# taz.de -- Alternative Wirtschaft in Griechenland: Kreativ durch die Krise | |
> Seit der Krise wurden Tausende kleine Firmen gegründet. Viele aus der Not | |
> heraus, weil die sozialen Netze zusammengebrochen sind. | |
Bild: Prominenter Besuch in der selbstverwalteten Seifenfabrik Viome: Alexis Ts… | |
ATHEN taz | Im Straßengewirr von Exarchia, dem hippen Anarchobezirk von | |
Athen, steht die Hitze, und Maria Calafatis sitzt auf einem Klappsessel vor | |
dem „Cube“ und trinkt einen Cafe Freddo. Calafatis und ihr Partner Stavros | |
Messinis sind zwei Unternehmer der hiesigen Start-up-Szene. Der „Cube“ ist | |
ein Gemeinschaftsbüro, in dem auf sechs Etagen zwei Dutzend Unternehmen | |
untergebracht sind. Die meisten sind im Tech-Bereich tätig, einige in der | |
Tourismusbranche. | |
Vor sieben Jahren haben sie ihr erstes Büro eröffnet, das schnell aus allen | |
Nähten platze, sodass sie nun das ganze Bürohaus in der Klisovis-Straße | |
nutzen. Im obersten Stockwerk residiert die Venture-Capital-Firma | |
„Openfund“ des Ökonomen Aristos Doxiadis, der Investorenkapital aus der | |
ganzen Welt in die Start-up-Szene lenkt. Auch Anwälte und Notare sind Teil | |
des Netzwerks, die Unternehmen den Weg durch den Bürokratiedschungel | |
bahnen. | |
„Die Krise ist nicht nur schlecht“, sagt Maria Calafatis. „Sie hilft, Leu… | |
aus der Komfortzone zu bringen.“ Die Mentalität ändert sich und auch die | |
Staatsgläubigkeit. Man merkt, dass Maria diese Geschichte schon oft erzählt | |
hat. Sie spult sie nicht routiniert ab, aber mit dieser profimäßigen | |
Engagiertheit, die Leute mit einer Mission und einem langen Atem haben, die | |
gewohnt sind, Investoren zu überzeugen und bei Bürokraten die Türe öffnen | |
müssen. | |
Im Erdgeschoss basteln ein paar IT-Jungs aus Spanien an Bitcoin-Bankomaten. | |
Die virtuelle Währung hat gerade recht viel geholfen, weil sie von den | |
Kapitalkontrollen nicht erfasst, aber in Euro transferierbar ist – damit | |
konnten Überweisungen getätigt werden, die ansonsten nicht möglich gewesen | |
wären. Mit viel Begeisterung erzählt Maria Calafatis etwa die Geschichte | |
von „Taxibeat“, dem kleinen Start-up, das hier vier Freunde begonnen hatten | |
und das so ähnlich wie Uber funktioniert, aber beinahe jede Art von | |
persönlicher Dienstleistung anbietet, die mit Transport zu tun hat. Als die | |
Firma über 30 Beschäftigte hatte, zog sie aus – mittlerweile expandierte | |
der Laden nach Brasilien, Frankreich, Norwegen und Rumänien. | |
## Exporte der Softwareindustrie | |
Heute verdienen die Griechen mit Exporten der Softwareindustrie schon sehr | |
viel mehr Geld als mit dem Verkauf von Olivenöl. „Obwohl das ökonomische | |
Umfeld so negativ ist, wurden während der Krise Tausende Firmen gegründet“, | |
schreibt der Autor Nick Malkoutzis in einer Studie. Tatsächlich ist das | |
auch eine Art, in einer Lage ohne funktionierende soziale Netze mit der | |
Arbeitslosigkeit umzugehen. Heute sind rund 32 Prozent Griechen, die | |
irgendwie in der Erwerbswirtschaft partizipieren, Selbstständige. Viele | |
davon Freiberufler oder Kleinunternehmer. | |
Aber gerade in der Krise sind das Kleinunternehmertum und die | |
gemeinwirtschaftliche und die Share-Ökonomie kaum voneinander zu | |
unterscheiden. Es ist eine Art Miteinander-Ökonomie, die neue „Greeconomy“. | |
