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# taz.de -- SPD-Politiker über den Kirchentag: „Da dürfen die Funken sprüh…
> Erhard Eppler hält den Kirchentag für eine höchst demokratische
> Veranstaltung. Die Berichterstattung über die Ukraine-Krise ist ihm zu
> einseitig.
Bild: Früher gab es mehr Leidenschaft im Bundestag.
Erhard Eppler hat zu Christi Himmelfahrt zum Interview bei sich zu Hause
gebeten. Ein altes Haus in Schwäbisch Hall mit großem Gemüsegarten, den der
88-Jährige noch immer selbst bewirtschaftet. Im Wohnzimmer steht eine
mechanische Schreibmaschine, auf der er gerade seine Memoiren zu Ende
geschrieben hat. Sie erscheinen im Herbst. Zuletzt war er in der
Öffentlichkeit als kritische Stimme gegen die gleichförmige Sicht auf den
Ukrainekonflikt zu vernehmen. Ein Thema, das ihn, als einer, der sich immer
um Verständigung zwischen Ost und West bemüht hat, sehr bewegt. Irene
Eppler, seine Frau, bringt Kaffee und Nougat aus dem Eine-Welt-Laden.
taz: Herr Eppler, „Damit wir klug werden“ heißt das Motto des diesjährigen
Kirchentags. Ist das Klügerwerden für Sie ein Antrieb gewesen in Ihrer
politischen Arbeit?
Erhard Eppler: Nein, man könnte sagen, klüger werden ist ein Nebeneffekt.
Ich habe in der Politik Menschen gesehen, die von diesem schrecklichen
Geschäft deformiert wurden, psychisch und physisch. Andere, wie etwa Willy
Brandt, wurden immer reifer, großzügiger und nachsichtiger. Darin ist er
mein unerreichtes Vorbild.
Was hat Sie in letzter Zeit klüger gemacht?
Leider nur wenig von dem, was ich in den deutschen Medien zu den großen
Konflikten in der Welt gelesen habe. Ich mache mir ja große Sorgen um den
Ukrainekonflikt. Und zumindest in diesem Zusammenhang hat mich die
Berichterstattung kaum klüger gemacht. Die deutschen Medien sagen in dieser
Sache alle das Gleiche. Deshalb habe ich übrigens auch Ihre Zeitung
abbestellt. Wenn ich auch dort das Gleiche wie überall lese, dafür brauche
ich die taz nicht. Mich beunruhigt die Übereinstimmung. Ich habe alle
politischen Konflikte seit Gründung dieser Republik verfolgt, einige selbst
mit ausgefochten. Aber solche Schwierigkeiten, mir ein einigermaßen
objektives Bild über diesen Konflikt zu machen, habe ich vorher nie gehabt.
Haben Sie eine Erklärung für diesen irritierenden Gleichklang?
Ich habe Teilerklärungen. Früher wurden alle großen Konflikte mit
Leidenschaft im Bundestag ausgetragen, das sehe ich heute nicht mehr. Junge
Politiker scheinen keine Lust zu haben, sich durch abweichende Meinungen
die Karriere zu verderben. Und in den Medien scheint es nicht anders zu
sein. Das beunruhigt mich.
Liegt das nicht eher daran, dass das Land von einer großen Koalition
regiert wird? Da bleibt wenig Raum für abweichende Meinungen.
Die Grünen, heute in der Opposition, stammen zum guten Teil aus der
Friedensbewegung. Trotzdem tun viele in dieser Partei rein gar nichts
dafür, den Konflikt zu entschärfen. Im Gegenteil. Grüne wie Marie-Luise
Beck oder Rebecca Harms im Europaparlament heizen den Konflikt
leidenschaftlicher an, als dies die Kanzlerin je getan hat. Wenn
ausgerechnet die Partei, die der Friedensbewegung einmal am nächsten stand,
heute den Konflikt ideologisch überhöht, wer soll dann Frieden stiften?
Was wäre denn eine Friedensposition im Ukrainekonflikt?
Eine Verständigung zwischen Europa, Russland und der Ukraine. Die
heruntergewirtschaftete Ukraine hat ja nur dann eine Chance, wenn sich
beide Seiten am Wiederaufbau dieses Landes beteiligen. Aber die Regierenden
in Kiew glauben heute, sie könnten gegen Russland mit der EU wieder auf die
Beine kommen. Das geht aber gar nicht, da kein westlicher Staat das seinen
Steuerzahlern zumuten könnte. Griechenland mal 15, das hält die EU nicht
aus.
Sie haben sich ja immer gegen dieses denunzierende Wort vom Putin-Versteher
gewehrt. Verstehen Sie Putin?
Ja, ich finde Putin durchaus berechenbar. Sein Ziel ist eine Ukraine, die
nicht in der Nato ist. Putin ist ein Rechner und weiß genau, wie weit er
gehen kann. Ich befürchte nur, dass vor allem die amerikanische Politik,
die Russland offensichtlich klarmachen will, wer die Nummer eins ist, so
weitergeht. Dann könnte Putins Nachfolger wirklich der irrationale
Nationalist sein, als den man uns Putin heute verkaufen will.
Werden Sie mit dieser Meinung in Ihrer Partei gehört?
