| # taz.de -- In Syrien verfolgter Lyriker: Gefangener Nr. 13 | |
| > Der Dichter Faraj Bayrakdar saß Jahre in syrischen Gefängnissen. Er | |
| > schrieb auf Zigarettenpapier, bis er freikam. Heute lebt er in Schweden. | |
| Bild: Faraj Bayrakdar hat Assads Gefängnis überlebt | |
| Ich bin nicht finster. Seht ihr das nicht? Ich beleuchte die Vergangenheit | |
| und die Zukunft vor dem Hintergrund einer schwarzen Gegenwart | |
| Es ist nicht gelungen, Faraj Bayrakdar kaputtzumachen. Vierzehn Jahre | |
| wurden ihm genommen; Jahre, in denen seine Tochter ohne ihn aufwuchs. | |
| Vierzehn Jahre in syrischen Gefängnissen. | |
| In einer Bibliothek im hessischen Wetzlar erzählt der Dichter seine | |
| Geschichte. Zwischen Regalen mit einer großen Sammlung utopischer | |
| Literatur. Tagsüber hat er hier syrischen Flüchtlingen geholfen, ihre | |
| Leidensgeschichte niederzuschreiben. Am Ende soll ein Buch entstehen. | |
| Man sieht Faraj Bayrakdar, der nun Anfang sechzig ist, nicht an, was er | |
| durchlebt hat. Da ist dieses schelmenhafte Lächeln, das den traurigen Blick | |
| seiner braunen Augen verdeckt, ein Lächeln, das selbst dann bleibt, wenn er | |
| von den dunklen Jahren erzählt, von denen er nicht mehr dachte, dass sie | |
| Vergangenheit werden. | |
| ## Die Verhaftung 1987 | |
| Der 31. März 1987 ist der Tag, an dem die dunkle Zeit begann: Es passiert | |
| in Jarmuk, dem von palästinensischen Flüchtlingsfamilien besiedelten Teil | |
| der syrischen Hauptstadt Damaskus. Heute hungern die Menschen dort wieder – | |
| Opfer desselben Regimes, gegen das der Sozialist Faraj Mitte der Achtziger | |
| kämpft. | |
| In der Nacht marschieren Soldaten durchs Viertel. Hämmern an Türen. Stellen | |
| Fragen. Und Faraj weiß: Sie suchen ihn. | |
| Am nächsten Morgen stehen Zivilpolizisten vor der Tür der Familie, bei der | |
| er Schutz für die Nacht gefunden zu haben glaubte – bevor er in eine andere | |
| Wohnung ziehen wollte. Er hat viele falsche Ausweise, doch es ist letztlich | |
| die Lederjacke, die ihn verrät. Die Jacke, in der ihn die Häscher des | |
| Regimes am Vorabend gesehen hatten. | |
| Die Militärpolizei, die man auf den umliegenden Dächern postiert hat, | |
| feiert seine Festnahme mit Gewehrsalven. „Sie haben sehr lange nach mir | |
| gesucht“, sagt Faraj, der ruhig auf seinem Stuhl sitzt. Schüchtern scheint | |
| der grauhaarige Mann mit dem Schnauzer, wenn er erzählt. | |
| ## Zeit schinden | |
| Blind. Die Augen verbunden. Verhör. Über die illegale Kommunistische | |
| Arbeiterpartei, der er angehört und für deren Untergrundpublikationen er | |
| schreibt. Über Menschenrechte und ihre tägliche Verachtung durch die | |
| Autoritäten. Er weiß, dass sie foltern. Dass sie versuchen werden, über ihn | |
| an die anderen zu kommen. An seine Genossen. Dass seine Genossen Stunden | |
| brauchen werden, um ihre Sachen zu packen und in die nächste sichere | |
| Wohnung zu fliehen. Faraj versucht. Zeit zu schinden. | |
| Als Faraj jung war, da war er Mitglied der regierenden Baath-Partei. Rasch | |
| wandte er sich ab. Mit 26 gibt er ein Journal heraus für neue syrische | |
| Lyrik. Zweimal wird er dafür 1978 verhaftet. Nach zwölf Ausgaben wird die | |
| Zeitschrift eingestellt. Offiziell steht er noch immer in der | |
| Mitgliederkartei der Assad-Partei. Das versucht der Kommandant, der ihn | |
| verhört, zu nutzen – und ihn zu ködern. „Er erzählte mir, ich könne | |
| Chefredakteur jedes Blattes werden, einen Posten in der Partei haben oder | |
| in irgendeiner Botschaft.“ | |
| Faraj kennt nur einen Genossen, der sich kaufen ließ. Er selbst lehnt ab. | |
| Sie schlagen ihn. Und foltern. „Sie nennen es den deutschen Stuhl“, sagt | |
| er, während er seine Jacke abstreift, die Ärmel seines Pullovers | |
| hochschiebt und die Haltung zeigt, in die man die Gefangenen zwingt. Ob es | |
| geflohene Nazi-Schergen oder Stasileute waren, die dem Regime die Methode | |
| lehrten, ist unklar: Der Gefangene wird auf einen leeren Metallrahmen | |
| gesetzt. Bewegliche Teile hängen daran, Rasierklingen an den Beinen. Die | |
| kleinste Bewegung, und sie schneiden. Dann wird dein Körper überdehnt. | |
