| # taz.de -- Kommentar Al-Sisi-Besuch in Berlin: Unterwürfige Friedlichkeit | |
| > Ägyptens Präsident al-Sisi ist zu Besuch und Angela Merkel muss sich | |
| > fragen: Erntet mehr IS, wer repressive arabische Regimes sät? | |
| Bild: Wie spricht die deutsche Regierung nun die Menschrechtsfrage gegenüber d… | |
| Es ist ein prekäres Timing, wenn der ägyptische Präsident Abdel Fattah | |
| al-Sisi am Mittwoch von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu einem Staatsbesuch | |
| in Berlin empfangen wird. Prekär weil: Ein Kairoer Gericht hat am Dienstag | |
| die Entscheidung über das Todesurteil gegen al-Sisis Amtsvorgänger Mohammed | |
| Mursi verschoben. Die Richter vertagten sich auf den 16. Juni, weil das | |
| Gutachten des ägyptischen Muftis, der höchsten staatlichen | |
| Glaubensautorität im Land, erst am Anfang der Woche eingetroffen sei. | |
| In zwei Wochen wird sich dann entscheiden, ob der von al-Sisi gestürzte | |
| ehemalige Präsident Mohammed Mursi und mit ihm 105 andere, darunter ein | |
| guter Teil der Führung der Muslimbruderschaft, zum Tode verurteilt werden. | |
| Allein im vergangen Jahr sind in Ägypten 1.400 Menschen in Schnellverfahren | |
| zum Tode verurteilt worden. In einem Fall waren es 500 Angeklagte, die für | |
| den Tod eines einzelnen Polizisten verantwortlich gemacht worden waren. Die | |
| Marketingstrategie der ägyptischen Regierung ist klar. Sie verkauft sich | |
| als einen Hort der Stabilität in einer Nachbarschaft, die in einem Meer von | |
| Kriegen und IS-Dschihadisten versinkt. | |
| Europa muss sich nun vermeintlich entscheiden, zwischen Stabilität der | |
| Repression und den Menschenrechten der ungeliebten Islamisten. Der | |
| österreichische Außenminister Sebastian Kurz hat das bereits getan, als er | |
| vor wenigen Tagen bei seinem Besuch in Kairo al-Sisi als die bessere | |
| Alternative zur Muslimbruderschaft bezeichnet und das ägyptische Regime zum | |
| Partner im Kampf gegen den IS erklärt hat. | |
| ## Merkel hat sich entschieden | |
| In Deutschland gibt es darüber eine kleine Diskussion, nachdem | |
| Parlamentspräsident Norbert Lammert angekündigt hatte, dass er sich weigere | |
| aufgrund der Menschenrechtslage in Ägypten al-Sisi in Berlin zu treffen. Er | |
| monierte explizit, dass auch sein Amtskollege, der ehemalige | |
| Parlamentspräsident und Muslimbruder al-Katatni zum Tode verurteilt wurde. | |
| Darauf witzelte jemand auf Twitter in Ägypten, dass Lammert wohl auch den | |
| Muslimbrüdern angehöre. | |
| Aber Merkel hat sich eindeutig entschieden. Die ursprüngliche deutsche | |
| politische Bedingung, al-Sisi erst zu empfangen, wenn dieser | |
| Parlamentswahlen abhalten hat lassen, wurde getrost über Bord geworfen. Im | |
| Namen der Stabilität ist eine gewählte Legislative nicht so wichtig. Und | |
| eigentlich sind mögliche ägyptische Parlamentswahlen, wann immer sie | |
| stattfinden, ohnehin wenig repräsentativ, wenn sie unter dem Ausschluss der | |
| letzten Wahlsieger, der Muslimbrüder stattfinden, die im Gefängnis sitzen. | |
| Gerne verweisen europäische Politiker darauf, dass sie gerade deshalb mit | |
| al-Sisi im Dialog stehen müssen, um auf die Menschenrechtslage in Ägypten | |
| Einfluss zu nehmen. | |
| Das wirft allerdings die Frage auf, wann und wo Europa mit dieser Politik | |
| irgendwo konkret mit diesem Dialog die Menschenrechtslage am Nil verbessert | |
| hat. Ist deswegen ein Ägypter weniger verhaftet, gefoltert oder zum Tode | |
