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# taz.de -- Gabriel und die Wirtschaftslobby: Watschen vom Minister
> Sekt, Canapees und warme Worte? Nicht mit Sigmar Gabriel. Wie der
> SPD-Chef die gepflegte Langeweile einer Buchvorstellung aufmischt.
Bild: Kamen auch schon mal besser miteinander klar: Sigmar Gabriel und Wolfgang…
Berlin taz | „Mensch, die USA geben mehr Geld für Gefängnisse aus als für
Bildung“, koffert Sigmar Gabriel die eingeschüchterte Moderatorin an. In
den Staaten gebe es kein ordentliches Gesundheitssystem, keine staatlichen
Zuschüsse für Theater. „Und ich denke doch, der eine oder die andere von
Ihnen geht ab und zu ins Theater?! Sollen wir das abschaffen?“
Gabriel blitzt aus kleinen Augen grimmig in die Runde. Ihn nervt, dass sich
Deutschland ständig mit den USA vergleichen soll. Die Moderatorin hatte die
brutale amerikanische Marktwirtschaft gerade noch als „Herausforderung“ für
die Bundesrepublik gelobt. Jetzt schweigt sie lieber.
Eigentlich ist das hier ein Feel-good-Termin. Eine Buchvorstellung, zu der
ein prominenter Politiker kommt, läuft in Berlin-Mitte normalerweise so ab:
Ein Verlagsrepräsentant lobt das Buch, der Politiker spricht ein paar warme
Worte, der Autor tut bescheiden. Danach gibt es Sekt und Canapees für alle.
Doch die Vorstellung des 3,5 Kilogramm schweren Schinkens „Das
Deutschland-Prinzip. Was uns stark macht“ im Kulturkaufhaus Dussmann hat
mit gepflegter Langeweile nichts zu tun. Im Gegenteil, sie ist richtig
lustig. Gabriel sei Dank.
Über das Buch, das sein ehemaliger Parteifreund Wolfgang Clement
herausgegeben hat, muss man eigentlich kein Wort verlieren. Bezahlt hat es
die „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM). Die von Konzernen
gesponserte Lobbyorganisation wirbt seit Jahren für neoliberale Politik.
## Duzen oder siezen?
Clement, früher mal Wirtschafts- und Arbeitsminister, macht inzwischen
Werbung für Atomstrom und ist zufällig INSM-Kuratoriumsvorsitzender. Er hat
sich nach eigenem Bekunden „blitzschnell“ entschieden, als ihm die
Herausgeberschaft angetragen wurde. Das ist schön für Clement, aber
irrelevant.
Nun aber zu Gabriel. Der SPD-Chef neigt bekanntlich manchmal zu schlecht
gelaunter Rotzigkeit. Er denkt gar nicht daran, die INSM oder das Buch
höflich zu loben. Stattdessen nutzt er die Gelegenheit, den versammelten
Unternehmern eine Gardinenpredigt zu halten, die sich gewaschen hat.
Er sei gerne gekommen, säuselt er zu Beginn. Schließlich stehe in dem Buch
auch mal was Gutes über Deutschland. Endlich jammere die INSM mal nicht,
die ja sonst überflüssige Plakate gegen die Rente mit 63 in Bahnhöfen
aufhänge, über den Mindestlohn motze und sich in Weltuntergangsszenarien
ergehe. „Wenn die INSM so bleibt, könnte ich mein Bild über sie ändern.“
Spätestens jetzt merken die Organisatoren, dass es nicht so läuft wie
gedacht. Über 100 Damen und Herren sitzen dicht gedrängt in Stuhlreihen,
die Damen im modischen Sommerkleid mit blondiertem Haar, die Herren im
schwarzen Anzug, manche mit Seideneinstecktuch und Spazierstock. Einer
zieht die Augenbraue hoch, alle wahren Contenance – schließlich ist hier
die Elite unter sich. Wölfisch lächelnd fragt Gabriel, ob er Clement jetzt
eigentlich duzen oder siezen solle.