| Vielen bricht das die Wirbelsäule: „Einmal zu tief eingeatmet und du bist | |
| tot.“ | |
| Elf Monate sitzt Faraj, wird gefoltert. Dann verlegen sie ihn ins | |
| Tadmor-Gefängnis – 200 Kilometer nordöstlich von Damaskus, in der | |
| Einsamkeit der syrischen Wüste. Ein Ort, von dem die Syrer sagen, dass der, | |
| der ihn betritt, verloren ist. Und jener, der ihn verlässt, neu geboren | |
| wird. Ein Königreich des Todes und des Wahnsinns, wie Faraj einmal sagt. | |
| Über vier Jahre ist er da. Nur so viel zu Essen, dass er nicht verhungert. | |
| Keine Besuche. Keine Medizin. Ein Höllenloch. | |
| Die ersten Tage schreibst du an die Wände Monate später in dein Gedächtnis | |
| Wenn die Jahre ein ewiger, vom Pfeifen müder, über Stationen hoffnungsloser | |
| Zug werden, versuchst du etwas anderes dem Vergessen Ähnliches | |
| Was lässt dich überleben, wenn sich die eigene Existenz auf einen Raum | |
| reduziert, umgeben von kahlen Wänden, auf die du starrst? „Wenn du | |
| überzeugt bist von deiner Moral, deinen Ideen und den Zielen, wegen derer | |
| du verhaftet wurdest, macht dich das stärker.“ | |
| ## Anders werden | |
| Einmal, so erzählt er, da saß er noch in Tadmor, kam ein Offizier zu ihm in | |
| die Zelle: „Hast du deine Ansichten geändert?“ – „Keiner kann genau so | |
| bleiben wie er einmal war. Aber um sich zu verändern, muss man denken, und | |
| zum Denken braucht es Freiheit. Doch ich bin nicht frei und kann mich also | |
| auch nicht ändern“, hat er geantwortet. | |
| Faraj hat akzeptiert, dass sein Leben von hier an totaler Willkür | |
| ausgesetzt ist. „Wenn du irgendetwas mit Bedeutung schaffst, dann scheitern | |
| deine Peiniger. Versucht, etwas zu schaffen – Bilder, Kurzgeschichten, | |
| Romane, etwas aus Holz, was auch immer. Das hilft sich zu vergewissern, | |
| dass das Leben nicht nichts ist“, sagt Faraj. Kein Nichts sein zu wollen, | |
| das ist, was sein Werk durchzieht. Und der unbedingte Wille, den | |
| Mechanismen des Gefängnisses zu widerstehen: der Entmenschlichung, der | |
| Zerstörung des Individuums, der Reduzierung auf eine Häftlingsnummer. | |
| Er schreibt auf Zigarettenpapier. Mit Tinte, die er aus Zwiebelsäure und | |
| Teeblättern extrahiert. Zeilen über den Knast, die Liebe, die Freiheit, die | |
| er für immer verloren zu haben glaubt. Seine Besucher, die er später im | |
| Saidnaya-Gefängnis empfangen darf, schmuggeln sie heraus. | |
| Mehr als sieben Jahre dauert es, bis Faraj ein Verfahren zugestanden wird. | |
| Sie verurteilen ihn zu 15 Jahren. Weil sich Schriftsteller, Dichter, das | |
| PEN-Zentrum für ihn einsetzen, wird es erträglicher. 1997 geben Freunde in | |
| Beirut seinen dritten Gedichtband heraus: „Dove in Free Flight“. | |
| ## 2000 kommt er frei, geht nach Schweden | |
| Im Rahmen einer Generalamnestie wird Faraj 2000 entlassen. Der Damaszener | |
| Frühling hat begonnen. Das Tadmor-Gefängnis wird geschlossen. | |
| Es gibt jetzt Mobiltelefone, Internet, die Leute kleiden sich anders und | |
| auch die Traditionen haben sich verändert. Seiner Tochter und seinem Bruder | |
| sagt er, sie müssen ihn lehren wie ein kleines Kind. Und langsam ergreift | |
| Faraj das neue Leben. Eines, das er in Syrien nicht mehr führen kann. Mit | |
| seiner Tochter geht er ins Exil nach Stockholm. | |
| Heute kann er oft nicht schlafen, verfolgt, was in seiner Heimat geschieht, | |
| und weiß doch, dass er zu alt ist, um noch zurückzukehren. Dass er viel | |
| nützlicher dort sein kann, wo er ist. Anders als so viele, hat er es | |
| abgelehnt, sich an der Exilregierung zu beteiligen. Er wusste, dass Syrien | |
| noch nicht weit genug war für diese Revolution und dass das Regime töten | |
| würde. Und in Stockholm als Sprecher, als Politiker zu sitzen, während die | |
| Menschen in Syrien sterben, das konnte er nicht. | |
| Trotzdem geht das Spiel weiter, blutig und verrückt, zwischen den Wölfen | |
| des Todes und den Gazellen, die nach Freiheit lechzen | |
| 2011, mit dem Beginn der Demonstrationen gegen das Regime, wird auch das | |
| Tadmor-Gefängnis wieder eröffnet. | |
| 7 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Jan-Niklas Kniewel | |
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