# taz.de -- Deutschland empfängt al-Sisi: Rückfall in Realpolitik | |
> Die Bundesregierung setzt auf Stabilität in Ägypten. Egal, wie Al-Sisi | |
> mit der Opposition umgeht. Der Flirt mit der Demokratiebewegung ist | |
> vorbei. | |
Bild: Bei aller Kritik: Dass Merkel al-Sisi trifft, ist sinnvoll. | |
BERLIN taz | So sieht ein Rückfall in traditionelle Außenpolitik aus: Der | |
ägyptische Staatspräsident Abdel Fattah al-Sisi schreitet Seite an Seite | |
mit seinem deutschen Amtskollegen Joachim Gauck über den Roten Teppich. | |
Kanzlerin Angela Merkel findet freundliche Worte für Ägypten. Sigmar | |
Gabriel schaut bei einem Treffen mit deutschen und ägyptischen | |
Wirtschaftsvertretern vorbei. Kein Zweifel: Deutschland setzt wieder auf | |
Stabilität im Nahen Osten. Der Flirt mit der Demokratiebewegung im | |
arabischen Raum ist vorbei, die Realpolitik zurück. | |
War sie je weg? Berlins Regierungspolitiker haben sich – nach einem kurzen | |
Ausflug in den Idealismus in der Außenpolitik (Bosnien, Kosovo, | |
Afghanistan) – bei den Konflikten im Nahen Osten wieder zur Zurückhaltung | |
entschieden: Sie haben sich in Libyen und Syrien sich nicht am Bombardement | |
beteiligt; mit dem Assad-Regime bei der Terrorbekämpfung kooperiert; im | |
Atomkonflikt mit dem Iran früh auf eine Verhandlungslösung gedrängt. | |
Sie unterstützen demokratischen Aufbruch in der Region erst, wenn sie | |
glauben, es sich leisten zu können – mit anderen Worten: wenn die | |
Demokratiebewegungen schon gewonnen haben. Wie die Bewohner der Regionen | |
dahin kommen, müssen die selbst sehen – und, wie etwa die Opposition in | |
Syrien, damit rechnen, alleingelassen zu werden. Das ist zwar falsch, aber | |
verglichen mit der US-Außenpolitik einigermaßen konsistent. | |
## Und auf der Linken? | |
Unübersichtlicher ist die Debattenlage im linken und grünen Spektrum in | |
Deutschland. Auf der einen Seite herrscht ein naiver Glaube daran, dass | |
Gespräche stets etwas nützen und zu friedlichen Lösungen führen. Mit | |
Wladimir Putin sowieso, aber auch mit den Halsabschneidern des Islamischen | |
Staates. | |
Druck für ein Friedensabkommen sei „nicht bei Assad nötig, sondern beim IS | |
und der Nusra-Front. Das erreicht man aber eher durch Gespräche und | |
Vereinbarungen als durch Raketenwerfer und No-Fly-Zonen“, schrieb jüngst | |
ein Leserbriefautor an die taz: Als gäbe es stets Interessen, die man | |
ausbalancieren könnte, und nicht auch Staaten und Organisationen, die von | |
Kriegen mehr profitieren als vom Frieden. Dass man auch mit dem IS zu einer | |
Übereinkunft gelangen kann, ist wenigstens noch eine Einzelmeinung. | |
Auf der anderen Seite steht die Forderung, Gespräche wie die mit al-Sisi | |
abzusagen. Merkel hätte, wie ursprünglich angekündigt, den Termin von der | |
Abhaltung von Parlamentswahlen in Ägypten abhängig machen sollen, verlangt | |
die grüne Bundestagsabgeordnete Franziska Brantner. Ähnlich begründet | |
ließen sich auch Staatsbesuche im Iran oder China absagen. | |
In Bayern demonstrieren an diesem Wochenende tausende meist junge Linke | |
gegen das G-7-Treffen, das sie für undemokratisch halten. Sie würden auch | |
gegen ein G-8-Treffen mit Putin protestieren. Was würden sie mit einem | |
G-20-Treffen in Elmau, an dem auch China und Saudi-Arabien beteiligt wären, | |
machen? | |
Gegen Treffen und Staatsbesuche, gegen militärisches Eingreifen, gegen | |
Geschäfte, aber auch gegen Sanktionen gegen fremde Staaten: Während manche | |
Linke an die unbegrenzte Macht der Diplomatie glauben, träumen andere | |
deutsche Außenpolitik als Splendid Isolation. | |
## Merkel sollte al-Sisi treffen, Gauck nicht | |
Dabei besteht kluge Außenpolitik in einer Mischung aus verschiedenen | |
Elementen. Falsch ist nicht, dass Merkel al-Sisi empfängt – Gespräche unter | |
Staatschefs sind Routine und damit notwendig. Warum sich auch Gauck mit ihm | |
trifft, ist nicht nachvollziehbar – derselbe Gauck, der 2012 einen Besuch | |
in der Ukraine wegen der Inhaftierung der Oppositionsführerin Julia | |
Timoschenko absagte. | |
Falsch sind auch Sigmar Gabriels Wirtschaftsgespräche im Regierungsrahmen. | |
Sie sind das deutliche Signal, dass Deutschland Ägypten wirtschaftliche | |
Stabilität verschaffen will, ganz gleich, wie Sisi mit der Opposition | |
umgeht – und ein erneutes Zeichen an gemäßigte Islamisten, dass es für sie | |
keinen legalen Weg an die Macht gibt. | |
Deutschland verhält sich in der Nahost-Politik wie ein Schachspieler, der | |
nicht mehrere Züge gleichzeitig denken kann. Die Folgen könnte Berlin schon | |
bald in Syrien spüren. Die Bundesregierung hat erst auf Assad gesetzt, dann | |
darauf, dass er schnell von innen gestürzt würde. Jetzt setzt sie auf | |
Nichteinmischung, um das Atomabkommen mit dem Iran nicht zu gefährden. Die | |
gemäßigte syrische Opposition steht im Regen. Was ist, wenn der Islamische | |
Staat Damaskus übernimmt? | |
3 Jun 2015 | |
## AUTOREN | |
Martin Reeh | |
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