# taz.de -- Polizeigewalt in Bayern: Knochensplitter und Idylle | |
> In einem Dorf in Bayern prügeln Polizisten Punks ins Krankenhaus. Anzeige | |
> wollen diese nicht erstatten – aus Angst, als Aussätzige zu gelten. | |
Bild: Landidylle in Bad Kötzting mit der Stadtpfarrkirche Mariä Himmelfahrt (… | |
Bad Kötzting/Furth im Wald taz | Der 7.000-Seelen-Ort Bad Kötzting liegt | |
malerisch zwischen dichten Wäldern am Ufer des Weißen Regens: Bayern-Barock | |
und Fachwerk-Idylle. Im Süden erheben sich die Gipfel des Bayerischen | |
Waldes, im Osten und Norden sind es nur wenige Kilometer bis zur | |
tschechischen Grenze. Die Menschen in der Gegend halten zusammen, Tradition | |
und Ordnung sind für sie wichtig – selbst für die wenigen Rebellen. | |
Eines Nachts Ende Mai verprügeln hier zwei Polizisten eine Gruppe Punks. | |
Drei der Jungs werden im Krankenhaus landen, einer muss notoperiert werden. | |
Seitdem rechnen sie jeden Morgen auf dem Weg zum Briefkasten damit, dass | |
darin eine Anzeige liegt, wegen Widerstand gegen die Staatsgewalt und | |
versuchter Gefangenenbefreiung. | |
Sie trauen sich bisher nicht, einen Anwalt zu nehmen und juristisch gegen | |
die Beamten vorzugehen. Und sie bestehen darauf, dass ihre Geschichte hier | |
nur anonym erzählt wird. Denn sie haben Angst vor dem Getuschel der | |
anderen, vor Blicken an der Supermarktkasse. Sie fürchten, sie könnten ihre | |
Arbeit oder ihre Wohnung verlieren, wenn Vermieter oder Chef davon hören. | |
Sie leben alle gerne hier, sind heimatverbunden, trinken Kaffee mit ihren | |
Nachbarn und freuen sich über Besuch bei ihren Konzerten. Das wollen sie | |
nicht aufs Spiel setzen – anderssein und dafür akzeptiert werden. | |
Es ist nicht klar, was genau in der Nacht zum 30. Mai auf der | |
Kopfsteinpflasterstraße hinauf zum Marktplatz von Bad Kötzing geschehen | |
ist. Dazu gibt es zwei Versionen. Die der Polizei, welche sich auf eine | |
Pressemitteilung beschränkt, da sie auf taz-Anfrage auf das laufende | |
Verfahren verweist. Und die Sicht der mutmaßlichen Opfer sowie einiger | |
Augenzeugen. | |
## Schwarze Lederjacken | |
Es ist das letzte Wochenende der Pfingstwoche – des größten religiösen und | |
gesellschaftlichen Events von Bad Kötzting. Das Brauchtum ist sehr | |
lebendig. In einer Prozession reiten festlich gekleidete Geistliche mit 900 | |
Trachtenträgern auf geschmückten Pferden durch die Stadt und tragen dabei | |
ein mannshohes, goldverziertes Kreuz. Die Lokalzeitung lobt auf einer | |
halben Seite das Ballkleid der Pfingst-Braut. Spielmannszüge marschieren | |
durch die Straßen. Am Abend ist Volksfeststimmung. | |
Unter den Trachtlern und Lederhosen fallen Franz, Paul, Kai und Hans auf. | |
Sie tragen T-Shirt und Jeans, zeigen ihre tätowierten Arme und Piercings. | |
Es ist ein warmer Frühsommerabend, und die Clique setzt sich auf die | |
Terrasse des Horse Town Clubs am Marktplatz. Die Stimmung ist ausgelassen. | |
Das Bier fließt. | |
„Wir haben gefeiert und gut getrunken“, erinnert sich Franz. Um von dem zu | |
erzählen, was in den folgenden Stunden passierte, will Franz nicht in Bad | |
Kötzting mit einem Reporter von auswärts gesehen werden: „Das würde jeder | |
mitkriegen, und sofort wären wir das Dorfgespräch.“ Deshalb haben er und | |
seine Freunde ein Wirtshaus 20 Kilometer entfernt als Treffpunkt | |
vorgeschlagen. Dass bei so wenigen Einwohnern trotzdem der Verdacht auf sie | |
fallen kann – dieses Risiko gehen sie ein, weil sie überzeugt sind, Opfer | |
einer großen Ungerechtigkeit geworden zu sein. | |
Es ist gegen halb 3 Uhr morgens auf der Terrasse des Horse Town Clubs in | |
Bad Kötzing, als die Gruppe zahlt und sich auf den Heimweg macht. Kaum | |
haben sie die Bar verlassen, kommt es zu einer Rangelei mit Mitgliedern | |
eines Burschen-Vereins. Schimpfwörter fliegen, aber keine Fäuste. Paul ist | |
am nüchternsten und schlichtet. Jede Gruppe zieht ihres Weges. Die Punks | |
wollen bei Kai übernachten. Franz trödelt hinterher. | |
## „Polizei, Ausweis her!“ | |
Plötzlich stehen da zwei Männer auf dem Marktplatz. Die Haare haben sie | |
nach hinten gegelt, sie tragen keine Uniformen, sondern schwarze | |
Lederjacken. Beide steuern zielstrebig auf Franz zu, packen ihn am T-Shirt | |
und brüllen: „Polizei, Ausweis her!“ | |
„Ich habe so was geantwortet wie: Kann ja jeder sagen, zeig mal du deinen | |
Ausweis“, sagt Franz. „Das waren keine von unseren Dorfpolizisten, die | |
sahen überhaupt nicht aus wie Polizei, beide waren in zivil – und einen | |
