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# taz.de -- Berliner Genossenschaft droht Pleite: Teures Lehrstück in bester L…
> Die Berliner Genossenschaft Möckernkiez wollte zeigen, dass Bauen auch
> selbstverwaltet, ökologisch und sozial geht. Jetzt braucht sie dringend
> Geld.
Bild: Baustopp auf der Großbaustelle der Genossenschaft Möckernkiez.
BERLIN taz | Eine Ökoidylle mitten in der Stadt: Die Kinder flitzen
zwischen den sechsstöckigen Passivbauten herum. Sie können sich hier allein
bewegen, das Viertel ist autofrei. Derweil kaufen die Eltern im
Biosupermarkt für das Abendessen ein. Auf dem Platz spielen Ältere Karten –
man kennt sich, man hilft sich, alle hier sind Genossen. Die Birken im
angrenzenden Gleisdreieckpark wiegen sich im Wind. Nur das Quietschen der
U-Bahn, die ein paar hundert Meter weiter über die Hochbrücke fährt,
erinnert an die Großstadt drum herum.
So sollte es längst sein, das Leben im Modellprojekt Möckernkiez an der
Grenze zwischen Berlin-Kreuzberg und -Schöneberg. Stattdessen: Baustopp.
Stillstand. Drohende Insolvenz. Bislang ragen neben den Birken nur vier
trostlose Rohbauten in die Höhe. In den kommenden Monaten muss das Projekt
einen Geldgeber finden, sonst ist die Genossenschaft pleite.
Ein Scheitern des Möckernkiez wäre ein kleines Drama – nicht nur für die
betroffenen Mitglieder, die ihre Ersparnisse investiert haben. Der
Möckernkiez ist das größte Neubauvorhaben einer Genossenschaft in Berlin.
Sein Ende wäre auch ein trauriges gesellschaftliches Signal: Bauen in
dieser Größenordnung, mit diesen Ansprüchen, das geht offenbar nur mit
privaten Investoren, zu hohen Preisen. Und nur, wenn einige wenige dabei
Profit machen können.
Oder liegt es doch an dieser einen Genossenschaft, dass sie in solchen
Schwierigkeiten steckt?
## „Anonyme Investoren oder wir?“
2007 hatten Leute aus der Nachbarschaft die Idee, auf dem Grundstück selbst
etwas zu bauen. „Anonyme Investoren oder wir?“ lautete die Parole, mit der
die Initiative um Mitstreiter warb. Ein buntes Gemisch von
sozial-ökologisch bewegten Interessenten, darunter viele Akademiker, kam
bald zusammen. Sie trafen sich Woche für Woche, entwickelten Ideen für das
Zusammenleben und gründeten die Genossenschaft.
240 Mitglieder legten im Jahr 2010 ihr Geld zusammen, ohne zu wissen, was
für Wohnungen sie am Ende bekommen würden. Sie brachten 8 Millionen Euro
auf und kauften gemeinsam das 30.000 Quadratmeter große Baugelände am Park.
Heute meiden manche Genossen die Grünanlage lieber, zu unangenehm berührt
sie der Anblick der Rohbauten. Nicht so Petra Seitz*. „Ist doch viel zu
schön hier“, sagt sie. Die 50-jährige Pädagogin wohnt in einem Altbau um
die Ecke, beim Möckernkiez war sie fast von Beginn an dabei. „Das
Gemeinschaftliche, nicht an Eigentum Orientierte an dem Projekt fand ich
total gut“, erzählt sie. Auch die geplante Barrierefreiheit habe sie
überzeugt. „Ich möchte schließlich hier wohnen bleiben, auch wenn ich ält…
bin und die Treppen nicht mehr laufen kann.“
In langen Diskussionen entwickelten die Genossen ein Konzept: In 17 Häusern
sollen insgesamt 464 Wohnungen entstehen, ein „selbstverwaltetes,
Generationen verbindendes, barrierefreies, ökologisch nachhaltiges und
sozial integratives Wohnquartier für breite Bevölkerungsschichten“, heißt
es auf der Homepage.
