# taz.de -- Fidschi Inseln: Der erste Hai | |
> Einmal um die halbe Welt, dann ist man in Fidschi. Die Unterwasserwelt | |
> ist einmalig und bietet den Menschen ein Einkommen. Aber wie lange noch? | |
Bild: Ein Schwarzspitzenriffhai vor der Insel | |
Die Piloten fliegen direkt auf die Wolken zu, die sich dunkel und | |
bedrohlich über dem Südpazifik auftürmen. Während der Kopilot auf einem | |
Taschenrechner herumtippt und Zahlen in eine Tabelle einträgt, hält der | |
Kapitän das Steuerhorn locker in einer Hand. Die Wolken kommen näher, | |
gleich werden sie uns verschlucken. Jetzt. Regen setzt ein, heftig trommelt | |
er auf das kleine Flugzeug, die „BN2A Islander“, ein kanadisches Modell, | |
gebaut für Starts und Landungen auf kurzen Pisten. | |
Böen schütteln die BN2A durch, sie wackelt hin und her. Vor den Fenstern | |
sieht man nichts mehr. Vor einer Viertelstunde war noch alles gut. Die | |
„Islander“ flog, voll besetzt mit acht Passagieren, über kleine, von | |
Mangroven geschützten Inseln in Richtung unseres Ziels, der Insel Taveuni. | |
Zwischen Stränden und Riffkanten leuchteten die Korallen in vielen | |
Türkisfarben und Rottönen. Erst später kommt die Frage auf: Wie lange | |
leuchten sie noch? | |
Fidschi ist mit seinen 332 Inseln ein Urlaubsparadies. Im Westen des | |
Pazifikstaats, wo sich der internationale Flughafen befindet, liegen die | |
populärsten Insel. Nun wäre es aber ärgerlich, um die halbe Welt zu fliegen | |
und dann auf einer Insel voller Touristen zu landen. Im Osten sei es | |
ruhiger, lockt der Reiseführer, zum Beispiel auf Taveuni. | |
Mit der Fähre bräuchte man von der Hauptinsel Viti Levu eine ganze Nacht | |
bis dorthin, der Flug dauert nur eine Stunde. Doch nun diese Regenfront, | |
dieser unfassbare tropische Wolkenbruch. Sind die Piloten angespannt? Sie | |
lassen sich nichts anmerken, tauschen kurze Sätze aus, die das Dröhnen der | |
Motoren verschluckt. Von den Passagieren sagt niemand ein Wort. | |
Angstschweiß. Nach zehn Minuten stößt die wackere BN2A aus den Wolken | |
hervor, es ist überstanden! Wir fliegen Taveuni von Südwesten aus an, eine | |
längliche Insel mit grünen Hängen und Ananasplantagen, höchster Punkt: | |
1.196 Meter. Die Landebahn sieht von hier oben aus wie ein Feldweg am Berg. | |
Trotz starken Seitenwinds setzt der Kapitän die Maschine sanft auf. Danach | |
grinst er den Kopiloten breit an. Wir atmen tief durch. Nun sind wir bereit | |
für die Haie. | |
## Eine der schönsten Unterwasserlandschaften | |
Das Rainbow Reef vor Taveuni gehört zu den schönsten | |
Unterwasserlandschaften weltweit. Das sagen alle: Reiseführer, Websites – | |
und natürlich sagt es auch Viti, ein mittelgroßer Muskelberg mit | |
flossenbreiten Füßen, ebenso breitem Lächeln und ausgeblichenen Tattoos am | |
Oberkörper, der uns am nächsten Morgen an Bord eines Boots begrüßt. Viti | |
ist Tauchlehrer, täglich fährt er mit Touristen raus in die Somosomo | |
Strait, eine Meerenge zwischen Taveuni und der Nachbarinsel Vanua Levu. Die | |
Tauchplätze des weitläufigen Rainbow Reefs heißen Fischfabrik, Große Weiße | |
Wand oder Korallengärten. | |
