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# taz.de -- Debatte Korruption bei der Fifa: Das System Blatter
> Die Fifa ist ein riesiges Kartenhaus aus gegenseitigen Gefälligkeiten.
> Veränderungen wurden abgeblockt, damit es nicht zusammenfällt.
Bild: Grundlage für den Erfolg der Fifa: Sepp Blatter mit dem WM-Pokal.
Die Fifa ist in den letzten Tagen immer wieder als „Soccer-Mafia“
bezeichnet worden, und ihr gerade zurückgetretener Präsident als „Don
Blatterone“ – als Pate, der undurchsichtige Geldflüsse kontrollierte.
Assoziationen mit der Mafia sind zwar naheliegend, wenn reihenweise
Fifa-Funktionäre von der Polizei aus einem Luxushotel abgeführt werden.
Aber letztlich geht diese Beschreibung am Charakter der Fifa vorbei.
Denn die Fifa ist, anders als die Mafia, nicht per se eine kriminelle
Organisation. Sie kann offen ihre Versammlungen abhalten, im Normalfall
ohne durch die Polizei gestört zu werden. Sie kann sogar darauf rechnen,
dass die Polizei ihre Veranstaltungen schützt, weil das Handeln der Fifa
insgesamt (noch) nicht als illegale Aktivität gilt.
Aber wenn die Metapher der Mafia am Ziel vorbeigeht – wie ist das Phänomen
Fifa dann zu verstehen?
In der Organisationsforschung werden Verbände wie die Fifa, die OECD oder
der Bundesverband Deutscher Bestatter als Meta-Organisationen bezeichnet.
Die Besonderheit von Meta-Organisationen ist, dass ihre Mitglieder nicht
Einzelpersonen sind, sondern andere Organisationen. Die
Entscheidungsprozesse der Fifa werden von den 209 nationalen
Fußballverbänden getragen, die als ihre Mitglieder fungieren – und nicht
etwa von den einigen hundert Einzelpersonen, die als ihre hauptamtlichen
Mitarbeiter im Hauptquartier beschäftigt sind.
## Fifa als Ausnahme
Der Soziologe Göran Ahrne hat herausgearbeitet, dass die meisten
Meta-Organisationen im Vergleich zu ihren Mitgliedsorganisationen schwach
sind. Das lässt sich an so unterschiedliche Meta-Organisationen wie den
Vereinten Nationen, der Nato oder dem Deutschen Industrie- und
Handelskammertag erkennen: Die Zentrale ist in hohem Maß abhängig von den
Mitgliedern, hat relativ wenig Einfluss auf deren Kurs und ist in den
meisten Fällen kaum in der Lage, Veränderungen in den
Mitgliedsorganisationen anzustoßen. Meistens besteht der Kurs einer
Meta-Organisation aus einem mehr oder minder fragilen Kompromiss, den ihre
Mitgliedsorganisationen untereinander ausgehandelt haben.
Anders sieht es aus, wenn es einer Meta-Organisation gelingt, eigene
Einnahmen zu generieren und sich so von ihren Mitgliedsorganisationen zu
emanzipieren. Das ist im Feld der Meta-Organisationen eher die Ausnahme.
Jedoch ist genau dies der Fifa gelungen, indem sie durch die Vergabe der
Fußballweltmeisterschaft die Einnahmen für Ticketverkäufe, Werbeverträge
und Fernsehlizenzen kontrolliert. Insbesondere im Verhältnis zu kleinen
Mitgliedsverbänden kann die Fifa deshalb die Bedingungen weitgehend
diktieren.
## Anfällig für Korruption
Meta-Organisationen, die nicht auf Geldzahlungen ihrer
Mitgliedsorganisationen angewiesen sind, sondern umgekehrt Gelder an diese
verteilen, sind strukturell anfällig für Korruption. Die Verwendung dieser
Gelder kann nur begrenzt von der Meta-Organisation kontrolliert werden,
weil die Mitgliedsorganisationen allzu scharfe Kontrollen blockieren. Sie
wehren sich in der Regel mit Händen und Füßen dagegen, dass die Zentrale zu
intensive Einblicke in die eigenen Bücher erhält.
Die Fifa hat unter ihrem Präsidenten Sepp Blatter dieses Prinzip nur in
besonderer Art und Weise kultiviert. Geldzahlungen flossen als jährliche
Zuwendungen oder Sonderzahlungen direkt an die Mitgliedsorganisationen,
ohne dass deren Verwendung kontrolliert wurde.
Es ist allgemein bekannt, dass vor Ort Funktionäre der Mitgliedsverbände
einen Teil der Gelder für private Verwendungen abzweigten. Auf diese Weise
wurde deren Loyalität gegenüber den bestehenden Arrangements und ihren
Protagonisten gesichert, ohne dass in den Büchern der Fifa direkte
Schmiergeldzahlungen hätten auftauchen müssen. Der Clou des „Systems
Blatter“ bestand gerade darin, dass die Fifa selbst sich gar nicht an
illegalen Machenschaften beteiligen musste, sondern nur großzügig darüber
hinwegsah, wie die Unterstützer des Präsidenten sich persönlich
bereicherten.
Meta-Organisationen sind in der Regel nur begrenzt zu Veränderungen fähig,
weil alle grundlegenden Reformen ja durch die Mitgliedsorganisationen
beschlossen werden müssten und diese sich nur selten darauf einigen können.
Es ist leicht zu sehen, welche Schwierigkeiten etwa die Unesco, der ADAC
oder der DGB haben, auch nur kleine Reformen gegen die Interessen ihre
Mitgliedsorganisationen durchzusetzen.
Die Fifa hätte hier aufgrund der von ihr kontrollierten Geldflüsse an sich
ganz andere Möglichkeiten, und man wird sehen, ob und wie sie nach dem Ende
der Ära Blatter davon Gebrauch macht. Bisher hat an dieser Stelle das
„System Blatter“ radikale Veränderungen blockiert, weil diese das
Kartenhaus aus gegenseitigen Gefälligkeiten in sich hätten zusammenfallen
lassen. Wäre nicht der Fehler passiert, dass in einem Fall illegale
Geldzahlungen in nachvollziehbarer Weise über ein Fifa-Konto geleitet
wurden, dann hätte dieses System noch für viele Jahre stabil sein können.
## Umgekehrte Kopplung
In den letzten Jahren hat die Fifa angesichts der wachsenden Kritik eine
Strategie eingeschlagen, die in der Organisationsforschung als „reverse
coupling“ – umgekehrte Kopplung – bezeichnet wird. Je weniger eine
Organisation einem Anspruch genügt, so der Ökonom Nils Brunsson, desto
stärker wird dieser Anspruch in der Außendarstellung hervorgehoben. Der
Beschluss einer rot-grünen Regierung, den Straßenverkehr in einer Stadt
innerhalb von 15 Jahren um 30 Prozent zu reduzieren, macht es der Kommune
leichter, Akzeptanz für den Umstand zu finden, dass der Straßenverkehr
tatsächlich zunimmt.
Je mehr Korruptionsfälle bekannt wurden, desto stärker konnte sich Sepp
Blatter als oberster Bekämpfer der Korruption profilieren. Die Aussage Sepp
Blatters in seiner Rücktrittserklärung, er wolle in der Übergangszeit bis
zu Wahl eines neuen Präsidenten weitreichende grundlegende Reformen
vorantreiben, war in dieser Logik nur konsequent.
3 Jun 2015
## AUTOREN
Stefan Kühl
STEFAN KÜHL
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