# taz.de -- Nachlass der Schriftstellerin Frida Langer: All die schönen Dinge | |
> Von der Deportation bedroht nahm sich Frida Langer 1942 das Leben. Helga | |
> Dombrowski hat nun ihre Gedichte und Texte herausgegeben. | |
Bild: Aufnahme von Frida Langer aus dem Jahr 1928. | |
Unterwegs in Berlin trifft man allenthalben vor den Hauseingängen auf die | |
berühmten Stolpersteine, die anzeigen, wer aus dem Haus in der Zeit des | |
Nationalsozialismus verfolgt, vertrieben, deportiert, ermordet oder in den | |
Suizid getrieben wurde. In Giengen an der Brenz, der Stadt, aus der die | |
Steifftiere mit dem Knopf im Ohr herkommen, wird man nirgendwo über einen | |
solchen Gedenkstein stolpern. Manchmal scheint es so, als sei die | |
nationalsozialistische Judenverfolgung ein Phänomen der Großstadt gewesen. | |
Doch sie fand auch auf dem platten Land statt, eben in Giengen an der | |
Brenz, wo sich Frida Langer am Karfreitag 1942 das Leben nahm, bevor sie | |
mit dem zweiten Transport von württembergischen Juden deportiert werden | |
sollte. Jetzt erinnert das von Helga Dombrowsky herausgegebene „Blaue | |
Notizbuch“ mit Langers Gedichten und Texten an die Kunsthandwerkerin. | |
Albert Schlopsnies, Puppenkünstler und Berater der schon damals bekannten | |
Spielzeugwarenfabrik der Margarete Steiff, hatte sie Anfang der 1920er | |
Jahre an das sogenannte Musterzimmer der Firma vermittelt, wo sie Puppen | |
und deren Bekleidung entwarf. | |
Frida Langer selbst verstand sich als Schriftstellerin. Ob sie es war, | |
wissen wir nicht. Denn es ist nur ein schmaler Nachlass, der sich erhalten | |
hat. Als Frida Berneis 1888 in Fürth geboren, wo ihre jüdischen Vorfahren | |
seit Anfang des 19. Jahrhunderts siedelten, lebte sie seit 1906 in Paris. | |
Dort lernte sie den Kunstmaler Otto Richard Emil (ORE) Langer kennen, ihre | |
gemeinsame Tochter Anna Calonne wurde 1910 geboren. 1913 zog sie, | |
inzwischen verheiratet, mit Mann und Tochter nach Berlin, wo ihr Bruder | |
Benno Berneis als Kunstmaler lebte. 1915 kam der Sohn Fritz Paul zur Welt. | |
Eine dritte Tochter Hannelore Victoria hatte den Berliner Antiquar | |
Siegfried Sicker zum Vater. | |
## Bauen in Giengen an der Brenz | |
Von ORE Langer verwitwet − er starb 1920 an den Folgen seiner schweren | |
Giftgasverletzung aus dem Ersten Weltkrieg – und von Sickert geschieden, | |
etablierte sich Frida Langer in Giengen, wo sie sich 1926/27 ein | |
architektonisch extravagantes Haus am südlichen Stadtrand erbaute. In | |
dieser Zeit zog ihre jüngste Tochter Hannelore zu ihr. Sie gelangte 1939 | |
als Erzieherin mit einem Kindertransport nach England. Über sie kam ein | |
Teil der Gedichte und Prosaskizzen an die Historikerin Helga Dombrowski. | |
Hannelore Sickert war sie bis zu ihrem Tod 1973 mit zwei Schulfreundinnen | |
aus Giengen in Kontakt geblieben, denen sie in sorgsam hergestellten | |
Büchlein Gedichte und Texte ihrer Mutter zum Geschenk machte. | |
Wenig verwunderlich ist deren Ton melancholisch. In „Brief“ etwa erinnert | |
sich Frida Langer: „Weißt Du, mit der Zeit / Werden alle die schönen Dinge | |
/ In Berlin Unter den Linden, /Hart wie Glas für mich. / Und sei es Wäsche | |
aus Crèpe Georgette, / Oder eine seidne Daunendecke fürs Bett .../ Hart wie | |
Glas.“ Und im Gedicht „Im Giengener Rathaus. 22.4.36“ wird der dunkle | |
Abendhimmel zum Sinnbild einer durch den Entzug ihrer Bürgerrechte völlig | |
veränderten Welt: „Tod ist dann Glück und nur beschwingtes Eilen / Zur | |
Wahrheit hin, von Staub und Lüge fort“. | |
Den Gedichten und Texten sind vier Bilder aus Max Härings „Untiefe“-Zyklus | |
beigegeben. Die Bilder des Giengener Malers sind also nicht Illustration, | |
sondern sie eröffnen je eigene Bildräume. Refugien, die erlittene, drohende | |
oder imaginierte Gewalt zu reflektieren, von der das Blaue Notizbuch | |
spricht: Unter einem offenen, fließenden Zeithorizont, in dem sich | |
Comic-Elemente inmitten klassischer Traumlandschaften finden, die Böcklin | |
zitieren; in dem die Delphine und Wale, die sich in perfekter | |
altmeisterlichen Malerweise auf die Leinwand tummeln nicht mythische | |
Fabelwesen vertreten, sondern dem kalifornischen Summer of Love angehören; | |
in dem die Vögel und Schiffe, die auch noch das Meer und den Himmel | |
bevölkern zuletzt zu abstrakten Schemen einer vielleicht kartografisch zu | |
deutenden, gegenstandslosen Farblandschaft gerinnen. | |
## Gebotenes Mißtrauen | |
Und wo nun von Bildern die Rede ist: Gemälde aus dem Nachlass Benno | |
Berneis, der 1916 im Ersten Weltkrieg fiel, sind derzeit in „Kunst in | |
Berlin 1880-1980“, der Sammlungsneupräsentation der Berlinischen Galerie zu | |
sehen. Da aber der Nachlass zunächst an seine Eltern und nach deren Tod | |
1924 bzw. 1935 an seine Schwester Frida Langer und damit nach Giengen an | |
der Brenz ging, fragt man sich, was denn nach ihrem Selbstmord aus dem | |
Nachlass wurde? Aus gebotenem Misstrauen wüsste man also gerne mehr über | |
die „Schenkung aus Privatbesitz“, aus der Gemälde, Zeichnungen und | |
Dokumente Benno Berneis’ stammen, die die Sammlung der Berlinischen Galerie | |
nun bereichern, wie es im Pressetext heißt. | |
24 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Brigitte Werneburg | |
## TAGS | |
Schriftstellerin | |
Schwerpunkt Zweiter Weltkrieg | |
Ausstellung | |
Martin-Gropius-Bau | |
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