Während wir uns in die Neoprenpellen zwängen, erklärt Viti routiniert | |
freundlich: „Okay, Leute, diese Meerenge ist elf Kilometer breit und nur | |
wenige Meter tief. Durch die wechselnden Gezeiten strömen riesige Mengen | |
Wasser hindurch. Und gleich im Wasser seht ihr, was sie transportieren: | |
viele kleine Teilchen, die aus tieferen Wasserschichten hochgespült werden, | |
das Plankton. Davon ernähren sich die Fische und die Korallen.“– „Was | |
sollen wir tun, wenn wir Haie sehen, Viti?“, frage ich. Im Reiseführer | |
steht, dass Haie und riesige Mantarochen das Gebiet regelmäßig | |
durchstreifen. Viti beschwichtigt: „Das sind in aller Regel Riffhaie, die | |
tun nichts. Einfach Abstand halten und möglichst ruhig weiterschwimmen.“ | |
Kurz darauf springen wir im ziemlich offenen Pazifik in die sanften Wellen. | |
Am Handgelenk haben wir eine aufblasbare, orangefarbene Boje, damit wir | |
nicht verloren gehen und uns andere Boote sehen. Sobald wir den Kopf nach | |
unten nehmen, sind wir weg von dieser Welt und in der fantastischen, absurd | |
bunten Welt der Fische und Korallen. | |
Die Sicht erscheint uns endlos, 30 oder 40 Meter sind es, bis nur noch Blau | |
ist. Mit den großen Flossen schwimmen wir an einem Unterwasserhang entlang, | |
dessen Gestein über und über mit Korallen bewachsen ist, harten und | |
weichen, sie sehen aus wie Büsche oder Felsen, wie Terrassen oder riesige | |
Gehirne. Sie leuchten auch bei leicht bedecktem Himmel in Lila, Orange, | |
Rot. | |
Übertroffen werden sie von den unzähligen Fischen, die herumschwimmen oder | |
sich zwischen den Korallen aufhalten, einzelne Fische und -schwärme, | |
teilweise sind es weit mehr als 100 Fische von einer Sorte, winzige und | |
etwas größere, gestreifte in allen denkbaren Farbkombinationen – allesamt, | |
als hätte man sie mit dem Textmarker angemalt. Ihre Augen sind groß und | |
klar, manche schauen einen direkt an. Wir schwimmen hin und zurück, sehen | |
quietschgelbe Segelflossendoktoren, längliche Trompetenfische und Gemeine | |
Wimpelfische mit langen, schmalen Rückenflossen. Auf dem Meeresgrund ruht | |
ein kleiner Stachelrochen, eine Schildkröte lässt sich vorbeitreiben. | |
Dann kommt er aus dem Blau auf uns zu: ein Hai, sofort unverkennbar. Mit | |
ruhigen Bewegungen der Schwanzflosse zieht er wenige Meter unter uns an uns | |
vorbei. Wir starren ihn an, Raubtier, Held aus Horrorfilmen, Herr des | |
Riffs. Angst haben wir nicht, denn, nun ja, es ist ein junger Riffhai, | |
einen Meter lang. Aber es ist ein Hai! Euphorisch gratulieren wir uns | |
hinterher. | |
Die Chefin von Tauchlehrer Viti macht sich währenddessen Sorgen. „Das Meer | |
ist phasenweise viel zu warm“, sagt Julie Kelly. In der warmen Regenzeit | |
zwischen Dezember und April leiden die Hartkorallen darunter, sie stoßen | |
die Alge ab, mit der sie symbiotisch leben, und mit deren Hilfe sie durch | |
Photosynthese Energie tanken. Die Korallen bleichen aus. Das kann schon | |
nach wenigen Wochen geschehen, wenn sie sich nicht zwischenzeitlich erholen | |
können. „In der Somosomo-Meerenge bringen die Gezeiten noch etwas Kühlung, | |
anderswo leiden die Korallen noch viel mehr“, sagt Julie. | |