Ausweis haben wir nie gesehen“, erzählt Paul. Woher die Zivilpolizisten | |
stammen, will die Polizei bis heute nicht sagen. | |
Statt des Dienstausweises bekommt Franz eine Ladung Pfefferspray vor die | |
Augen. Grundlos. Er klappt zusammen und brüllt vor Schmerz. Hans, Paul und | |
Kai bemerken, dass etwas nicht stimmt. Sie sehen ihren Freund auf dem Boden | |
liegen und wie sich zwei Gestalten über ihn beugen. Sie glauben, ihr Kumpel | |
werde von ein paar betrunkenen Festbesuchern aufgemischt. Sie laufen los, | |
Hans vorweg. Ein Fehler, den er am nächsten Tag auf dem OP-Tisch bezahlen | |
wird. | |
„Ich bin hingerannt – aus Zivilcourage. Habe geschrien, was das soll und | |
versucht, den einen von Franz wegzuziehen“, sagt Hans. „Wenn ich gewusst | |
hätte, dass das Polizisten sind, hätte ich das nicht gemacht.“ Woher genau | |
der Schlag kommt, sieht Hans nicht. Eine Hand zerrt an seinem Hinterkopf, | |
während ihm einer der Polizisten mit einer Maglite-Taschenlampe auf die | |
Stirn drischt. Zwischen den Augen splittert der Knochen. Hans sackt | |
zusammen. | |
„Am nächsten Tag im Krankenhaus wurde erst meine Platzwunde genäht, meine | |
Stirnplatte war eingedrückt. Seitdem habe ich eine Platte im Kopf. Der Arzt | |
war überrascht, dass ich überhaupt noch bei Bewusstsein war“, sagt Hans. | |
Vier Tage lag er im Krankenhaus. Auch drei Wochen nach seiner OP verbirgt | |
er seine blutunterlaufenen Augen hinter einer breiten Sonnenbrille. | |
## Rätselhafte Verletzung | |
Soweit die Version der Punks und einiger Augenzeugen. Im Polizeibericht zur | |
Nacht heißt es dagegen nur: „Im Verlauf der Anzeigenaufnahme kam es zum | |
Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte mit Körperverletzungen und einer | |
versuchten Gefangenenbefreiung gegen die ersteinschreitenden | |
Polizeibeamten. Bei der Schlägerei und dem nachfolgenden Einsatz wurden | |
mehrere Personen, darunter auch Polizeibeamte, verletzt.“ | |
Wie sich der Polizist verletzt haben kann, ist für die Gruppe ein Rätsel: | |
„Er ist nicht mal hingefallen, als ich ihn von Franz wegziehen wollte“, | |
sagt Hans. | |
Ihr Fall ist nur einer von vielen, bei denen die bayerische Polizei hart, | |
vermutlich zu hart vorging. Oft landen nicht die Polizisten, sondern die | |
Opfer auf der Anklagebank: 2009 brechen Polizisten der Spezialeinheit USK | |
Jan A. im Einsatz die Finger, weil dieser an einer verbotenen Stelle | |
gegrillt hatte. A. wurde zu 1.500 Euro Schmerzensgeld verurteilt. 2010 | |
ringen Polizisten eine Familie in Rosenheim nieder und bekommen eine | |
Anzeige. 2011 rammen Beamte eine Dolmetscherin am Münchner Hauptbahnhof | |
gegen die Wand. Die Polizisten zeigen sie an. 2011 verprügelt der | |
Rosenheimer Polizeichef einen 15-Jährigen. Teresa Z. ruft 2013 die Beamten | |
zur Hilfe, wird auf einer Münchner Wache gefesselt und von einem Polizisten | |
ins Krankenhaus geprügelt. | |
## Das Urteil der Dorfgemeinschaft steht fest | |
Gruppen wie Amnesty International (AI) kritisieren seit Langem, dass die | |
Polizei in solchen Fällen gegen sich selbst ermitteln muss – wenn Aussage | |
gegen Aussage steht. Viele Verfahren werden eingestellt. In Bayern sei die | |
Situation noch schlechter als in anderen Bundesländern, stellte AI schon | |
2011 fest. | |
Unter anderem öffentlicher Druck führte dazu, dass Frank W., der Polizist, | |
der Teresa Z. ins Gesicht schlug, zu zehn Monaten auf Bewährung verurteilt | |
wurde. Im Dienst ist er bis heute. Doch anders als Teresa Z. können sich | |
die Jungs im Bayerischen Wald nicht der Unterstützung der Öffentlichkeit, | |
Medien und Zivilgesellschaft sicher sein. Im Gegenteil. | |
Das Urteil der Dorfgemeinschaft steht schon jetzt: „Wenn die Polizei | |
hinlangt, dann trifft es schon die Richtigen, besonders, wenn die keine | |
Lederhosen tragen. So sieht man das hier“, sagt Hans. Das gilt vielerorts | |
in Bayern, in den ländlichen Gegenden ganz besonders: Polizei ist wie | |
Kirche. Sie ist Teil der Ordnung, die nicht infrage gestellt wird. | |
Doch immerhin: Die Pfingst-Braut ist unter den Zeugen von Bad Kötzting. Sie | |
bestätigt die Version der Jungs. Dass nicht sie die Angreifer waren, | |
sondern die Polizei, und dass diese äußert brutal gegen die Punks vorging. | |
„Ihr Amt und ihr Wort zählen mehr als der Landrat“, sagt Kai. Doch ob sie | |
auch mehr zählen als die Polizei? | |
4 Jul 2015 | |
## AUTOREN | |
Ferdinand Otto | |
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