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# taz.de -- Deutsche Flüchtlingspolitik: Nichts gelernt?!
> Geschichte ereignet sich zweimal, sagt Karl Marx – als Tragödie und als
> Farce. Was wir gerade erleben, ist die Farce der Asyldebatten von 1992.
Bild: In Hamburg wurden vor dem angekündigten Unwetter die Zeltunterkünfte f�…
In einer Bundestagsrede greift Angela Merkel in die aktuelle Debatte über
steigende Flüchtlingszahlen ein. Sie sagt: „Die Menschen erwarten von uns
schnelle Lösungen. Und zwar Lösungen, die greifen und die dem Missbrauch
des Asylrechts wirksam einen Riegel vorschieben.“ Unterdessen verbreitet
CDU-Generalsekretär Peter Tauber eine Vorlage für Resolutionen von
Kommunalparlamenten. Städte und Gemeinde sollen darin kundtun, dass sie die
Aufnahme von weiteren Asylsuchenden nicht mehr verkraften. Die CSU startet
eine Anzeigenkampagne gegen ein vor allem von den Sozialdemokraten
gefordertes Einwanderungsgesetz. Ihr Slogan: „Weiter massenhaft
Scheinasylanten – das ist dann Sache der SPD“.
Stopp. Hier ist etwas durcheinandergeraten. Verantwortlich für die drei
Meldungen sind Helmut Kohl, Volker Rühe und die Bremer CDU. Sie stammen aus
dem Jahr 1992, als vor allem die Union in einer nie zuvor da gewesenen
Kampagne Stimmung gegen Flüchtlinge machte. Die auf diese Weise
angestachelte Wut der Bevölkerung entlud sich parallel dazu auf den Straßen
von Rostock, Hoyerswerda oder Solingen.
Zurück in die Gegenwart: Angela Merkel [1][antwortet einem libanesischen
Mädchen], das von ihrer Angst, abgeschoben zu werden, berichtet, dass man
ja nicht alle aufnehmen könne. „Das können wir nicht schaffen“, so ihr
Mantra. In einem aktuellen [2][Interview mit dem Deutschlandfunk] spricht
der CSU-Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag, Thomas Kreuzer, von
einem „massenhaften Asylmissbrauch in Deutschland“. Der SPD wirft er vor,
„mit einem Einwanderungsgesetz ja noch mehr Zuwanderung“ zu wollen. Und aus
der sächsischen CDU werden Forderungen laut, Flüchtlingen aus als sicher
deklarierten Herkunftsstaaten [3][das Taschengeld zu streichen]. Auf den
Straßen von Dresden, Freital oder Reichertshofen entlädt sich der
Rassismus.
Die Geschichte ereignet sich immer zweimal, „das eine Mal als Tragödie, das
andere Mal als Farce“, schrieb Karl Marx im „Achtzehnten Brumaire“. Er
behält damit auch dieses Mal recht.
## Aggressive Rhetorik gegen Flüchtlinge
In dem Moment, wo die Zahl der Flüchtlinge erstmals wieder auf das Niveau
von Anfang der 1990er Jahre steigt, zeigt sich: Viele Repräsentanten der
deutschen Politik haben aus der unsäglichen Kampagne, die 1993 zur
faktischen Abschaffung des Grundrechts auf Asyl führte, nichts gelernt.
Erneut machen vor allem Unionspolitiker Stimmung gegen jene, die in
Deutschland Schutz vor Verfolgung suchen oder auch nur auf ein
menschenwürdiges Leben hoffen. Die Hetze gegen die Ärmsten der Gesellschaft
fällt auf fruchtbaren Boden. Dass es bei [4][mehr als 200 Anschlägen auf
Asylunterkünfte] im ersten Halbjahr 2015 noch keine Toten gegeben hat, ist
nichts als Zufall. Aber es ist nur eine Frage der Zeit, dass ein
aufgeheizter Mob, [5][wie am Wochenende in Dresden], einen Menschen zu Tode
hetzt oder ein Brandanschlag Opfer fordert.
Doch selbst diese Gefahr kann die Stammtischpolitiker nicht von ihrem Weg
abbringen. Ihr Ziel ist – damals wie heute – die Verschärfung von Gesetzen.
Weitere Staaten sollen zu [6][sicheren Herkunftsländern] deklariert, die
Abschiebung soll beschleunigt werden. Die Aussage ist klar: Wir wollen
diese Menschen hier nicht.
In ihrer Argumentation stützen sie sich auf die vielfach unhaltbaren
Zustände, die in überlaufenden Erstaufnahmeeinrichtungen oder hastig
errichteten Zeltstädten herrschen. Nur: Die mangelhafte Vorbereitung auf
die ankommenden Menschen ist ihr eigenes Versagen. Den Flüchtlingen
vorzuwerfen, dass sie schneller kommen, als neue Unterkünfte gebaut werden
können, ist schäbig. Spätestens seit Ausbruch der Arabellion und des
libyschen Bürgerkrieges 2011 war abzusehen, dass die Flüchtlingszahlen
stark ansteigen werden.
Wer dachte, dass dieser Kelch an Deutschland vorbeigehen würde, war
mindestens naiv. Doch wer jetzt noch glaubt, dass die aggressive Rhetorik
gegen Flüchtlinge folgenlos bleibt, setzt bewusst die Sicherheit dieser
Menschen aufs Spiel.
28 Jul 2015
## LINKS
[1] /Merkel-trifft-gefluechtetes-Maedchen/!5213677
[2] http://www.deutschlandfunk.de/kurswechsel-bei-der-union-csu-lehnt-einwander…
[3] http://www.mdr.de/sachsen/kretschmer-asylbewerber100.html
[4] https://www.tagesschau.de/inland/anschlaege-fluechtlingsheime-101.html
[5] /Zeltlager-fuer-Fluechtlinge-in-Dresden/!5217669
[6] /Diskussion-ueber-Balkan-Fluechtlinge/!5217820
## AUTOREN
Erik Peter
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