| # taz.de -- Prozess gegen Blockupy-Demonstrant: Ein bisschen wie Che | |
| > Federico A. soll bei Blockupy im März Steine auf Polizisten geworfen | |
| > haben. Er ist bisher der einzige angeklagte Demonstrant. | |
| Bild: Bei den Blockupy-Protesten im März brannten Autos. | |
| London/Berlin taz | Es ist der 18. März 2015, ein Mittwoch und früh am | |
| Morgen, als Federico A. und Helen S. auf die glitzernden Türme der | |
| Europäischen Zentralbank in Frankfurt zurennen. Die neue Zentrale der Bank | |
| soll an diesem Tag eröffnet werden und Federico A., Helen S. und etwa 6.000 | |
| andere Aktivisten aus ganz Europa wollen die Party stören. | |
| Um sie herum knallt es und raucht, Tränengas macht das Atmen schwer. Die | |
| ersten Steine fliegen. Es ist ihre erste große Demo. Später wird Helen S. | |
| sagen: „Wir waren auch etwas naiv.“ Er, der gut gelaunte Italiener mit | |
| Vollbart, sie, die Schmale, Schicke, mit langen dunkelblonden Haaren. | |
| Federico A. hatte seine rote Regenjacke angezogen, und wahrscheinlich wäre | |
| alles anders gekommen, wenn er sich an diesem Tag für ein anderes | |
| Kleidungsstück entschieden hätte. | |
| Sechs Wochen später hängen vier Studierende ein riesiges rotes Banner in | |
| den Innenhof der SOAS-Universität in London. Federicos Konterfei, daneben | |
| der Slogan: „Eine Idee lässt sich nicht verhaften. #FreeFede“. Applaus und | |
| Jubel. Aus Federico, dem Studenten aus gutem Hause, ist ein Hashtag | |
| geworden. | |
| Federico A. sitzt seit den Protesten in Frankfurt in Untersuchungshaft. Am | |
| Mittwoch beginnt sein Prozess. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm schweren | |
| Landfriedensbruch und gefährliche Körperverletzung vor. Er ist der einzige | |
| Blockupy-Demonstrant, gegen den Anklage erhoben wurde. Wahrscheinlich | |
| konnte die Polizei ihn nur wegen seiner roten Jacke eindeutig | |
| identifizieren. | |
| ## Picknick im Park | |
| „Federico meinte, es ist März, es ist Deutschland, ich nehme die | |
| Regenjacke“, erzählt Helen S. Sie steht im Innenhof der Universität und | |
| verteilt Buttons, auf die Federicos Gesicht gedruckt sind. Mit seinem Bart | |
| sieht er ein bisschen aus wie Che Guevara. | |
| Helen S. hat Federico A. auf der Demo für zehn Minuten aus den Augen | |
| verloren. In der restlichen Zeit, das kann sie beschwören, hat er nichts | |
| Verbotenes getan, sagt sie. Aber gegen 9.20 Uhr wollte die Polizei | |
| offensichtlich die Straße räumen und drängte die Demonstranten zusammen. | |
| „Fede war aufgeregt. Er hat immer gefragt, ob wir noch alle da sind, ob es | |
| uns gut geht.“ Eine Freundin der beiden bekommt einen Schlag ab, und Helen | |
| geht mit ihr los, um Eis zum Kühlen zu besorgen. | |
| Als sich die Freunde zehn Minuten später im Getümmel wieder treffen, | |
| flüchten sie weiter nach hinten. In einem kleinen Park machen sie eine | |
| Pause, holen sich Kaffee und Sandwiches, picknicken. Helen liegt auf | |
| Federicos Schoß, der sich Notizen macht für seinen Blog, auf dem er über | |
| die Demonstration schreiben will. „Dann kam plötzlich eine sehr große | |
| Gruppe Polizisten auf uns zugerannt, stieß uns alle zur Seite und riss | |
| Federico mit“, erzählt Helen. Er wird abgeführt, den Arm auf den Rücken | |
| gedreht, den Kopf nach unten gedrückt. | |
| Die Staatsanwaltschaft erklärt gegenüber der taz, dass Federico aus einer | |
| Gruppe schwarz vermummter Personen vier Steine und eine Flasche auf | |
| Polizisten geworfen haben soll. „Alle fünf Würfe trafen“, sagt die | |
| Sprecherin, dabei sei ein Polizist leicht verletzt worden – allerdings | |
| nicht so, dass er dienstunfähig wurde. Bei der Tat und bis zu Verhaftung | |
| fast eine Stunde später soll Federico A. von Zivilpolizisten durchgängig | |
| beobachtet worden sein. Bei seiner Festnahme fand die Polizei in seinem | |
| Gepäck zwei Steine. Federico A. will sich vor dem Prozess zu den Vorwürfen | |
| nicht äußern. | |
| ## Telefonate ins Gefängnis | |
| „Ich wünschte, ich wüsste, was passiert ist“, sagt Helen S. Erst mehrere | |
| Tage nach der Tat erfuhr sie, was Federico vorgeworfen wird. Wenn sie mit | |
| ihrem Freund im Gefängnis telefoniert, sprechen die beiden nicht über die | |
| Tat. Sie befürchten, dass sie abgehört werden. | |
| Seit Federico A. im Gefängnis sitzt, haben seine Freunde an der SOAS in | |