Das lässt sich sogar schon an Meinungsumfragen ablesen. So hat sich die | |
Zahl derer, die sich unentgeltlich engagieren würden, um 44 Prozent erhöht. | |
Viele Initiativen sind in einer Grauzone zwischen Unternehmertum und | |
Solidaritätsaktionen angesiedelt. | |
Der Kleinunternehmer Giorgis Goniadis erzählt vom der Verbraucherinitiative | |
„Bio-Scoop“, einem genossenschaftlichen Laden in Thessaloniki, dessen | |
Betreiberkollektiv nur mit Bauern und Zulieferern aus der Umgebung | |
zusammenarbeitet. Das schafft Jobs in den Verkaufsläden und indirekt Jobs | |
in der Landwirtschaft, fördert die Umstellung auf ökologische Produkte und | |
sorgt zudem dafür, dass die schwindende Kaufkraft der Griechen nicht auch | |
noch an Multis wie Nestlé fließt. „Kooperativen wie Bio-Scoop können der | |
Krise besser trotzen als normale Firmen“, heißt es in einer Art | |
Consultingstudie der Universität Thessaloniki. | |
Athen, der große Park um die Archäologische Gesellschaft, die in einem | |
wunderschönen klassizistischen Gebäude im Westen der Stadt residiert. | |
Üppige Oleanderhecken mit bunten Blüten umgeben den Garten. Hier haben sich | |
schon im Mai Engagierte aus vielen Bereichen zum „Commons Festival 2015“ | |
getroffen. Selbstverwaltete Fabriken haben ihre Projekte ebenso | |
vorgestellt, wie Aktivisten aus dem Landesinneren, die ganze Dörfer mit | |
freiem WLAN vernetzen, oder die Beschäftigten des Staatsfernsehens ERT, | |
die, nachdem die vorige Regierung den Sender abschaltete, einfach in | |
Eigenregie weiterarbeiteten. | |
Die „normalen“ Start-ups und die Netzwerke solidarischer Ökonomie folgen | |
nicht zwei unterschiedlichen Logiken, weshalb der linke britische | |
Wirtschaftsjournalist Paul Mason in seinem gleichnamigen Buch schon einen | |
„Postcapitalism“ anbrechen sieht. „Ich glaube, diese ökonomischen Formen | |
bieten eine Rettungsgasse – aber nur wenn diese Projekte der Mikroebene | |
gehätschelt werden, wenn sie beworben und geschützt werden, und das muss | |
vor allem durch die Regierungen geschehen.“ | |
## Die Entstehung der Solar-Blase | |
Ioannis Margaris sieht das ähnlich. Der Techniker ist heute | |
stellvertretender Vorstandsvorsitzender des öffentlichen Energieversorgers | |
„Hellenic Electricity Distribution Network Operator“ und hier vor allem für | |
Innovation und den Umstieg auf erneuerbare Energien zuständig. Das | |
griechische Elektrizitätssystem hat eine Reihe von Herausforderungen, aber | |
eben auch von großen Chancen. Zu den Herausforderungen zählen: Griechenland | |
besteht aus vielen kleinen isolierten Inseln; viele Griechen können | |
aufgrund der Armut ihre Stromrechnungen nicht mehr bezahlen, dennoch | |
versucht die Regierung, ihnen eine Basisversorgung zu garantieren. | |
In den letzten Jahren bildete sich eine regelrechte „Solar-Blase“, was | |
wiederum den Nachteil hatte, dass ganze Landstriche der Landwirtschaft | |
entzogen wurden. Margaris setzt deshalb auf eine smarte, dezentrale | |
Elektrizitätswirtschaft der Zukunft, mit vielen kleinen autonomen | |
Produzenten und Kleincomputern in jedem Haus, die Produktion und Verbrauch | |
optimieren. | |
„Die Zukunft liegt in Produktionsclustern“, sagt er, „Griechenland könnte | |
dann auch zu einem Exporteur von Wissen, Expertise und von guten, | |
