentums“
wahrscheinlich den Schriften zweier britischer Internatsdirektoren entnahm,
die eine „muscular christianity“ empfahlen. Mag sein, dass sportliche
Ereignisse und sportliche Leistungen noch immer das Selbstwertgefühl von
Einzelnen oder beliebigen Gruppen steigern – die Fallhöhe zwischen der
frühen jüdischen Sportbewegung und ihren Ideologen sowie den doch wenigen
und gelangweilten Teilnehmern und Zuschauern der Berliner Makkabiade 2015
dürfte kaum zu überbrücken sein.
3 Aug 2015
## AUTOREN
Micha Brumlik
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