Die ersten gemeinschaftlichen Aktionen starteten lange vor dem Bau: Ein
Chor wurde gegründet, eine Runde zum Kartenspielen, man beteiligte sich an
einem Straßenfest. „Es sind viele Freundschaften entstanden“, erzählt
Seitz.
Das Vertrauen in die Genossenschaft war riesig, der Optimismus ungebremst.
## Eigenes Geld einzahlen
Für das Bauvorhaben mussten aber nicht nur 8 Millionen, sondern 80
Millionen Euro finanziert werden. Mit dieser Summe rechnete zumindest der
Vorstand. Um den Banken eine gewisse Sicherheit zu bieten, wurde der
Eigenanteil eines jeden Mitglieds hochgesetzt. Wer in dem Viertel leben
will, muss inzwischen 40 Prozent der Baukosten seiner Wohnung selbst
aufbringen. Bei einer 100-Quadratmeterwohnung sind das immerhin 92.000
Euro.
Damit erwirbt man aber kein Eigentum, sondern Genossenschaftsanteile.
Zusätzlich fällt eine Miete an: Je nach Lage der Wohnung – ob am Park oder
an der Straße, im Erdgeschoss oder unterm Dach – zwischen 7 und 11 Euro pro
Quadratmeter kalt.
Immerhin 33 Millionen Euro hat die Genossenschaft über die Eigenanteile von
rund 550 Mitgliedern zusammenbekommen. Die Kehrseite: Für ärmere Menschen
oder Hartz-IV-Empfänger, von denen nach wie vor viele in Kreuzberg leben,
ist der Möckernkiez viel zu teuer.
## Projekt der Mittelklasse
Seitz und ihr Lebenspartner konnten die 60.000 Euro aufbringen, die sie für
ihre Wohnung zahlen müssen. „Wir haben all unser Erspartes da reingesteckt,
unsere Alterssicherung“, erzählt sie. Sie weiß aber auch von anderen, die
aus der Genossenschaft ausstiegen, weil sie sich das nicht leisten konnten.
Von einem Quartier für „breite Bevölkerungsschichten“, wie es mal der
Anspruch war, kann keine Rede sein. Der Möckernkiez ist ein Projekt der
Mittelklasse, des alternativen Bürgertums.
In der öffentlichen Wahrnehmung wäre das eine Randnotiz geblieben, hätte es
die Genossenschaft im vergangenen Jahr nicht mit einem viel größeren
Problem zu tun bekommen: der fehlenden Finanzierung. Die Verhandlungen mit
den Banken liefen schon lange. Um den steigenden Baupreisen ein Schnippchen
zu schlagen, beschloss die Genossenschaft, mit dem Bau aus eigenen Mitteln
zu beginnen – obwohl noch kein Kreditvertrag abgeschlossen war. Ein
erhebliches Risiko. „Der Vorstand war zuversichtlich, dass die Zusagen der
Banken kommen“, erinnert sich Seitz.
Das stellte sich als falsch heraus. Weil das Geld auszugehen drohte, musste
die Baustelle im November 2014 stillgelegt werden. Nun steht die
Genossenschaft mit dem Rücken zur Wand.
Manche Mitglieder sagen, der Vorstand – ein Rentner, eine Restauratorin,
eine Politologin – habe schlicht unprofessionell gearbeitet, sei mit dem
Riesenbauvorhaben überfordert gewesen. Immerhin hat sich die Genossenschaft
inzwischen von der Idee verabschiedet, dass sich Laien Wissen aneignen und
das Bauvorhaben selbst verwalten. Nach dem Baustopp gab es einen kompletten
Personalwechsel.
## Es geht ums Überleben
Bei der Mitgliederversammlung Ende Mai in einer roten Backsteinkirche von
Berlin: Auf dem Podium sitzen vor allem Anzugträger mit Krawatten. Die
alten Vorstände sind schon vorher abberufen und ein Immobilienfachmann und
eine Projektmanagerin von außen geholt worden. Der Möckernkiez ist ihr Job,
wohnen wollen sie dort nicht.
