| # taz.de -- Kolumne Globetrotter: Rotz und Wasser | |
| > Teenagerspucke auf der Handinnenfläche muss nichts Schlechtes bedeuten – | |
| > man unterschätze die heilende Kraft des Sabbers nicht. | |
| Bild: Obacht beim High Five geben! | |
| Auf dem Fahrrad Richtung Schwimmbad sehe ich am Straßenrand einen | |
| 15-Jährigen, der mir die Handfläche entgegenstreckt. Offensichtlich zum | |
| Abklatschen. Er schaut anfeuernd, hoffnungsvoll und konspirativ zugleich. | |
| Schimmert da etwas in seiner Hand? Egal, keine Zeit zum Nachdenken, ich | |
| fahre ultraschnell, also Handschlag! | |
| Kaum vorbei, schallt es hinter mir: „Hey, voll, Alter!“ — allerdings nicht | |
| zu mir, sondern zu seiner verpickelten Clique, die sich hinter dem Gebüsch | |
| vor Lachen auf dem Boden wälzt. Ich höre sie nur, denn ich radle einfach | |
| weiter. Ich habe einen perfekten High-five gelandet, voll cool. Das sind | |
| Momente, da denke ich eher: Champagne! Mit fremder Spucke, wie sie gerade | |
| in meiner Hand klebt, habe ich in der Vergangenheit tolle Erfahrungen | |
| gemacht. | |
| Vor ein paar Jahren, als ich einen kleinen, harten Punkt unter meiner | |
| Fußsohle bemerkte, zeigte ich ihn meiner Mutter, die meinte: „Das könnte | |
| eine Dornwarze sein. Frag’ deinen Bruder, der hatte schon mal eine.“ | |
| Der sagte, es sei ganz einfach, sie loszuwerden: „Du musst sie hassen! Du | |
| musst sie laut beleidigen und schon ist sie weg.“ Das habe ihm wiederum | |
| sein Freund Sacchettini erzählt, der Medizin studiert hat, bevor er | |
| Skilehrer wurde. „Bei mir hat das geklappt“, schloss mein Bruder. | |
| Schon in dem Moment empfand ich Mitleid mit meiner Warze. Ich fing an, sie | |
| zu lieben. Folgerichtig entfaltete sie sich, wuchs und bald tat sie weh. | |
| Also ging ich zum Hautarzt. Aus einem Termin wurden viele. Ich musste jede | |
| Woche hin, um die Warze vereisen zu lassen. Mal schien sie zu verschwinden, | |
| mal wurde sie wieder größer — und über den sich irgendwann doch | |
| einstellenden Hass konnte der Auswuchs nur lachen: Nach zwei Jahren | |
| Behandlung war sie immer noch da. | |
| Selbst die Ärztin brachte die Warze an ihre Grenzen. Sie machte keinen Hehl | |
| mehr daraus, mir beim Vereisen ins Gesicht zu seufzen und mit den Augen zu | |
| rollen. Eines Tages wollte ich es wissen und provozierte: „Nächste Woche | |
| fahre ich zu meinen Eltern nach Frankreich und besuche dort eine Hexe.“ | |
| ## Der Wunderheiler | |
| Früher brachte mich mein Opa immer zum „Rebouteux“, zum Heiler, wenn ich | |
| mir den Knöchel beim Springen von einem Baum oder einer Mauer verstaucht | |
| hatte. Der ging dann sanft mit der Hand über meine Verletzung, legte | |
| Kräuter drauf und flüsterte etwas vor sich hin. Er verlangte nie Geld, denn | |
| sein Beruf war verboten. Diskret legte mein Opa immer ein paar | |
| Zehn-Francs-Stücke auf den Kühlschrank. Am nächsten Tag waren die Schmerzen | |
| immer weg. | |
| „Superidee“, entgegnete die Ärztin zu meinem Entsetzen. „Um Berlin herum | |
| gibt’s auch viele Hexen, die Sie besuchen könnten.“ Das traf. Sie wollte | |
| mich wirklich loswerden. | |
| Kaum in Frankreich angekommen, ließ ich meinem Feldzug gegen die | |
| Schulmedizin Taten folgen. Die Hexe wohnt auf einem Bauernhof. Mit ihrem | |
| pastellfarbenen Kleid aus Polyester und vom Färben kaputtem Haar sah sie | |
| ein wenig wie meine Oma aus. Im Wartezimmer schwirrten fette Fliegen um | |
| einen hölzernen Kronleuchter. | |
| Stumm und blass saßen da ein paar nervöse ältere Leute in dick gepolsterten | |
| Kunstledersofas, die bei jeder kleinsten Bewegung flatulente | |
| Quietschgeräusche von sich gaben. Irgendwann bat mich die kleine Frau Hexe | |
| ins Hinterzimmer. Ich setzte mich auf einen Kordsessel, sie dicht neben mir | |
| auf einen Hocker. | |
| Ich zog den Schuh aus und zeigte ihr das Problem, wir sprachen kurz. Die | |
| Warze sei groß, bestätigte sie, aber sie kriege das hin. Dann ging alles | |
| ganz schnell: Sie packte meinen Fuß, räusperte sich laut, spuckte auf ihren | |
| hornigen Daumen und drückte ihren Schleim fest auf meine Warze. | |
| Daraufhin lallte sie ein mantraartiges Gebet, in dem der Name Jesus vorkam, | |
| flatterte mit den Augenlidern, verdrehte ihre Pupillen nach hinten. Ich | |
| fand’s super. Irgendwann ließ sie los, ging wortlos ins Bad, wusch sich die | |
| Hände und blieb ein paar Minuten am Becken stehen, ohne in den Spiegel zu | |
| schauen. Ein paar Wochen später war die Warze weg. | |
| Als ich nun mit angespuckter Hand im Schwimmbad ankomme, zahle ich den | |
| Eintritt, ziehe mich schnell um. Statt Duschen gehe ich direkt zum Becken | |
| und stecke meine ungewaschene Hand ins Wasser. Hoffnungsvoll bete ich um | |
| die Kraft der Spucke für alle Badenden – wenn es auch der Sabber eines | |
| Teenagers ist, der sich selbst in die Hand spuckt. | |
| 21 Jul 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Elise Graton | |
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