# taz.de -- Vor dem G-7-Gipfel auf Schloss Elmau: Furcht vor brennenden Heuball… | |
> Die Politik will Bilder von Protesten beim G-7-Gipfel verhindern. Mehr | |
> als 20.000 Polizisten sollen wenige Demonstranten in Schach halten. | |
Bild: Nicht mal Bambi darf durch: Um den Tagungsort wurde ein 16 Kilometer lang… | |
GARMISCH-PARTENKIRCHEN taz | Es ist ein Tag Mitte Mai, und für Sigrid | |
Meierhofer gehört der Blick auf diese ruhige Kulisse zu den genussvollen | |
Momenten ihres Alltags. Wenn die SPD-Bürgermeisterin des Örtchens aus ihrer | |
Amtsstube in der Marktgemeinde Garmisch-Partenkirchen hinauf in die Berge | |
schaut, kann sie noch Schnee sehen. Heute Morgen war sie gerade erst wieder | |
oben in Kaltenbrunn, es schneite. Wenn es doch unten im Tal nur genauso | |
ruhig zuginge. Allerdings: Es gibt Ärger mit der Wiese. Kruzifix. | |
Gleich drüben hinter der Partnach, wo das kalte Gebirgsquellwasser aus dem | |
Zugspitzmassiv in die Loisach mündet, hat sich nun doch noch ein | |
Wiesenbesitzer gefunden, der den Ortsfrieden bedroht. Dieser Mann hat | |
nichts dagegen, dass auf seiner Wiese einige hundert, vielleicht eintausend | |
Demonstranten zelten, die gegen den G-7-Gipfel im 17 Kilometer entfernten | |
Bergörtchen Elmau demonstrieren wollen. Und jetzt ist nicht nur Garmisch in | |
Aufruhr. Auch Bayern ist es. Und die Bundesregierung. | |
Seit bei den Blockupy-Protesten am 18. März in Frankfurt die Situation für | |
kurze Zeit außer Kontrolle geriet und Polizeiautos in Flammen aufgingen, | |
ist die Bundesregierung alarmiert: Straßenschlachten zwischen Kuhställen, | |
Schindelhütten und Heuschobern? Was, wenn statt der protokollarisch | |
vorbereiteten Bilder aus dem idyllischen Alpenschloss Elmau vor allem | |
solche von brennenden Barrikaden um die Welt gehen? | |
In Hintergrundkreisen warnen Sicherheitsbehörden vor gewaltbereiten | |
Demonstranten aus ganz Europa. Das Szenario, das die Behörden entwerfen: | |
Wenn am 7. und 8. Juni für 48 Stunden Angela Merkel, Barack Obama und die | |
anderen Staatschefs zusammenkommen, droht den umliegenden Gemeinden ein | |
Bürgerkrieg. | |
Anwohner werden aufgefordert, alle Blumentöpfe, mit denen man werfen | |
könnte, von den Fensterbänken zu entfernen. Es gehe, sagt Bayerns | |
Innenminister Joachim Herrmann (CSU) darum, „Leib und Leben der | |
Gipfelteilnehmer“ zu schützen. Die Begleiterscheinungen: verschweißte | |
Gullydeckel, mehr als 20.000 Polizisten im Einsatz. | |
## Kaum linke Strukturen | |
Allein, es gibt einen Schönheitsfehler bei dieser Darstellung. Dass es | |
wirklich zu massiver Gewalt kommen könnte – darauf deutet in der linken | |
Szene bislang nicht besonders viel hin. Es mangelt an rabiaten | |
Internetaufrufen, wie es sie etwa vor den Protesten in Frankfurt gab. Auch | |
hatten die Blockupy-Aktivisten viele Sympathien in der Stadtgesellschaft, | |
Gewerkschaften unterstützten die Proteste. Die kurze und entschiedene | |
Zerstörungswelle militanter Autonomer gehörte zu den Begleiterscheinungen | |
der Massenmobilisierung. | |
In Elmau ist das anders. In Garmisch-Partenkirchen, dem nächstgrößeren Ort, | |
gibt es keinerlei linke Strukturen, genau genommen überhaupt nur eine | |
Handvoll Personen, die sich gegen den G-7-Gipfel positioniert. Einer von | |
