# taz.de -- Debatte Junk-Food-Krieg: Der Netzwerk-Effekt | |
> Bei den Essensbestelldiensten Lieferando und Lieferheld wird mit harten | |
> Bandagen um Marktanteile gekämpft. Ohne Online-Netze geht nichts. | |
Bild: Da bekommt jeder Lieferdienst Probleme: Riesenpizza am „Weltpizzatag“… | |
„Isch bin dir Fafalle“ steht über einem Teller Nudeln, „Wasabi da nur | |
wieder bestellt“ über einem Sushi-Brett. Diese Werbeplakate für das | |
Internetunternehmen Lieferando zieren gegenwärtig in ganz Deutschland die | |
Plakatwände. Witzig, nicht? | |
Weniger witzig ist das wirtschaftliche Kalkül hinter diesem millionenteuren | |
werblichen Dauerfeuer: Die Poster, vor denen es in deutschen Innenstädten | |
fast kein Entkommen gibt, sind Zeichen eines Kampfes bis aufs Blut zwischen | |
den beiden verbliebenen Großanbietern für Online-Essenbestellungen: | |
Lieferando und Lieferheld. Nachdem Lieferheld im vergangenen Jahr Pizza.de | |
übernommen hat, sind dies die beiden verbleibenden Internetunternehmen, die | |
über ihre Website hungrige Kunden mit Lieferdiensten zusammenbringen | |
wollen. | |
Lieferando wie Lieferheld bieten selbst keine Speisen an. Ihre | |
Dienstleistung besteht lediglich darin, dem Publikum auf ihrer Website das | |
Angebot von Restaurants mit Lieferservice aus dessen Nähe zu präsentieren. | |
Für diese Vermittlung kassieren die Unternehmen einen Prozentsatz des | |
Gewinns. In Deutschland ist das ein wachsender Markt, bei dem es um sehr | |
viel Geld geht. Mehr als 600.000 Mahlzeiten wurden 2014 pro Monat über | |
Lieferando und Lieferheld bestellt, Tendenz: stark steigend. | |
Darum wird in dieses Geschäftsmodell gerade sehr viel Risikokapital | |
gepumpt. Im vergangenen Jahr übernahm das holländische Unternehmen | |
takeaway.com für angeblich mehr als 50 Millionen Euro Lieferando. In das | |
internationale Unternehmen Delivery Hero, dessen deutsche Tochter | |
Lieferheld ist, kaufte sich vor kurzem Rocket Internet für mehr als eine | |
halbe Milliarde Euro ein. | |
## Es geht um sehr viel Geld | |
In kaum einem Segment der Internetbranche wird derzeit mit so harten | |
Bandagen gekämpft wie bei der Onlinevermittlung von Essen. Zwischen den | |
verschiedenen Anbietern in Deutschland waren zeitweise Dutzende von | |
Verfahren anhängig, unter anderem wegen angeblichem Hacking der Computer | |
der Konkurrenz. Denn das Motto des Films „Highlander“ gilt auch für | |
Internetunternehmen: „Es kann nur einen geben.“ Mit dankenswerter | |
Ehrlichkeit hat Jitse Groen, Chef von Lieferando, der Berliner Morgenpost | |
erläutert: „Im Lieferdienst-Geschäft werden Sie nur dann hohe Profite | |
einfahren, wenn Sie den Markt beherrschen – also ganz klar die Nummer eins | |
sind. Als Nummer zwei verdienen Sie fast gar nichts.“ | |
In der Volkswirtschaftslehre ist das als der Netzwerkeffekt bekannt: Je | |
mehr Menschen sich einem bestimmten Netzwerk anschließen, desto nützlicher | |
wird dieses. Wenn man der einzige Besitzer eines Telefons ist, kann man mit | |
diesem nichts anfangen. Wenn aber alle meine Freunde bei Facebook sind, | |
dann kann es für mich nützlich sein, mich ebenfalls diesem sozialen | |
Netzwerk anzuschließen – schließlich erreiche ich mit einem Posting alle | |
meine Freunde. Deshalb haben soziale Netzwerke wie Google Plus oder Ello | |