Es gibt zwischen der Partei und mir mehr Übereinstimmungen, als im Moment
sichtbar wird. Ich will auch gar nicht, dass sich die deutsche Politik
total ändert. Ich habe etwa großen Respekt vor der Arbeit von Außenminister
Steinmeier, er steckt in vielerlei Zwängen. Ich wäre schon völlig
zufrieden, wenn die Bundesregierung sagen würde, wer auch immer das Minsker
Abkommen in Frage stellt, egal ob Russland oder die Ukraine, der muss mit
Sanktionen rechnen. Aber im Moment lässt man der Ukraine schwere Verstöße
durchgehen, während man bei den Separatisten über mögliche Verstöße in
Mariupol räsonniert.
Der Kirchentag war immer der Ort gesellschaftlicher Debatten. Würden Sie,
wenn Sie noch im Präsidium wären, sich dafür einsetzen, dass dieser
Konflikt zu einem wichtigen Thema wird?
Auf das Programm des Kirchentags hatte ich mit meinen 88 Jahren keinen
Einfluss. Der Ukrainekonflikt wird in Stuttgart ja auch sicher ein Thema
sein. Aber das eine beherrschende Thema wird es nicht. Allerdings weiß man
das auch erst hinterher.
Welche Kraft kann ein Kirchentag entfalten, wenn er sich in politische
Debatten einmischt?
Als ich 1983 Präsident des Kirchentags in Hannover war, stand die
Friedensbewegung in voller Blüte. Uns ist es damals zum ersten Mal
gelungen, dass Soldaten und Offiziere der Bundeswehr mit Friedensbewegten
diskutiert haben und zwar auf eine erstaunlich zivilisierte Weise. Vorher
hat man uns gesagt, das wird zu Gewalt führen. Generell ist es wichtig,
dass auf einem Kirchentag alle zu Wort kommen und sich dabei alle an
bestimmte menschliche Regeln halten. Ich habe immer wieder gesagt, der
Kirchentag ist der Ort, wo das Evangelium mit der gesellschaftlichen
Realität zusammentrifft. Dass da Funken sprühen, das ist völlig in Ordnung.
Sind das Debatten, die so nur unter dem religiösen Schirm möglich sind?
Insgesamt ist der Kirchentag ein Forum, das es so nur in Deutschland gibt
und dass ich nicht missen möchte, weil er zeigt, wie vielfältig Kirche
heute ist, und die unterschiedlichsten Leute zusammenbringt. Dabei ist es
eine Laienveranstaltung und zwar eine höchst demokratische.
Religion, vor allem ihre extremen Ausprägungen bewegen uns heute alle.
Hätten Sie je gedacht, dass dieses Thema im 21. Jahrhundert noch einmal
eine solche große Rolle spielen würde?
Nein, dass junge Menschen, die in Deutschland auf eine Schule gegangen und
und auch über Medien mit der Wirklichkeit des 21. Jahrhunderts vertraut
sind, sich mit dem Versprechen auf Jungfrauen im Paradies zu
Selbstmordattentätern ausbilden lassen, hätte ich mir nie vorstellen
können. Ich habe das auch immer noch nicht verstanden. Vielleicht ist es
nur möglich in einer Welt, in der es wenig Sicherheit gibt und mancher sich
an irgendetwas festkrallt.
Ist das nicht auch die Funktion von Religion, dass man sich an etwas halten
kann, wenn alles andere wegbricht?
Aber das kann ja durchaus mit vernünftigem Denken verbunden sein. Wir
führen unser Gespräch ja an Christi Himmelfahrt. Die Vorstellung, dass
Christus in den Himmel aufgestiegen ist, ist ja an ein Weltbild aus dem 3.
Jahrhundert gebunden. Deshalb hat dieser Feiertag für mich sehr wenig mit
dem zu tun, was mir an der christlichen Botschaft wichtig ist. Sie sehen
daran, dass man religiöse Texte heute nicht wörtlich nehmen muss. Diese
Erkenntnis fällt allen Fundamentalisten, auch den christlichen, schwer.
Sie haben sich immer dagegen gewehrt, als Moralist in der Politik zu
gelten?
Ich war nie ein Moralist! Ich habe immer eine ungeheure Allergie dagegen
gehabt, wenn in der Politik moralisch argumentiert wurde. Denn das passiert
ja meistens, um andere abzuwerten. Und das ist extrem unmoralisch.
Aber sind nicht gerade Kirchentage, deren Programm Sie lange Jahre
mitbestimmt haben, der Ort, wo Politik moralisch diskutiert wird?
Nur eben anders. Politik ist zwar nicht immer moralisch, aber sie ist immer
moralisch ansprechbar. Wenn ein Bischof oder ein Papst sagt, dass es nicht
sein kann, dass die Armen immer ärmer werden, dann muss er nicht sagen
können, wie das zu machen ist. Ein Kirchenmann kann ja nicht anders, als an
moralische Maßstäbe zu erinnern. Nach dem Krieg ist mir als junger Mann
klar geworden, dass es Politik war, die einen ganzen Kontinent in Trümmer
gelegt hat. Wenn sie das kann, so dachte ich mir, dann kann sie auch Gutes
bewirken. Ich fand es deshalb immer wichtig, Macht oder Einfluss zu haben,
um etwas verändern zu können. Deshalb bin ich auch als Minister
zurückgetreten, als ich in dem Amt nichts mehr bewirken konnte.
Sie hatten trotzdem weiter einigen Einfluss.
Ja, aber ohne jede offizielle Position. Ich hab mein letztes Mandat als
Landtagsabgeordneter in Stuttgart 1982 aufgegeben. Aber ich kann noch heute
durch Bücher und Texte politisch wirken. Politik findet durch Sprache
statt. Und die habe ich noch.
2 Jun 2015
## AUTOREN
Benno Stieber
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