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# taz.de -- Seeschlacht um Mediaspree: Die Blockade der Wirtschaftskapitäne
> Die Initiative "Berliner Wirtschaftsgespräche" lädt zur Bootsfahrt, um
> über das Investorenprojekt Mediaspree zu informieren. Doch hunderte
> Gegendemonstranten paddeln mit Schlauchbooten über die Spree.
Bild: Eine Initiative sieht rot: Computersimulation der Mediaspree-Gegner
Sie graben die Zehen in den glühenden Sand, nippen an kühlen Getränken, ein
paar Hartgesottene spielen auf dem Betonplatz zur Straße Basketball. Es
wirkt wie ein ganz normaler Strandtag im Yaam am Friedrichshainer Ufer der
Spree. Nur die wartenden Schlauchboote sind ungewohnt. Und die
Wasserbomben, die kistenweise ans Ufer geschleppt werden. Im Schatten neben
der Bar basteln etwa 20 Leute Grabsteine aus Styropor mit der Aufschrift
"Spreeufer für alle" oder füllen Netze mit Pappfischen und Schmetterlingen.
"Botschaften an die Investoren", sagt grinsend eine junge Frau, die gerade
"Piss off!" auf einen Karton geschrieben hat. Dann sieht mal wieder jemand
die Spree flussabwärts, hält Ausschau nach dem Schiff, auf das hier alle
warten, am frühen Dienstagabend.
***
Die Sonne scheint, ein lauer Wind weht vom Charlottenburger Ufer herüber.
"Ich hoffe, Sie haben alle Ersatzkleidung dabei", sagt der
geschäftsführende Vorstand der Berliner Wirtschaftsgespräche, Rudolf
Steinke. Die gut 200 Gäste des Lobbyverbandes an Bord nehmen es mit einem
Lächeln. Sie haben sich zur Bootsfahrt über die Spree eingefunden, Richtung
Friedrichshain-Kreuzberg. Sie wollen sich vom Wasser aus ein Bild von den
Ufern zwischen Jannowitz- und Elsenbrücke machen. Dort werden die
Grundstücke als "Mediaspree" für Investoren angepriesen. Aber bis dahin
sind es noch ein paar Kilometer. "Ich habe mich einfach auf eine nette
Bootsfahrt gefreut", sagt die 54-jährige Anke Schmidt. Von Protesten der
Bürgerinitiative "Mediaspree versenken" hat sie nichts gewusst.
***
Auf der Schillingbrücke warten etwa 70 Demonstranten. Darunter dreht ein
Holzboot mit zwei als Ölscheichs verkleideten Männern seine Runden. Es sind
die "Ersatzinvestoren" - für den Fall, dass die echten nicht kommen.
***
Von der Dovebrücke aus schippert der Dampfer der Reederei Riedel gen Osten,
vorbei an den Moabiter Gewerbebauten, Kanzleramt und Hauptbahnhof. Rudolf
Steinke betont mehrmals, dass es bei der Fahrt darum gehe, den
Wirtschaftsvertretern einen Eindruck von den Entwicklungen an der Spree zu
geben - nicht nur im Bereich Mediaspree, sondern über alles, was sich
zwischen Charlottenburg und Treptow in den vergangenen Jahren getan hat.
Eine "Investorenfahrt", wie von der Bürgerinitiative betitelt, sei das
nicht. Am Hauptbahnhof warnt er seine Gäste, dass es Farbbeutel und Tomaten
regnen könnte: "Wir empfehlen Ihnen, unter Deck zu gehen."
Anke Schmidt bleibt erst einmal vor ihrem Latte macchiato sitzen, ihr Mann
Norbert vor seinem Pils. "Ich finde das eigentlich toll, wenn ich sehe, wie
sich das Ufer hier entwickelt", sagt Schmidt. Von der ganzen Diskussion um
Mediaspree hat sie nichts gehört. Sie sei aber auch nur "mitfahrende
Ehefrau", betont sie.