| verurteilt worden? Die Linie der ägyptischen Regierung in diesem Dialog ist | |
| immer gleich geblieben. Man verwehre sich gegen interne Einmischung, | |
| respektiere die Entscheidungen der ägyptischen Gerichte und erwarte das | |
| auch vom Rest der Welt. Die Todesstrafe wird dabei als eine Art besonderes | |
| Kulturgut dargestellt. | |
| ## Verfolgte Muslimbrüder | |
| Aber selbst wenn die Strafe für Mursi und die Muslimbrüder möglicherweise | |
| in lebenslang umgewandelt wird, dann war das immer noch kein | |
| rechtstaatliches Verfahren und ist sicherlich nicht europäischem Druck | |
| geschuldet. Es ist ein innenpolitisches ägyptisches Spiel. Mursi in der | |
| Versenkung ist besser als Mursi als Märtyrer. Außerdem ist auch der | |
| ägyptischen Führung klar, dass man früher oder später wieder mit der | |
| Muslimbruderschaft in Verhandlungen treten muss. Lange Haftstrafen und | |
| Prozesse durch unzählige Instanzen sind dabei die angewandte | |
| Zermürbungstaktik, um die Verhandlungsmasse der Gegenseite | |
| herunterzudrücken. | |
| Aber zurück zur europäischen Politik, die ausgesprochen oder | |
| unausgesprochen ein System, das die Muslimbrüder kriminalisiert und auch | |
| jegliche liberale Protestbewegung unterdrückt und einsperrt, als bessere | |
| Alternative sieht und glaubt, dass damit Stabilität geschaffen wird. Nach | |
| dem Motto: Wenn wir das kleinere Übel, also das Militär akzeptieren, | |
| verschwindet das größere, die Muslimbruderschaft. | |
| ## Kurzsichtige Politik | |
| Der wahrscheinlichste Ausgang ist aber, dass man mit dieser kurzsichtigen | |
| Politik ein noch größeres Übel schafft. Wenn die Muslimbrüder nicht Teil | |
| des politischen Systems sind, welche Alternative lässt man den Islamisten, | |
| außer sich zu radikalisieren und zu militarisieren? Was kann man einem | |
| jungen Muslimbruder heute noch über die Vorzüge der Demokratie erzählen, | |
| ohne dass die Schamröte ins europäische Gesicht steigt? Der politische | |
| Trend der Islamisten wird sich nicht in Luft auflösen. Will heißen: Egal | |
| was man von der Muslimbruderschaft hält, sie ist ein Teil der politischen | |
| Landschaft der arabischen Welt. Wäre also nicht der einzige effektive Weg, | |
| sie durch bessere Alternativen an den Wahlurnen zu besiegen, wie das in | |
| Tunesien geschehen ist? | |
| Nun macht Europa also das, was es seit Jahrzehnten gemacht hat. Es setzt | |
| auf repressive arabische Regime als Garant für die Stabilität und als | |
| Partner im Kampf gegen militante Islamisten. Dabei wird auch akzeptiert, | |
| dass moderateren Islamisten der Marsch durch die Institutionen verwehrt | |
| bleibt, mit all den Konsequenzen der Radikalisierung, die das nach sich | |
| zieht. Statt den IS zu bekämpfen, wird man mit einer solchen Politik erst | |
| recht mehr IS ernten. | |
| Die Militanten geben sich dabei selbstbewusst. Nach der Verkündung des | |
| ersten Todesurteils gegen Mursi veröffentlichte der Zweig der | |
| IS-Dschihadisten im Nordsinai zwei Fotos nebeneinander. Das eine zeigt, die | |
| versammelte Führung der Muslimbruderschaft hinter Gittern im | |
| Angeklagtenkäfig des Gerichtssaales in Kairo. Das andere IS-Dschihadisten | |
| neben einem toten Soldaten. Die Bildunterschrift an junge Islamisten | |
| gerichtet lautet: „Die Macht des Dschihad versus unterwürfige Friedlichkeit | |
| – such es dir aus.“ | |
| 3 Jun 2015 | |
| ## AUTOREN | |
| Karim El-Gawhary | |
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