Die Genossen im Publikum – viele Ältere sind darunter, Frauen mit bunten
Halstüchern, Jüngere in Kapuzenpullis – lauschen ihren Ausführungen. Früh…
wurde bei den Versammlungen ausgiebig diskutiert. Heute arbeitet man sich
ruck, zuck durch die Tagesordnung. Es geht ums Überleben.
Bereits im Februar hatten die Mitglieder ein Stück Basisdemokratie
geopfert. Nach der alten Satzung konnte nur die Mitgliederversammlung den
Vorstand wählen und entlassen. Nun hat der Aufsichtsrat diese Rechte. An
dessen Spitze steht inzwischen einer, der Zahlen nur so runterrattern kann
– Werner Landwehr ist auch Leiter der Berliner Niederlassung der GLS-Bank.
Neubau ist teuer. Statt wie ursprünglich mit 80 Millionen Euro rechnet die
Genossenschaft inzwischen – auch aufgrund der gestiegenen Baupreise – mit
120 Millionen Euro Gesamtkosten. Allein für den Stillstand am Möckernkiez
zahlt sie jeden Monat einen fünfstelligen Betrag.
Bisher hatte der Vorstand die einzelnen Bauarbeiten selbst vergeben. Um den
Banken mehr Sicherheit zu bieten, dass die Kosten nicht weiter explodieren,
soll das nun ein Generalunternehmer managen. Vorstand Frank Nitzsche gibt
sich zuversichtlich. „Erste Rückmeldungen von Kreditgebern liegen bereits
vor.“
## „Wieso haben die so viel Macht?“
Die Mitgliederversammlung beschließt, einen kleinen Teil des Grundstücks zu
verkaufen. Dort sollte ein Hotel entstehen, das Behinderte beschäftigt.
Petra Seitz zuckt mit den Schultern. „Das Hotel ist verzichtbar, aber warum
der Verkauf nötig ist, verstehe ich nicht.“ Die Genossenschaft habe doch
viel Eigenkapital aufgebracht. Überhaupt wundere sie sich über die Rolle
der Banken. Sie fragt: „Wieso haben die so viel Macht?“
Bleibt die Frage, ob ein 120-Millionen-Euro-Projekt für eine neu gegründete
Genossenschaft schlicht zu groß ist. „Im Grunde genommen geht das“, sagt
Rolf Novy-Hui von der Stiftung Trias, die Initiativen für neue Wohnformen
fördert. Er verweist auf die Genossenschaft „Wogeno“ in München, die
„picobello“ laufe. Für Novy-Hui sind die Probleme des Möckernkiezes
hausgemacht. „Die hätten an der ein oder anderen Stelle besser aufpassen
müssen.“
Eigentlich wollte Petra Seitz schon 2014 in ihre neue Wohnung ziehen. Jetzt
ist als frühester Termin 2017 im Gespräch. Seitz und ihr Lebenspartner
können so lange in ihrer Mietwohnung bleiben. Für andere ist die
Verzögerung ein größeres Problem: Familien, deren Kinder in zu kleinen
Wohnungen heranwachsen. Genossen, denen die alte Bleibe gekündigt wurde.
Die meisten arrangieren sich – Hauptsache, sie können irgendwann im
Möckernkiez leben.
Sollte sich kein Kreditgeber finden, müsste die Genossenschaft Insolvenz
anmelden. Dann würde das Grundstück mitsamt den Rohbauten und den Bauplänen
verkauft. Interessenten dürfte es mehr als genug geben: Wer die anfängliche
Investition stemmen kann, macht mit Eigentumswohnungen in bester
Kreuzberger Parklage sicher einen dicken Gewinn.
*Name geändert
11 Jun 2015
## AUTOREN
Antje Lang-Lendorff
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