## Niemand zieht das Jackett aus
Der SPD-Vorsitzende genießt seine Watschenpredigt sichtlich. Gelassen steht
er hinter dem weißen Pult mit den goldenen INSM-Buchstaben. Er macht jetzt
einen kurzen Ausflug in die Geschichte des Ordoliberalismus. Jener geht auf
die Freiburger Schule der Nationalökonomie zurück. Er rate allen, mal
nachzulesen, was die alten Ordoliberalen zur Erbschaftsteuer geschrieben
hätten, sagt Gabriel: Ein Erbe sei ein leistungsloses Einkommen, es
bevorzuge reiche Erben gegenüber jungen, klugen Unternehmern. „Die
Ordoliberalen waren kluge Leute. Die haben das als Marktverzerrung
gesehen.“
Das ist harter Tobak für die INSM-Vertreter, die sich gerne Liberale
nennen, aber im Auftrag der Großunternehmen gegen eine Besteuerung von
Millionenerben kämpfen. Einem Herrn fällt vor Schreck das Monokel aus dem
Auge. Entschuldigung, diese Szene ist jetzt erfunden, aber sie beschreibt
die Stimmung im Saal einfach zu gut.
Zwischendurch steigt die bezaubernde Catherine von Fürstenberg-Dussmann auf
die Bühne und entschuldigt sich für das Versagen der Klimaanlage. Die
Herren, sagt sie mit amerikanischem Akzent, mögen doch so frei sein, die
Jacketts ablegen. Keiner tut es, alle schwitzen weiter.
Gabriel feuert jetzt die nächste Breitseite ab – gegen Akademiker und
Unternehmer. Das dumme Gerede über die Rente mit 63 komme vor allem von
Leuten mit hohem Gehalt und gesicherter Rente. Von Leuten also, die nicht
wüssten, dass man nach 45 Beitragsjahren auch mit 1.200 Euro Rente nach
Hause gehen könne. „Ein bisschen Demut“, fordert Gabriel. „Demut vor den…
die härter arbeiten, als die, die über sie urteilen und entscheiden.“ Wer
ihm nicht glaube, solle mal mit Krankenschwestern, Verkäuferinnen oder
Arbeitern sprechen.
## Sekt gegen den Schock
Leider sind keine im Saal, um ihm zuzustimmen. Hier sind selbstverständlich
alle dafür, dass Arbeitnehmer angesichts des demografischen Wandels länger
arbeiten. Zum Wohle Deutschlands und seiner Unternehmerschaft,
selbstverständlich. Clement, 74 Jahre, hatte zuvor kokett auf sein eigenes
Alter hingewiesen, um zu belegen, das Arbeit durchaus auch jenseits der 67
Spaß machen könne.
Gabriel schließt mit der gemeinen Spitze, dass ein 3,5 Kilo schweres Buch
in Zeiten der Digitalisierung doch etwas aus der Zeit gefallen wäre.
Digitalisierung der Wirtschaft, das ist auch so ein Lieblingsthema der
INSM. In der anschließenden Fragerunde mit Clement bügelt er die schlecht
vorbereitete Moderatorin mehrfach ab. Als sie Fragen aus dem Publikum
zulassen will, sagt er, dass er aber bald ins Parlament müsse. „Lieber
Ärger mit Ihnen als Ärger mit dem Parlament.“
Am Ende bedankt sich INSM-Geschäftsführer Hubertus Pellengahr sogar noch
dafür, dass Gabriel dem Termin politische Bedeutung verliehen habe. Dann
rauscht der SPD-Chef ab, der Rest trinkt einen (deutschen) Sekt auf den
Schock. Es ist etwas ja fast etwas peinlich, das hinzuschreiben: Aber
manchmal ist Sigmar Gabriel wirklich eine coole Sau.
3 Jul 2015
## AUTOREN
Ulrich Schulte
## TAGS
Sigmar Gabriel
Wolfgang Clement
Wolfgang Schäuble
Erbschaftsteuer
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Kohle
Schwerpunkt Angela Merkel
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