gegen Facebook kaum eine Chance. | |
Da die Nützlichkeit bei steigender Nutzerzahl für alle Beteiligten weiter | |
anwächst, kommt es zur positiven Rückkopplung. Ist erst mal eine kritische | |
Masse erreicht, steigt die Nutzerzahl exponentiell an: Weil viele zu einem | |
bestimmten Netzwerk gehören, wollen diesem immer noch mehr angehören. | |
Märkte, in denen der Netzwerkeffekt eine Rolle spielt, neigen zur Bildung | |
von Monopolen. Es handelt sich um sogenannte Winner-takes-all-Märkte, bei | |
denen irgendwann nur noch ein einziger Wettbewerber übrig bleibt. Gerade | |
das angeblich so egalitäre Internet begünstigt derartige Entwicklungen. | |
Denn Facebook ist keineswegs das einzige Netzunternehmen, das alle | |
Mitbewerber pulverisiert hat und nun sich nun der Vorteile einer | |
unangefochtenen Marktbeherrschung erfreut. Seit Friendster, MySpace, | |
StudiVZ und Co eliminiert sind, kann das Unternehmen schalten und walten, | |
wie es will. | |
## Facebook, Ebay, Amazon | |
Aber auch der Internet-Flohmarkt Ebay ist ein Nutznießer des | |
Netzwerkeffekts: Je mehr Anbieter, desto mehr Kunden und umgekehrt. | |
Nennenswerte Konkurrenz gibt es in Deutschland schon lange nicht mehr. Auch | |
Amazon ist ein Profiteur des Netzwerkmodells: Das Unternehmen kann durch | |
seine schiere Größe ein gigantisches Sortiment und umgehende, kostenfreie | |
Lieferung bieten und hat daher andere Versandhändler lange hinter sich | |
gelassen. Wer über den Amazon-Marketplace eigene Produkte anbieten möchte, | |
kann ein Lied von den ausbeuterischen Geschäftsbedingungen singen, die | |
Amazon seinen Geschäftspartnern aufzwingt. Woanders hingehen kann er – | |
mangels ernstzunehmender Alternativen zu Amazon – leider nicht. | |
In dieser komfortablen Situation würden sich gerne auch Lieferando und | |
Lieferheld wiederfinden: eine marktbeherrschende Position, die der | |
Konkurrenz nur ein paar Krümel übrig lässt – oder, in Anbetracht der | |
angebotenen Produkte, eine paar kalte Spagetti, einige vertrocknete | |
Pizzascheiben oder matschige Frühlingsrollen. Denn dann könnte man ohne | |
lästigen Konkurrenzdruck die Preise diktieren und seine „Geschäftspartner“ | |
– die Restaurants, die die eigentliche Leistung erbringen – endlich nach | |
Herzenslust auspressen. | |
Die Milliarden, die Investoren in diese Unternehmen gesteckt haben, wurden | |
nach genau diesem Kalkül investiert: Eins der beiden Unternehmen wird | |
irgendwann der wichtigste, wenn nicht der einzige Weg zum Kunden sein für | |
Kleinstbetriebe, die ihr Geld damit verdienen, dass sie in weniger als 30 | |
Minuten Chicken Birani für 5,99 Euro oder Pizza Margarita mit einer | |
Literflasche Cola für 10 Euro frei Haus liefern. | |
Bluten wird eine Branche, deren Angestellten – oft Tagelöhnern in prekären | |
Beschäftigungsverhältnissen, Schwarzarbeitern oder Familienmitgliedern – | |
der deutsche Mindestlohn häufig nur aus der Zeitung bekannt ist. Auf deren | |
Kosten wollen Risikokapitalisten wie Rocket Internet ihre | |
Milliarden-Investitionen zurückverdienen und noch einiges dazu. | |
Das sollte man sich bei der nächsten Bestellung bei den genannten | |
Unternehmen ins Gedächtnis rufen. | |
5 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Tilman Baumgärtel | |
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