| # taz.de -- Kunstfestival in Berlin: Raum für Zweckfreiheit | |
| > Als Institute für alles Mögliche sind sie Laboratorien der Kunst: Beim | |
| > Project Space Festival stellen sich im August viele spannende Berliner | |
| > Projekträume vor. | |
| Bild: Dafür sind Projekträume prima: Performative Lesung in der uqbar „Livi… | |
| „Raum für Zweckfreiheit“ heißt einer der Berliner Projekträume, „Insti… | |
| für alles Mögliche“ ein anderer. „Der Name ist Programm“, könnte man da | |
| scherzhaft sagen. Denn idealerweise ist ein künstlerischer Projektraum in | |
| der Tat ein Freiraum, in dem Kunst und Kultur entstehen können, ohne allzu | |
| ausufernde materielle Zwänge oder Erwartungshaltungen – nicht mit der | |
| eigenen Kunst allein im Atelier, sondern mit der Möglichkeit eines | |
| Publikums. | |
| Projekträume sind dabei immer auch ein Spagat zwischen der künstlerischen | |
| Autonomie, die ein Fetisch der Moderne ist, und den sozioökonomischen | |
| Verpflichtungen, die der Betrieb eines festen Ortes mit regelmäßigen | |
| Mietzahlungen und zu reinigender Toilette eben mit sich bringen. | |
| Auch ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Mauer bietet Berlin für | |
| solche Kulturorte immer noch einen reicheren Nährboden als die meisten | |
| anderen europäischen Metropolen, wie das Programm des Project Space | |
| Festival Berlin zeigt. Aus 70 Bewerbern (und das dürfte nur ein Bruchteil | |
| der hier existierenden Projekträume sein, eine genaue Zahl gibt es nicht) | |
| hat eine Jury 30 Projekte ausgewählt, die sich den ganzen August hindurch | |
| vorstellen. „Wir wollen Sichtbarkeit erzeugen“, sagt die Kuratorin Nora | |
| Mayr, Mitorganisatorin des Festivals und selbst Betreiberin des | |
| Projektraums Insitu in Tiergarten. „Viele Projekträume werden von der | |
| breiteren Öffentlichkeit gar nicht wahrgenommen, sondern nur von einem | |
| Insiderpublikum.“ | |
| Auch wenn die Zeiten vorbei sind, in denen sich geeignete Orte für | |
| Projekträume in Mitte oder Prenzlauer Berg fanden – in Neukölln oder in | |
| Moabit gibt es doch noch leer stehende Läden, in denen man – wenigstens als | |
| „Zwischennutzung“, auch so eine Berliner Spezialität – einen Projektraum | |
| einrichten kann. | |
| Zunehmend wird allerdings auch in Territorien außerhalb des S-Bahn-Rings | |
| ausgewichen. In den Wedding. Nach Lichtenberg. Oder in das Tempelhofer | |
| Gewerbegebiet am Teltowkanal, wo inmitten postindustrieller Tristesse mit | |
| dem Green House ein leer stehendes affenscheußliches Bürohaus aus den 80er | |
| Jahren zu einem Bienenstock für Musiker und Künstler geworden ist. Die Lage | |
| jenseits aller Segnungen des urbanen Lebens mag dem Gebäude das Schicksal | |
| vieler anderer Projekträume ersparen – nämlich eine attraktive, doch | |
| unerschlossene Immobilie trocken zu wohnen, bevor dort Cafés, Kneipen, | |
| Coworking Spaces oder Agenturen einziehen, die sich die schnell steigenden | |
| Mieten leisten können. | |
| Denn Projekträume können auch Vorboten der Gentrifizierung sein. Auch Räume | |
| im Tempelhofer Green House werden schon über die einschlägigen | |
| Immobilienportale im Internet angeboten. | |
| In der Praxis kann ein Projektraum viele verschiedene Formen annehmen: vom | |
| unrenovierten Ladenlokal, wo die Farbe von der Wand bröselt und ein paar | |
| Getränkekästen und zwei Tapeziertische als Einrichtung dienen müssen, bis | |
| zur slicken Quasigalerie. Vom Künstleratelier, in dem am Samstag durch | |
| Ad-hoc-Partys und Bierausschank an den erweiterten Freundeskreis die Miete | |
| verdient wird, bis zu professionell betriebenen Orten mit regelmäßigen | |
| Ausstellungen und Programm ist alles drin. | |
| Die Betreiber können Künstler sein, Kuratoren oder Enthusiasten, die für | |
| wenig oder gar kein Geld ihrer Leidenschaft frönen, und mit viel Glück ein | |
| Stipendium oder andere Fördermittel bekommen. Die meisten Projekträume | |
| werden aus der Tasche der Beteiligten finanziert. Doch Kunstaktivisten | |
| gerade aus den skandinavischen Ländern können gelegentlich auch mit | |
| Unterstützung ihrer Heimatländer rechnen – man will in der europäischen | |
| Kunstmetropole Berlin Flagge zeigen. | |
| Die Senatskanzlei für Kulturelle Angelegenheiten zeichnet seit 2012 | |
| Projekträume aus, was für die Gewinner eine Finanzspritze von immerhin | |
| 30.000 Euro bedeutet. Beim ersten Wettbewerb wurden die sieben | |
| Sieger-Initiativen an einem Abend per Bus abgeklappert. „Der Einstieg ist | |
| an jeder Station möglich!“, hieß es in der Einladung. Was dann schon ein | |
| bisschen nach aufregender Expedition ins exotische Reich des Berliner | |
| Kunstuntergrunds klang. | |
| Die Proliferation von Projekträumen dürfte nicht zuletzt mit dem massiven | |
| Zuzug von internationalem Kreativproletariat in die deutsche Hauptstadt zu | |
| tun haben. Viele dieser Künstler und Musiker wollen sich Aktivitäten in | |
| Berlin in den Lebenslauf schreiben und sind bereit, dafür auch finanzielle | |
| Opfer in Kauf zu nehmen. Denn die Berliner Kunstinstitutionen sind den | |
| meisten der frisch Zugezogenen zunächst einmal verschlossen, der Kuchen ist | |
| verteilt unter denjenigen, die in Berlin schon länger unterwegs sind. | |
| In einer Zeit, in der Kreativität billig und allgegenwärtig geworden ist, | |
| muss man sich dann eben nach der Decke strecken und die Infrastruktur für | |
| das eigene Schaffen selbst organisieren, will man zur Kenntnis genommen | |
| werden – oder auch nicht. Denn viele Projekträume entwickeln sich zu | |
| regelrechten Paralleluniversen, in denen amerikanische, argentinische oder | |
| dänische Kulturschaffende unter sich bleiben. | |
| 1 Aug 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Tilman Baumgärtel | |
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