# taz.de -- SICHERUNGSVERWAHRUNG: Angst und Ohnmacht in Jenfeld | |
> Er wollte nicht, und kam plötzlich doch: Am Sonntag zog der erste | |
> Sicherheitsverwahrte in Jenfeld ein. Kurz darauf folgte der Zweite. Die | |
> Bürger sind verunsichert. Sie trauen der Politik nicht mehr. | |
Bild: Protestierende Anwohner in Hamburg-Jenfeld. | |
HAMBURG taz | Die Boulevardpresse hat wieder rechtzeitig einen Wink | |
gekriegt: Um 19.29 Uhr am Sonntagabend fahren vier Autos im Schutze der | |
Dunkelheit zum Gelände des ehemaligen Alten- und Pflegeheims Holstenhof im | |
Hamburger Stadtteil Jenfeld. Vor einem gelben Klinkerbau bleibt die | |
Wagenkolonne stehen. In einem der Autos sitzt Hans-Peter W., | |
Mehrfach-Vergewaltiger und ehemaliger Sicherungsverwahrter. Er nimmt seinen | |
schwarzen Labradorrüden an die Leine, steigt aus und betritt, begleitet von | |
Polizisten, sein neues Zuhause. | |
Bislang hatte der verurteilte Sexualstraftäter immer betont, er würde auf | |
keinen Fall nach Jenfeld ziehen, er fühle sich dort wegen der | |
Bürgerproteste gegen ihn ausgestellt wie in einem Zoo. Von dem plötzlichen | |
Sinneswandel seines Mandanten wurde daher nicht nur dessen Anwalt Ernst | |
Medecke überrascht. Auch die Bürger der Anliegerstraße Elfsaal und Umgebung | |
wurden über ihren neuen Nachbarn nicht informiert. Dafür mussten sie bis | |
6.54 Uhr am Montagmorgen warten. | |
"Ich bin sofort in mein Auto gestiegen und hupend die Straße hoch und | |
runter gefahren, damit alle Bescheid wissen, was hier los ist", sagt | |
Carsten Schlumbom. Der 53-Jährige, Steuerberater und Vater zweier Kinder, | |
hat alle Termine spontan abgesagt. "Hier heute zu stehen war wichtiger", | |
sagt er. | |
Seit sieben Stunden marschiert Schlumbom nun schon vor der Einfahrt des | |
Altenheimgeländes auf und ab. Zusammen mit knapp einem Dutzend Anwohnern | |
hält er Mahnwache. Erfahren habe er von der "Nacht und Nebelaktion" der | |
Behörden aus einem Nachrichten-Ticker, den seine Frau vor ein paar Wochen | |
eingerichtet hat. Seit der Senat Anfang Dezember bekannt gab, in Jenfeld | |
Schwerverbrecher unterzubringen, sei einfach zu viel schief gelaufen bei | |
der Kommunikation zwischen Politikern und Bürgern, sagt Schlumbom. Die | |
Anwohner wollten sich nicht mehr auf die Informationen der Behörden | |
verlassen. | |
Der Senat berichte nicht über Spekulationen, rechtfertigt sich Sven | |
Billhardt, der Pressesprecher der Justizbehörde. Hans-Peter W. habe | |
zunächst umziehen wollen, dann wieder nicht. "Sollen wir alle drei Tage | |
sagen, er zieht ein, er zieht nicht ein? Brächte dieses Hin und Her einen | |
Informationsgewinn?" Sinnvoller sei es, den ersten wirklichen Schritt in | |
die Wohnung zu bestätigen und dann über die Medien die Information zu | |
streuen, findet Billhardt. | |
Die Anwohner beklagen sich seit dem Bekanntwerden der Pläne über die | |
Informationspolitik des Senats. Einladungen zu der Bürgersprechstunde am 6. | |
Dezember seien nur sporadisch angekommen. Die vom Senat Anfang letzter | |
Woche verschickten 23.000 Informationsbriefe an alle Haushalte seien | |
ebenfalls noch nicht eingetroffen. "Und dann diese Aktion gestern Abend", | |
schimpft Schlumbom. | |
Dabei habe der Senat versprochen, Bescheid zu sagen, falls einer der | |
Sicherheitsverwahrten doch noch in Jenfeld einziehen sollte. Eine Schande | |
sei es, wie hier über Nacht Fakten geschaffen wurden. "Da bekommt man den | |
Eindruck, als würde die Politik uns bewusst hintergehen", sagt Schlumbom. | |
Der Senat, pflichtet ihm eine Frau Ende 40 bei, wolle sein Ding einfach | |
durchbringen. | |
Die Befürchtung der Jenfelder, dass hier der SPD-Senat gegen den Willen der | |
Anwohner wie der ehemaligen Sicherungsverwahrten mit allen Mitteln seine | |
Pläne durchsetzen will, sei nicht ganz von der Hand zu weisen, behaupten | |
Kreise, die mit den entlassenen Häftlingen in Kontakt stehen. Die beiden | |
Betroffenen seien von dem Trägerverein des Areals, Pflegen&Wohnen, von der | |
Polizei, den Bewährungshelfern und schließlich auch von der Justizbehörde | |
massiv unter Druck gesetzt worden, auf die Pläne der SPD einzugehen. "Es | |
war allein ihre Entscheidung nach Jenfeld umzuziehen",betont dagegen | |
Justizbehördensprecher Billhardt. Und wiederholt das gerne nochmal: | |
"Es-war-allein-ihre-eigene-Entscheidung." | |
Nach mehr als sieben Stunden im kalten Wind muss sich Schlumbom | |
vorübergehend geschlagen geben. Er gehe nur kurz nach Hause um sich | |
aufzuwärmen. Er komme aber wieder, kündigt er an. Und wenn es sein müsse, | |
bleibe er bis 15. Dezember. Sein Platz bleibt nicht lange leer. Ein paar | |
Anwohner mit Cappuccino-Bechern in der Hand übernehmen seinen Posten. Ein | |
paar Minuten später kommt auch Schlumboms Frau dazu. | |
17 Jan 2012 | |
## AUTOREN | |
E. F. Kaeding | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Rassismus | |
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