Erschöpft sitzen wir nach dem Ausflug in dem verträumten Örtchen Matei auf | |
der Terrasse einer gemieteten Bure, so heißen kleine Häuschen auf Fidschi. | |
Matei ist die Welt in einem Dorf. Die Betreiber mehrerer Hotels sind | |
Amerikaner oder Australier, Pizza und Brot backt ein Chinese, Tauchshops | |
leiten Amerikaner und Deutsche. Einen Supermarkt, einige Unterkünfte, zwei | |
bodenständige Restaurants und das Taxi-Business sind in einheimischer Hand. | |
## Fast alle Bewohner leben vom Tourismus | |
Unsere Gastgeberin ist Fidschianerin. Paulina Bibi, Mitte 40, Brille, | |
herzlich, bewirtschaftet mit ihrer Familie das Grundstück,einen mehrere | |
Hektar großen Palmengarten, auf dem verstreut einige Buren stehen. Täglich | |
bringt uns Paulina Ananas und Bananen auf die Veranda, von der wir hinunter | |
auf die Somosomo-Meerenge schauen. Fast alle in Matei leben von den | |
Touristen. | |
Auch Thomas Peckham, dessen Geschäft direkt vor Matei auf dem Meeresboden | |
liegt. Mister Peckham, 57, ist Perlenfarmer. Er hat einen massigen | |
Oberkörper, fleischige Oberarme und Wangen. Im kleinen Holzboot nimmt er | |
uns mit hinaus, 400 Meter vor der Küste wirft er einen Anker aus und | |
verteilt Flossen und Taucherbrillen von mäßiger Qualität. | |
in Schnorchel ist mit dem Kronkorken der lokalen Biersorte Fiji Bitter | |
geflickt, keine gute Idee. Für einen Blick unter Wasser genügen die Brillen | |
aber. Zwischen Seegras hat Peckham in wenigen Metern Tiefe auf dem | |
Meeresgrund kleine Netze an Gittern befestigt. Dort züchtet er 1.100 | |
Austern, die Perlen herausbilden sollen. Die Austern ernähren sich vom | |
Plankton. Alle drei Monate taucht Peckham mit den älteren seiner fünf | |
Söhne, um sie hochzuholen und zu reinigen. | |
Damit sich überhaupt eine Perle entwickelt, muss in die Auster ein kleiner | |
Fremdkörper injiziert werden. Dafür bezahlt Peckham regelmäßig Japaner. | |
„Ich weiß nicht genau, wie die das machen, sie zeigen es mir nicht“, sagt | |
er etwas angesäuert. Wenn alles gut läuft, sondert die Auster Perlmutt ab, | |
das den Fremdkörper umschließt: Eine Perle entsteht. | |
Das klappt längst nicht immer. „Aus 1.100 Austern bekomme ich rund 150 | |
Perlen“, sagt Peckham. Seine günstigsten Perlen kosten ab 20 Euro, einige | |
hochwertigere mehrere hundert Euro. Spitzenqualität erreicht er nur selten, | |
trotzdem lohne sich das Geschäft. Nach dem Ausflug präsentiert Peckham die | |
Perlen in seinem Haus, die meisten schimmern türkisfarben, silbern oder | |
golden. Nur rund 14 Monate benötigen die Perlen bis zur Reife, weniger als | |
in anderen Regionen – wegen der guten Wasserqualität. | |
Die meisten Perlen verkauft Peckham in der Hauptstadt. Einen Teil nehmen | |
ihm die gut betuchten Gäste der besseren Hotels auf Taveuni direkt ab. | |
Selbst Luxusunterkünfte gibt es in dieser abgelegenen Gegend. Schauspieler | |
aus Hollywood waren schon hier, erzählen die Taxifahrer, zum Beispiel | |
Nicole Kidman. Und Russell Crowe hat angeblich mit den Einheimischen Rugby | |
gespielt. Die Promis entspannen in Resorts mit fünf bis sieben Sternen. | |
Es geht auch einfacher. Paulina Bibi nimmt für eine tadellos saubere, | |
