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# taz.de -- Leben im Zeltdorf: Ein Jenfeld, zwei Welten
> Seit vier Wochen leben Flüchtlinge in Jenfeld. In den Köpfen der Anwohner
> hat sich seit den anfänglichen Protesten wenig bewegt.
Bild: Rund 700 Flüchtlinge leben derzeit im Zeltdorf in Jenfeld
HAMBURG taz | Auf dem Spielplatz im Jenfelder Moorpark klettern zwei Jungs
die Leiter zur Rutsche hinauf. Sie spielen zusammen, lachen, toben sich
aus. Dass sie in zwei komplett verschiedenen Welten leben, wird erst
sichtbar, wenn sie nach Hause gehen. Der Junge mit den Sommersprossen wohnt
in einem der Mehrfamilienhäuser gegenüber. Der andere dagegen, etwas
schmächtiger und mit schwarzen Haaren, läuft zurück in die Zeltunterkunft.
Sie ist seit knapp vier Wochen das Zuhause von 700 Flüchtlingen.
So einfach, wie den beiden das Zusammenleben fällt, scheint es in der Welt
der Erwachsenen nicht zu funktionieren. Nach den ersten Wochen haben die
Flüchtlinge in Jenfeld immer noch einen schweren Stand. Seit letzter Woche
sind zudem 26 Bewohner an der Krätze erkrankt.
Noch bevor die Zelte standen, waren die Anwohner schon auf den Barrikaden.
Sie fühlten sich von der Stadt übergangen und stellten sich dem Roten Kreuz
in den Weg. Der Aufbau verzögerte sich um einen Tag, auf Facebook kündigten
Rassisten an, die Zelte niederzubrennen. Das Medieninteresse war groß, von
einem zweiten Freital war zwischenzeitlich die Rede.
Soweit ist es nicht gekommen. Viele Anwohner haben sich mit den
Veränderungen arrangiert. Ein älterer Mann etwa, der jeden Morgen aus dem
Küchenfenster auf die Zelte blickt, sagt: „Ja klar ist es jetzt lauter
hier. Aber denen muss ja geholfen werden.“ Ein anderer Nachbar, der gerade
um den mannshohen Zaun läuft, der um das Gelände gezogen wurde, sieht es
pragmatisch: „Ich hab‘ weder was dagegen noch bin ich begeistert. Ändern
könnte ich eh nichts daran.“
## „Diese Molukken können gleich wieder weg“
Doch es gibt immer noch Anwohner, die ihre Ablehnung unverhohlen äußern. Zu
ihnen gehören auch ein paar Nachbarn, die sich am Spielplatz niedergelassen
haben. „Diese Molukken können von mir aus gleich wieder weg. Wenn ich
flüchte, nimmt mich auch keiner auf“, sagt eine von ihnen. Sie sitzt da mit
ihrer Tochter im Arm: „Und jetzt haben die auch noch die Krätze, ey.“ Ihre
Freundin versucht, sie zu bremsen: „Ne, das ist Panikmache. Die überträgt
sich nur bei Körperkontakt. Und du willst ja nicht da rein und mit denen
kuscheln, oder?“
Mit ihren Beschwerden ist die Gruppe nicht allein. Eine Mutter, die mit
ihren Kindern vom Einkaufen kommt, hält auch nicht viel von der Unterkunft:
„Furchtbar ist das hier. Wir können den Park nicht mehr benutzen und meine
Kinder können nicht mehr einschlafen, weil die so laut sind. Aber klar, mir
tun diese kleinen Menschen schon leid.“ Wenn sie von den Flüchtlingen
spricht, sagt die circa einen Meter sechzig große Frau immer: „die kleinen
Menschen“.
Einer von diesen ist Reshad. Er ist Anfang dreißig und mit seinen eins
achtzig gar nicht so klein. Seit zwölf Tagen ist er hier. In Kabul war er
Beamter bei der Sicherheitspolizei. Er spricht gut Englisch und zeigt stolz
ein Bild, auf dem er mit deutschen Soldaten posiert. Auf einem anderen ist
er mit Bismillah Khan Mohammadi zu sehen, dem Stabschef der afghanischen
Armee, der bis 2012 Innenminister Afghanistans war. Seit zwölf Tagen ist
Reshad hier. Das Leben in den Zelten ist ein heftiger Kontrast zu seinem
früheren Zuhause.
Die Toiletten seien ständig dreckig sagt er. „Es ist oft kein Dolmetscher
da und es ist schwierig herauszufinden, welche Schritte nötig sind, um den
Asylantrag zu stellen.“ Ein Deutscher mit afghanischen Wurzeln, der in der
Nähe wohnt, hat sich seiner spontan angenommen und hilft jetzt bei den
Behördengängen: „Ich hoffe, Reshad bekommt morgen endlich Geld, um seine
Familie zu versorgen“, sagt er.
## „Die Stadt lässt uns alleine“
Mehr noch als an Flüchtlingen wie Reshad stören sich die Anwohner aber an
der Politik: „Die Stadt lässt uns alleine“, klagt eine Mutter. „Die leer…
die Mülleimer nicht mehr richtig. Alles zugemüllt hier.“ Überhaupt scheinen
die Schwierigkeiten das einzige, was die beiden Gruppen miteinander
verbindet. Denn die Anwohner haben kaum Interesse, Kontakt zu den
Flüchtlingen aufzunehmen. Die sprächen ja kein Deutsch. Eine Anwohnerin
lässt ihre Kinder nicht mehr im Park spielen: „Sie wissen ja warum.“
Die Familien aus der Unterkunft dagegen nutzen den Park gerne. Sie spielen
Fußball, sitzen auf der Wiese. Die Kinder lassen Drachen steigen oder
spielen, wie der Junge mit den schwarzen Haaren, gemeinsam mit den
deutschen Kindern auf dem Spielplatz. In einer Welt, in der so vieles noch
leichter fällt.
4 Aug 2015
## AUTOREN
Kristof Botka
## TAGS
Schwerpunkt Rassismus
Flüchtlinge
Hamburg
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Alltagsrassismus
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