ihnen ist der frühere Förster Axel Doering. Aber auch er befürchtet, dass | |
die Demonstranten die für die Kühe wichtigen Weidewiesen niedertrampeln und | |
die Rehe aufscheuchen. | |
Dennoch warnen Sicherheitsbehörden vor gewaltbereiten Aktivisten aus | |
Italien. Ab diesem Dienstag soll es an deutschen Grenzen wieder Kontrollen | |
geben – und während Verfassungsschutzbeamte in München Aktivisten zur Rede | |
stellen, schwören rund um Elmau Polizisten bei Hausbesuchen die bayerische | |
Bevölkerung darauf ein, gut aufzupassen, dass sich in ihren Vorgärten | |
niemand niederlässt, der dort nichts zu suchen hat. | |
Die Marktgemeinde setzt derweil alles daran, das Protestcamp zu verhindern. | |
15 Behörden sind aufgefordert, Stellungnahmen abzugeben. Die Feuerwehr, das | |
Wasserwirtschaftsamt, das Amt für Landwirtschaft. Daher bereitet das | |
Bündnis „Stop G 7“ die Demonstranten darauf vor, dass sie sich spontan | |
Zeltplätze suchen und autark versorgen müssen. Ungeklärt ist auch, ob die | |
für den 6. Juni geplante Demonstration vom Bahnhof in | |
Garmisch-Partenkirchen bis zum 2.000 Meter entfernten Ortsausgangsschild | |
der Stadt ihren Verlauf nehmen darf. Selbst diese Route war schon ein Witz. | |
Vom Hotel in Elmau liegt ihr Endpunkt 15 Kilometer entfernt. | |
## Zerstrittene Protestszene | |
Dabei antwortet selbst SPD-Bürgermeisterin Meierhofer auf die Frage, ob ihr | |
konkrete Hinweise vorlägen, dass es zu Gewalt kommen könnte – mit: „Nein.… | |
Dass sie dennoch von schweren Ausschreitungen ausgehen müsse, sei „in | |
erster Linie ein Erfahrungswert“. | |
Aber Moment mal: Eine Erfahrung womit eigentlich? | |
Die Situation in Elmau unterscheidet sich gravierend von den Protesten | |
anlässlich des G-7-Gipfels 2007 in Heiligendamm, als es in Rostock zu | |
heftigen Straßenschlachten kam. Damals begannen Dutzende Initiativen, | |
Parteiverbände und Gewerkschaftsgruppen ganze zwei Jahre vorher mit den | |
Vorbereitungen auf das Ereignis. | |
Heute ist die Szenerie der Akteure völlig überschaubar. Teils haben sich | |
die Gruppen zerstritten, weil sie sich nicht einmal einigen konnten, ob und | |
wo sie eine gemeinsame Großdemonstration organisieren. Zum Vergleich: Zum | |
Gipfel bei Rostock fuhren allein aus Berlin 50 Busse, vollbesetzt mit | |
Demonstranten. Für die Elmau-Proteste sind gerade mal drei Busse aus Berlin | |
eingeplant. | |
Und die Horden aus Italien? Beppe Caccia müsste sie kennen. Der gut | |
vernetzte Aktivist lebt in Italien und hat über Jahre hinweg intensiv die | |
Vorbereitung der Blockupy-Proteste begleitet. Er sagt: „Es gibt in Italien | |
keinerlei Mobilisierung zum G-7-Gipfel in Deutschland. Alle Gerüchte | |
beruhen nur auf Polizeispekulationen.“ Falls überhaupt italienische Gruppen | |
nach Bayern führen, sagt Caccia, „dann ein paar Kleingruppen mit jeweils | |
ein paar Personen.“ | |
## Die Behörden gewinnen | |
Der entscheidende Kampf um den Gipfel hat längst begonnen: der um die | |
Deutungshoheit des Protestgeschehens. Gewonnen haben ihn bislang die | |
Behörden, die mit aller Macht die Stimmung gegen die Demonstrationen | |
anheizen – vielleicht auch, um den unverhältnismäßigen Aufwand zu | |
rechtfertigen, mit dem das ohnehin geografisch kaum zugängliche Berghotel | |
