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# taz.de -- Containerdörfer in Buch: Nicht ganz willkommen
> Seit einem Monat wohnen Geflüchtete in Buch. Dort reichen die Reaktionen
> von Ablehnung bis zu Unterstützung.
Bild: Neu eingerichtet: Wohncontainer für Flüchtlinge in Berlin.
Im Nordosten von Pankow: Ruhig liegt das neu gebaute und im April eröffnete
Containerdorf im Stadtteil Buch da. Kinder toben auf einem Klettergerüst
umher, schaukeln, spielen im Sandkasten mit Plastikförmchen. Jugendliche
und Ältere sitzen im Sonnenschein auf Bänken, erzählen, lachen. Das
Geräusch eines Rasensprengers dringt durch die Luft. Das Flüchtlingsheim
wirkt so friedlich wie eine Ferienanlage.
Vor noch einem Monat sah die Situation ganz anders aus. Als die ersten
Geflüchteten am 23. April einzogen, pöbelten Neonazis vor der Unterkunft
und beleidigten die Geflüchteten. Am folgenden Tag veranstaltete die NPD
eine Demonstration gegen das Containerdorf. Zusätzlich zogen immer wieder
einzelne Personengruppen an der Unterkunft vorbei und grölten Hassparolen.
Der Wachdienst der Unterkunft patrouillierte auf dem Gelände, um mögliche
Übergriffe zu verhindern. Währenddessen dröhnten die menschenverachtenden
Sprüche von der Demonstration durch die Wohngegend. Es war der unheimliche
Höhepunkt von Protesten der Neonazis vor Ort gegen die
Flüchtlingsunterkunft.
Begonnen hatten die Proteste im November 2014, nachdem der Senat
angekündigt hatte, bis zu 500 Geflüchtete in Buch unterbringen zu wollen.
Den Bezirk hatte diese Nachricht genauso unvorbereitet getroffen wie die
dortige Bevölkerung. „Der Senat hat eine ganz schlechte Informationspolitik
gefahren“, meint Sascha Schlenzig vom Netzwerk für Demokratie und Respekt
in Buch und Karow.
## Familien und ganz normale Bürger demonstrieren
Bei der ersten Demonstration der Heimgegner mit 200 Teilnehmenden seien
nicht nur organisierte Neonazis mitgelaufen, erzählt er. „Da waren Familien
und ganz normale Bürger mit dabei, die verschiedenste unbegründete Ängste
mit so einer Unterkunft verbanden.“
Anders als in anderen Ortsteilen Berlins hatte es in Buch keine
Informationsveranstaltung gegeben – lediglich BürgerInnenbriefe wurden an
die Haushalte geschickt. „Die Menschen standen mit ihren Fragen ziemlich
alleine da und waren so für die einfachen Parolen der NPD teilweise sehr
empfänglich“, meint Sascha Schlenzig weiter. Dass das Interesse an der
Unterkunft groß war, zeigte der Tag der offenen Tür am 25. März, an dem
etwa 1.200 Menschen das Containerdorf besuchten.
Das Netzwerk organisierte Gegenproteste meldete eigene Kundgebungen an und
erschwerte damit den Protest der Neonazis. Die Zahl der Teilnehmenden an
den Demonstrationen der NPD hat seitdem kontinuierlich abgenommen. Ende
Dezember organisierten die Neonazis den letzten Aufmarsch; danach blieb es
bis zum Tag der Eröffnung ruhig.
Bislang sind 420 Menschen in das Containerdorf eingezogen, 480 sollen es
bis Ende des Monats werden. Sie kommen aus 24 Ländern, vor allem aus
Balkanstaaten, Afghanistan, Eritrea, Pakistan und Syrien, vereinzelt auch
aus dem Iran, Irak, Algerien und Ägypten.
## Geflohen und neuen Bedrohungen ausgesetzt
Einige BürgerInnen in Buch lehnen die Unterkunft nach wie vor ab: So werde
regelmäßig an den Zäunen gepöbelt, erzählt ein Mitarbeiter des
Wachschutzes, der vor einiger Zeit selbst mit einer Flasche angegriffen
wurde. Auch ein Feuerwerkskörper wurde nach Einzug der Geflüchteten auf das
Gelände geworfen. Viele Geflüchtete bekamen davon aber nichts mit – so wie
Salah*.
