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# taz.de -- Kolumne Zumutung: Und jetzt Ruhe, bitte!
> Pünktlich zum Mauerfall mussten Ostler erzählen, wie dankbar sie heute
> sind. Das hatte was von DDR. Nun sind die Gedenkwochen vorbei.
Bild: Ab jetzt wieder so schön ruhig, dieser Herbst.
Hören Sie das? Diese Ruhe? Seit heute sind die Mauerfallgedenkwochen
beendet. Schluss mit Weißt-du-noch und Wo-warst-du. Kein War-schön-aber
oder Ach-da-kommst-du-her. Weder Reden noch Gedenkfeiern. Jeder zieht sich
wieder auf seinen Platz zurück und widmet sich anderen Themen. Nur manchmal
wird es noch ein bisschen Geheule geben. Über die Ostler. Und die Westler.
Weil irgendwas zu viel Geld kostet. Weil nicht ausreichend bereut, sich
gefreut oder zu viel glorifiziert wird.
Ich bin froh um die wiederhergestellte Ruhe. Es reichte jetzt mit dem
Historien-Gesummsel. Wenn selbst eine Ostlerin wie ich wegschaltet, weil im
Fernsehen immerfort diese Frau mit der Pumuckelfrisur auf der Berliner
Mauer rumhüpft, dann ist das Maß voll.
Obwohl, kann es eine Überdosis an freudigen Ereignissen geben? Vielleicht
ja. Vor allem gab es in den letzten Wochen ein Übermaß an
Dankbarkeitserwartung. An Leute wie mich. Ein ums andere Mal wurden
Ostlerinnen und Ostler vor Mikrofone und Kameras gebeten und abgefragt:
Freust du dich ausreichend über die Freiheit? Bist du dankbar für all die
schönen Reiseziele, die dir offenstehen? Findest du nicht auch, ihr Ostler
solltet euch ein bisschen schämen dafür, dass immer weniger von euch wählen
gehen?
Schon recht. Ja, danke, super Freiheit. Schönes, warmes Italien. Großartige
Wahlmöglichkeiten. Nur leider kenne ich das mittlerweile schon ganz gut. Um
genau zu sein: fünfundzwanzig Jahre. Das ist die Hälfte meines Lebens. In
der Rückschau fühlt es sich mittlerweile an, als würde man vom Kaiser
erzählen, geht es um die DDR. Wenn man fünfundzwanzig Jahre lang morgens
aufwacht, lebt und abends ins Bett geht, um am nächsten Tag erneut
aufzuwachen, dann verbinden sich damit nicht zwangsläufig tägliche Flashs
der gehobenen Sorte und Tränen der Rührung beim Zähneputzen.
Dieses ewige Dankbarsein – wem eigentlich und wofür? In seiner Striktheit
und Penetranz erinnert mich das an mein erstes Lebens-Vierteljahrhundert.
Dunnemals war es üblich, dem Bürger in einem ersten Schritt klarzumachen,
wie wichtig er (gegendert wurde noch nicht) für Vater Staat sei. Wahnsinnig
wichtig nämlich für den Aufbau des Sozialismus und für den
Antiimperialismus.
Funktionierte man nicht wie erwünscht, wurde im zweiten Schritt Vater Staat
sehr traurig. Die ganze schöne Ausbildung, die tüchtigen Kindergärtnerinnen
und Lehrer, die subventionierte Miete – alles hat „unsere Gesellschaft“ f…
dich getan. Und trotzdem scherst du aus? Wo bleibt deine Dankbarkeit?
Vielleicht habe ich es deshalb nicht so mit der Dankbarkeit. Eine der
befreiendsten Erkenntnisse nach dem Mauerfall war, dass ich fürderhin
lediglich als arbeitende Steuerzahlerin ein wichtig genommener Teil dieser
Gesellschaft sein werde. Keine moralische Erpressung mehr – Vater Staat und
ich regeln unser Verhältnis monetär. Ich arbeite und zahle Steuern. Das
Parlament erlässt die entsprechenden Gesetze – ich darf dieses Parlament
wählen. Das ist fair. Und kein Grund zur Dankbarkeit mehr. Und jetzt Ruhe,
bitte.
10 Nov 2014
## AUTOREN
Anja Maier
## TAGS
Wende
Mauerfall
DDR
Kinder
Spießer
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