# taz.de -- Kolumne Zumutung: Mach das weg! | |
> Muss man wirklich Kinder und die nervigen Auswüchse ihrer Menschwerdung | |
> ertragen? Na, raten Sie mal! | |
Bild: Ob hier noch ein Platz frei ist, für ihr gerade ausrastendes Kind? Ui, �… | |
Langsam wird das zur Gewohnheit. Was stört, muss weg. Gemeint sein kann | |
alles, was geeignet erscheint, meinen Morgen/meine Woche/mein wertvolles | |
Leben in irgendeiner Weise ungünstig zu beeinflussen. | |
Das ist irgendwie anstrengend - kann das nicht weg? So in etwa mag das | |
Bordpersonal eines United-Fluges gedacht haben, als kürzlich ein zwei Jahre | |
alter Junge im Flieger keine Ruhe geben mochte. Er heulte rum, machte | |
Sperenzchen, kurzum er tat nicht, was doch jeder vernünftige Mensch in | |
einem Flugzeug zu tun gehalten ist: sich mit Gurten festschnüren lassen und | |
dann Ruhe bewahren. | |
Kann das nicht weg?, dachte man sich also auf dem Flughafen von San | |
Francisco, dieses Kind nervt. Kurzentschlossen bat man die mitreisende | |
Mutter, den Flieger mitsamt ihrer Brut zu verlassen. Blöd für die Airline, | |
dass diese Mutter eine Musikerin war, die den Vorgang nicht nur | |
[1][twitternd] der Öffentlichkeit zur Kenntnis brachte, sondern | |
lustigerweise auch noch in einer Band mit dem sprechenden Namen [2][“Walk | |
off the Earth“] singt. Zum Verlassen eben dieser Erde kam es also nicht, | |
statt dessen durften Mutter und Sohn noch ein wenig die kalifornische Sonne | |
genießen. | |
Weiß Gott, Kinder sind in der Lage, jedes noch so gute Nervenkostüm binnen | |
kürzester Zeit kleinzuhäckseln. Immer mal wieder pflegt der Nachwuchs das | |
zu tun, was wir Erwachsenen uns mühsam abgewöhnt haben: rumschreien, wild | |
zappeln und gutes Zureden komplett ignorieren. Auch deshalb sind wir | |
dankbar, wenn Kinder ihre Anfälle diskret, im Schutz der elterlichen | |
Wohnung kriegen. Aber mitunter treffen wir es noch an im öffentlichen Raum: | |
das ungezogene Kind. Und ja, dann denke auch ich schon mal: Kann das nicht | |
weg? | |
Nein. | |
Kinder und die durchaus auch nervigen Auswüchse ihrer Menschwerdung zu | |
ertragen, gehört zur gesellschaftlichen Grundkompetenz. Schon um ihren | |
biestig guckenden Müttern und Vätern zu beweisen, dass ich als sozial | |
kompetente Mitbürgerin es sehr wohl aushalten kann, dass Mama oder Papa | |
trotz des kindlichen Getöses seelenruhig ihre Emails checken oder in der | |
aktuellen Nido nachlesen, wie Erziehung funktioniert (Titelthema im | |
Juniheft: „Ich zähle bis drei!“). Und wenn Frieda und Joost ungestört ihre | |
Gummistiefel an meiner Jeans abzustreifen versuchen, bin ich ja immer noch | |
in der Lage, den Ort des Geschehens deeskalierend zu räumen. | |
Vielleicht sollten wir wieder ein bisschen ertragen üben. Denn wo kämen wir | |
hin, wenn alles aus dem Sichtbereich verbracht würde, was uns irritieren | |
könnte? Weil wir aktuell nicht bereit dafür sind. Familien dürften dann nur | |
noch in Schweigemarsch-Formation zügig die Innenstädte queren. Hunde könnte | |
man auf ihrem Weg zur Kackwiese in schwere Geschirre sperren. Behinderte | |
würden in verdunkelten Bussen von der Ergotherapie ins Heim gefahren. | |
Antifeministische Journalistinnen müssten ihre Schreibtische räumen und | |
dennoch ertragen, dass männliche Kollegen meinen, sich schützend vor sie | |
werfen zu dürfen. | |
Dieses neue Das-soll-weg würde aus uns lauter kleine Lutz Bachmanns machen | |
– das Pegida-Führerchen definiert ja auch gern, wer in seinem Freistaat | |
Sachsen leben soll. Und wer nicht. Bachmanns Hund heißt übrigens Bärbel. | |
Blöder Name. Stört mich. Kann der nicht weg? | |
3 Jun 2015 | |
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## AUTOREN | |
Anja Maier | |
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