Der 22-jährige Informatiker aus Syrien kam im Dezember nach Deutschland und
lebt seit drei Wochen in Buch. „Gehört habe ich das nur von anderen, aber
ein bisschen ängstlich bin ich nun schon“, erzählt er. Es bereite ihm ein
mulmiges Gefühl, dass er aus Syrien vor dem Krieg geflohen sei und hier nun
neue Bedrohungen erleben müsse. „Ich möchte so schnell wie möglich eine
Wohnung finden und nicht mehr so weit draußen wohnen“, sagt er und hofft,
dass er dabei Unterstützung findet.
Die gut 60 Kinder, die in der Unterkunft leben, gehen von Anfang an in
Willkommensklassen der vier umliegenden Schulen: Laut Koordinatorin der
Kinder- und Jugendbetreuung, Jeanette Delgado, habe sich die Zusammenarbeit
mit dem Bezirksamt problemlos gestaltet. Die Schulen wurden gut auf die
ankommenden Kinder vorbereitet, zusätzliche Lehrkräfte wurden eingestellt,
so Delgado. „Einige der Lehrkräfte sind sogar in die Unterkunft gekommen,
um sich den Kindern vorzustellen“, berichtet die gelernte Erzieherin.
Trotz der guten Vorbereitungen hätten einige Eltern Angst, ihre Kinder in
die Schule zu schicken, erzählt Delgado weiter. „Auf dem Schulweg ist es zu
Pöbeleien im Bus gekommen. In Zukunft wollen Ehrenamtliche mitfahren und
die Kinder auf ihrem Schulweg begleiten.“
## Keine Stimmung der Angst erzeugt
Die Zukunft des Containerdorfs sieht Sascha Schlenzig trotz allem positiv.
„Eine Wohnstätte für Geflüchtete im Ort ist auch eine Chance für Buch.“…
spricht von einem Ort der Begegnung, von gegenseitigem Lernen und
kultureller Öffnung. Die Neonazis hätten es nicht geschafft, eine
grundsätzliche Stimmung der Angst in Buch zu erzeugen. „Es handelt sich
beim Kern der Neonazis um eine extreme Minderheit von 15 Personen“,
berichtet er aus seiner Erfahrung. Die Mehrheit der Bucher Bevölkerung
besitze Empathie für die Asylunterkunft und helfe den Geflüchteten gerne.
Diesen Eindruck bestätigt auch Heimleiterin Juliane Willuhn. Regelmäßig
kämen BürgerInnen mit Spenden vorbei und engagierten sich bei
Spielnachmittagen oder Handwerksarbeiten. Dabei beobachte sie auch, wie die
Unterkunft auf den Ort wirke. „Da lernen sich dann zwei Einwohner kennen,
die vorher nie in Kontakt gekommen sind, während sie ein Kinderbett für
eine Flüchtlingsfamilie zusammenbauen“, erzählt sie mit einem Lächeln.
In den kommenden Tagen sollen die letzten Bauarbeiten am Gelände fertig
werden und endlich Alltag in der Unterkunft einkehren. Willuhn hofft, dass
die Aktivitäten der Neonazis dann komplett zum Erliegen kommen. „Sobald die
Geflüchteten da sind, ebben die Proteste in der Regel ab. Hoffentlich auch
hier“, so die Heimleiterin.
Das Netzwerk für Demokratie und Respekt möchte im Sommer eine Veranstaltung
organisieren, auf denen Geflüchtete über ihre Fluchterfahrungen sprechen.
So könnte die Bucher Bevölkerung für ihre Situationen sensibilisiert
werden, meint Schlenzig. „Dann können wir die Menschen kennenlernen und
sprechen nicht mehr über sie, sondern mit ihnen“, sagt er.
*Name geändert
26 May 2015
## AUTOREN
Fanny Lüskow
Tim Lüddemann
## TAGS
Containerdorf
Schwerpunkt Flucht
Flüchtlinge
Flüchtlinge
NPD-Verbot
Flüchtlinge
Flüchtlinge
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