funktionierenden Beispielen werden.“ Zwar fehlen der Regierung natürlich | |
Mittel für große Investitionen, aber, so Margaris, „wenn man gute Projekte | |
hat, dann fließt auch Geld“ – gerade im Kontext der europäischen | |
Energiewirtschaft, in der viele Firmen und Elektrizitätsgesellschaften neue | |
Technologien und Organisationsformen erproben wollen. „Aber das wird nicht | |
als Top-down-Prozess funktionieren, dafür braucht man das Vertrauen der | |
Bürger und der Konsumenten. Dann wachsen auch kreative Ideen von unten.“ | |
## Die 30 Verrückten | |
Viele hundert zivilgesellschaftliche Netzwerke, die von Nahrungkooperativen | |
über selbstverwaltete Solidaritätskliniken bis zu lokalen Tauschringen mit | |
Parallelwährungen reichen, hat die griechisch-österreichische | |
Politikwissenschaftlerin Konstantina Zöhrer kartografiert. | |
Solidaritätskliniken wie die in Thessaloniki. Die ist in einem alten | |
Gewerkschaftshaus untergebracht, dort, wo die Innenstadt in die | |
Armenbezirke übergeht. 30 Prozent der Griechen sind ohne | |
Krankenversicherung, das sind drei Millionen, die nicht einmal im Notfall | |
zum Arzt gehen können. | |
„Wir waren 30 Verrückte, die die Idee hatten, eine Klinik für diese Leute | |
zu gründen“, sagt Katerina Notopoulou, die hier mit anderen Freiwilligen | |
dafür sorgt, dass die Abläufe passen, dass genügend Medikamente | |
aufgetrieben werden können, dass Spenden aus dem In- und Ausland | |
hereinkommen. Jetzt arbeiten 300 Freiwillige für die Klinik, und noch | |
einmal 300 weitere Ärzte haben ihre Praxen für jene geöffnet, die ihnen die | |
Solidaritätsklinik vorbeischickt. „Zahnärzte, Frauenärzte, | |
Allgemeinmediziner, wir haben hier alles.“ Rund 40 solche medizinischen | |
Selbsthilfeprojekte gibt es mittlerweile im ganzen Land. | |
Ein ganz anderes Beispiel ist die Firma Viome, weit draußen im | |
Industriegürtel von Thessaloniki. Dimitis lugt durch das provisorische | |
Guckloch eines notdürftig zusammengeschraubten Aluminiumtores und lacht. | |
„Kommt rein“, sagt er. Viome war eine Baumaterialfirma, die von ihren | |
Eigentümern geschlossen werden sollte. Die Arbeiter sind dann in den Streik | |
getreten, haben ihre Fabrik besetzt und nach einiger Zeit beschlossen, sie | |
in Eigenregie weiterzubetreiben. | |
Aber die Baustoffproduktion – also Zement, Estrich und so weiter – war | |
gegenüber den ausländischen Konkurrenzprodukten nicht mehr | |
wettbewerbsfähig; und außerdem ist der Markt für Baumaterialien | |
zusammengebrochen, da in der Krise kaum jemand mehr ein Haus baut. Also | |
sind linke Wissenschaftler beigesprungen und erstellten eine Marktanalyse. | |
„Sie sagten uns, wir sollten am besten hochwertige Naturprodukte | |
herstellen“, erzählt Dimitis. Heute produzieren die Viome-Arbeiter | |
ökologische Reinigungsmittel und Seifen. Ökologisch korrekt und auch noch | |
von kämpferischen Arbeitern im selbstverwalteten Betrieb hergestellt. | |
„Natürlich kann man nicht sagen, dass das ein positives Resultat der Krise | |
ist“, meint Elektrizitätsmanager Margaris. Dazu habe die Krise zu viel | |
zerstörerische Folgen. „Aber es gibt viele Beispiele von kreativen Ideen | |
von unten.“ | |
2 Aug 2015 | |
## AUTOREN | |
Robert Misik | |
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