| London eine große Solidaritätskampagne gestartet: Auf der | |
| [1][Facebook-Seite „Free Fede“] werden täglich neue Fotos aus der ganzen | |
| Welt geteilt, mal von deutschen Antifa-Gruppen, mal von italienischen | |
| Familien. Professoren wie David Graeber, David Harvey und Noam Chomsky, | |
| linke intellektuelle Prominenz also, haben die Freilassung von Federico A. | |
| gefordert. | |
| Die Unterstützer kritisieren vor allem die lange Untersuchungshaft. Die | |
| Staatsanwaltschaft begründet sie mit Fluchtgefahr. Schließlich habe der | |
| Italiener in Deutschland keinen Wohnsitz und könne sich leicht nach | |
| Großbritannien oder in seine Heimat absetzen. | |
| Vergangene Woche hat der deutsche Bundestag einen Gesetzesentwurf zur | |
| „Harmonisierung der Strafverfahren“ in der Europäischen Union diskutiert. | |
| Laut Bundesregierung stellt ein Wohnsitz im EU-Ausland keinen hinreichenden | |
| Grund dar, um gegen Beschuldigte eine Untersuchungshaft anzuordnen. Bei | |
| einer Strafe, die aller Wahrscheinlichkeit nach nicht über eine | |
| Bewährungsstrafe hinaus geht, wäre es außerdem besonders unvernünftig, wenn | |
| sich ein Angeklagter dem Prozess entzieht. Die Folgen der Flucht wären wohl | |
| weitreichender als die Strafe selbst. | |
| ## Die drastischste Variante | |
| Im Fall Federico A. hat die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Amtsgericht | |
| Anklage erhoben – und nicht am Landgericht, was auf eine geringe Strafe | |
| schließen lässt. Ist es da verhältnismäßig, einen Angeklagten, gleich | |
| welcher Herkunft, für so lange Zeit in Untersuchungshaft zu behalten? Auch | |
| auf das Angebot, er könne bis zum Prozess unter Hausarrest in Frankfurt | |
| bleiben, ließ sich die Staatsanwaltschaft nicht ein. Es scheint, als wäre | |
| bei Federico A. von allen möglichen Optionen die drastischste Variante | |
| gewählt worden. | |
| Die Aktivisten in London sagen, es spielt für sie keine Rolle, ob Federico | |
| A. schuldig ist oder nicht. Sie finden, es ist ein politischer Prozess. Für | |
| die Aktivisten wird hier im Kleinen das Große verhandelt: Das von Krisen | |
| gebeutelte Südeuropa in Gestalt eines italienischen Studenten tritt an | |
| gegen das übermächtige Deutschland. | |
| Nur: Selbst die Aktivisten müssen darüber schmunzeln, dass ausgerechnet | |
| Federico A. über Nacht zur Ikone der europäischen Linken wurde. Er, der | |
| vorher nicht groß als Aktivist aufgefallen ist. Der Sohn eines Arztes, der | |
| Wirtschaftsstudent aus Rom, der sich erst vor Kurzem politisiert hat und | |
| eher spontan nach Frankfurt mitgefahren ist. Seinen 18. Geburtstag hat er | |
| noch in Abendgarderobe und mit Champagner gefeiert. Eine andere Zeit. | |
| Viele zerren jetzt an ihm: Die Frankfurter Justiz, die nach den Protesten | |
| in Frankfurt und vor dem G-7-Gipfel in Elmau Härte zeigen will. Die linken | |
| Aktivisten, die aus ihm eine Ikone des europäischen Widerstands machen | |
| wollen. Und seine Eltern, die den Fall bloß nicht politisch ausgeschlachtet | |
| sehen wollen, aus Angst, dass ihre Sohn noch länger im Gefängnis sitzt. | |
| Bei der Kundgebung in London werden schwarze Pappbärte verteilt, die an | |
| Federico A.s markanten Bart erinnern. Helen S. tritt auf die Bühne, die | |
| Akustik ist schlecht, das Megaphon rauscht und scheppert. Die Menschen | |
| stehen im Kreis, die Pappbärte ums Gesicht geschnallt und versuchen mit | |
| ernsten, konzentrierten Gesichtern zu verstehen, was Helen vorliest: „Like | |
| a cancer, it grows slowly.“ Wie Krebs, sie wächst langsam. Die Langeweile. | |
| „The walls are always the same: bare. The prisons are always the same: | |
| sad.“ Die Wände sind immer dieselben: blank. Die Gefängnisse sind immer | |
| dieselben: traurig. Es sind Gedichte, die Federico A. im Gefängnis | |
| geschrieben hat. | |
| Sie stehen [2][auch auf jenem Blog], für den er über die Proteste in | |
| Frankfurt schreiben wollte. Die Rolle des poetischen Widerständlers, sie | |
| scheint Federico A. allmählich zu gefallen. | |
| 2 Jun 2015 | |
| ## LINKS | |
| [1] https://www.facebook.com/pages/Free-Fede/1522560364631427 | |
| [2] http://dailystorm.it/2015/05/21/ahaha-the-jail-a-poem-by-federico-annibale/ | |
| ## AUTOREN | |
| Kersten Augustin | |
| Katharina Schiele | |
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