massiv abgeschirmt wird. Um die 200 Millionen Euro könnte das Treffen die | |
Steuerzahler am Ende kosten. | |
In Bayern hat ein solches Vorgehen durchaus Tradition. Als am 6. Juli 1992 | |
rund 480 Demonstranten mit Trillerpfeifen friedlich gegen das damalige | |
G-7-Treffen in München demonstrierten, hielten 1.000 Polizisten am | |
Kaffeehaus Dallmayr sie zunächst stundenlang ohne Trinkwasser fest und | |
führten anschließend jeden einzelnen in Handschellen ab. | |
Weil die Zellen überfüllt waren, ketteten die Polizisten die Demonstranten | |
schließlich einfach mit Handschellen aneinander und ließen sie stundenlang | |
auf den Fluren in der Wache stehen. Anlehnen? Verboten. Der „Münchner | |
Kessel“ ging in die Protestgeschichte ein. Als Grund für den massiven | |
Einsatz brachte die Polizei später vor, die Festgenommenen hätten sich | |
durch „lautstarke Störungen mit Trillerpfeifen und Megafonen“ der | |
versuchten Nötigung schuldig gemacht. | |
Bayerns Innenminister Herrmann macht auch heute unmissverständlich klar, | |
dass die Behörden bei den Protesten die gesetzlichen Regelungen zur | |
Gefahrenabwehr großzügig auslegen werden. Gerechnet werden muss mit | |
weiträumigen Aufenthaltsverboten und sogenannten Präventivmaßnahmen. | |
## Umherstrolchende Kleingruppen | |
Dabei darf bezweifelt werden, ob dieses sogenannte Sicherheitskonzept | |
überhaupt in der Lage ist, Sicherheit herzustellen. Denn paradoxerweise ist | |
nun abzusehen, dass exakt das Gegenteil von der beschworenen Ordnung | |
eintreten dürfte. Stattdessen: etliche umherstrolchende Kleingruppen, die | |
irgendwo versuchen, ein Plätzchen zu finden, ob auf den Wiesen entlang der | |
Loisach oder in den Wäldern, wo die natürlichen Wege der Rehe ohnehin | |
unterbrochen sind, weil quer durch die Bergwälder rund um Elmau ein 16 | |
Kilometer langer Maschendrahtzaun gezogen wurde. | |
Inzwischen äußern bei Bürgerversammlungen selbst die Bauern in Garmisch | |
laut Unmut darüber, dass die Behörden jegliche konstruktive Kooperation mit | |
den Demonstranten so strikt verweigern, und stellen das demokratische | |
Rechtsstaatsverständnis der Verantwortlichen infrage. | |
Wen sollte es also wundern, wenn in zwei Wochen eine eigentlich | |
beherrschbare Situation außer Kontrolle gerät, die mit wenigen symbolhaften | |
Taten für eine mediales Zerrbild sorgen kann? In der ansonsten märchenhaft | |
anmutenden Berglandschaft mit ihren schneebedeckten Gipfeln, sattgrünen | |
Wiesen und niedlichen Häusern muss ja nur hier ein Heuballen brennen und | |
dort ein Blumentopf umfallen – und schon darf die Welt den Eindruck haben, | |
ganz Bayern stünde unter Attacke. Das organisierte Chaos? Es wirkt wie | |
bestellt. | |
Damals, nach dem Münchner Kessel 1992, hatte der bayerische | |
Ministerpräsident Max Streibl eine klare Antwort auf die Versuche von | |
Demonstranten, mit Trillerpfeifen die Unterhaltungen Helmut Kohls zu | |
stören: „Wenn einer glaubt“, sagte Streibl, „sich mit Bayern anlegen zu | |
müssen, dann muss er wissen, dass hartes Hinlangen bayerische Art ist.“ | |
Streibl stolperte 1993 über die Amigo-Affäre. Sein Satz hat bis heute | |
Gültigkeit. | |
26 May 2015 | |
## AUTOREN | |
Martin Kaul | |
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