allerdings nicht ganz neue Bure mit Kochnische pro Nacht 40 bis 50 Euro. | |
Der Kühlschrank läuft mit Gas, Strom gibt es aus dem Generator, um halb elf | |
geht das Licht aus, in den Tropen ist das spät genug nach einem heißen, | |
feuchten Tag. 2010 zerstörte ein heftiger Zyklon mit dem unpassenden Namen | |
„Thomas“ einen großen Teil von Thomas Peckhams Austernbestand. Vorher besa… | |
er 4.500 Stück. Nun stockt er langsam wieder auf. Seine Familie lebt schon | |
seit Generationen auf Taveuni. | |
Zwischen Dezember und April begünstigen die hohen Wassertemperaturen das | |
Entstehen von Zyklonen, die in der Region Chaos anrichten, Palmen | |
umknicken, Bäume fällen, Hänge ins Rutschen bringen. Der Zyklon „Thomas“ | |
zerstörte nicht nur die Austern von Thomas Peckham, sondern auch Korallen | |
in ufernahen Riffen, die sich davon nur langsam erholen. | |
Der Meeresbiologe Jan Henning Steffen arbeitet von Fidschis Hauptstadt Suva | |
aus für die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) in einem | |
Meeresschutzprojekt. Er weist darauf hin, dass Stürme und hohe Temperaturen | |
nicht die einzigen und oft auch nicht die dringlichsten Gefahren für die | |
Unterwasserwelt sind. „Neben diesen extremen Wetterereignissen schaden | |
direkte menschliche Einflüsse den Korallen nahe der Küste, etwa die | |
Überfischung der Riffe und die Rückstände aus der Landwirtschaft, also | |
Dünger und Pestizide, die ihren Weg ins Meer finden.“ | |
## Versauerung der Meere schädigt die Korallen | |
Steffen unterstützt mit seiner Arbeit einerseits den Schutz der | |
Meeresbewohner und gleichzeitig eine schonende Nutzung der „maritimen | |
Ressourcen“. Langfristig werde es in den Gewässern um Fidschi zu | |
Jahresbeginn öfters wochenlange Phasen mit höheren Wassertemperaturen | |
geben, sagt der Biologe. Das werde einige Hartkorallen verdrängen. | |
Eventuell könnten robustere Arten an ihre Stelle treten. Die zunehmende | |
Versauerung der Meere werde den Korallen in den kommenden Jahrzehnten | |
zusätzlich schaden. | |
An der Versauerung sind auch wir schuld, die Fernreisenden. Wir wollen | |
etwas sehen von der Welt, aber die langen Flugreisen sind schlecht fürs | |
Klima. Das Meer nimmt das CO2 aus der Atmosphäre auf, der pH-Wert des | |
Wassers sinkt dadurch. Doch wie sollen die Einheimischen ihr Geld | |
verdienen, wenn keine tauchenden Touristen mehr kommen, weil die Riffe | |
absterben und die Fische verschwinden? | |
Es ist ein Dilemma, das man nicht zu Ende denken mag, denn die leuchtend | |
bunte Unterwasserwelt mit ihren endlosen Überraschungen kann süchtig | |
machen. Noch mehrmals gehen wir schnorcheln, sehen einen größeren Riffhai, | |
aber keinen der mächtigen Mantarochen, die mehr als eine Tonne wiegen und | |
ebenfalls das Planktonbuffet zu schätzen wissen. Bei einer Fahrt hinaus | |
aufs Meer beschreibt ein etwas gebrechlicher US-Tourist jenseits der 70 das | |
Phänomen in einem Satz: „Every dive is the best dive.“ – „Jeder Tauchg… | |
ist der beste.“ | |
1 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Felix Ehring | |
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