***
Am Eingang des Kiki Blofeld gibt es Streit. Der Türsteher will Leute mit
Getränkeflaschen nicht reinlassen, von manchen verlangt er Eintritt. Dabei
war die Strandbar als offizieller Treffpunkt für die demonstrative
Spreeparade angekündigt. Drinnen pumpen rund 250 Leute Boote auf und knoten
Luftballons zusammen, eine Schwimminsel klatscht ins Wasser. Im Sand ein
Stapel Eierkartons. Es dauere noch, bis das Schiff kommt, verkündet das
Megafon. Von der Bar 25 am gegenüber liegenden Ufer schallt das Trommeln
einer Sambaband herüber. Auch dort sind hunderte Demonstranten zu sehen.
Auf der Spree patrouillieren zwei Boote der Wasserschutzpolizei.
***
Je näher die Schleuse am Mühlendamm kommt, desto stärker rücken die
Planungen in Friedrichshain-Kreuzberg in den Mittelpunkt der Gespräche an
Bord. Verständnis für die Anliegen der Bürgerinitiative äußern einige, die
Mittel findet kaum einer gut. "Dass man mit Farbbeuteln die richtige
Antwort findet, wage ich zu bezweifeln", sagt Passagier Hans Achim Grube.
"Die disqualifizieren sich durch so einen Protest."
***
Eine Meldung macht die Runde: Das Boot soll nahe der Jannowitzbrücke
gesichtet worden sein. Die letzten Luftmatratzen werden zu Wasser gelassen.
Über 40 Schlauchboote, Kajaks, Flöße und Luftmatratzen treiben jetzt auf
der Spree, sie ziehen Luftballons und Schilder hinter sich her. Zwei
Ausflugsdampfer müssen stoppen, weil die kleinen Boote den Weg nicht frei
machen. Polizisten versuchen von einem Schnellboot aus, mit Enterhaken und
Stangen die kleinen Boote aus dem Weg zu schieben.
***
Auf dem voll besetzten Dampfer gehen die Ersten zögernd unter Deck, auch
Hans Achim Grube. Das weiße Hemd und die gelb-blau gestreifte Krawatte sind
dem 42-jährigen Architekten dann doch zu schade. Oben verharrt weit mehr
als die Hälfte der Wirtschaftsvertreter auf den Sitzen. Das Bier schmeckt,
der überschaubar große Hähnchensalat auch, das Wetter ist immer noch ideal
für eine Schifffahrt. Erst als die Jannowitzbrücke ins Blickfeld gerät,
dämmert es den Ausflüglern: Das ist kein Scherz. Die Brücke ist voll mit
Mediaspree-Gegnern, sie johlen, schwenken Transparente.
***
Die Besucher der Bar 25 begrüßen den Ausflugsdampfer mit lautem Trommeln.
Die Demonstranten paddeln los.
***
Nur wenige Mutige bleiben an der Reling, unten im Schiff wird es eng.
Mediaspree ist nun das beherrschende Thema. "Das ist doch reine
Energieverschwendung", echauffiert sich eine beleibte Frau, die ihren Namen
nicht in der Zeitung lesen will. "Wir sind doch überhaupt keine Investoren,
wir machen doch eine Vergnügungsfahrt." Den Hinweis, dass die Berliner
Wirtschaftsgespräche nun einmal für Investoren und andere Leistungsträger
stehen, lässt sie nicht gelten. Auch der 38-jährige Nikolaus Karsten zuckt
mit den Achseln. "Protest ist ja schön - aber es trifft die Falschen."
***
Direkt vor dem Bug der "Spree Princess" taucht ein Kopf im Wasser auf, dort
schwimmt jemand. Das Schnellboot der Polizei gibt Gas. Ein Feuerwerkskörper
schießt übers Wasser und explodiert mit blauem Funkeln knapp über den
Booten.
***
Am Ufer zeigt ein Aktivist sein Hinterteil, eine Glasflasche fliegt gegen
das Schiff. Auf dem Fluss wird es belebter: Die Mediaspree-Gegner haben
viele kleine Boote zu Wasser gelassen. Die Wasserschutzpolizei sagt:
Weiterfahrt unmöglich. Das Ausflugsschiff fährt zurück. Als der Kapitän
einen Brückenpfeiler rammt, wird die Stimmung kurzzeitig hektisch - die
Nervosität ist hörbar gestiegen.
***
Mit einem Haken schnappt die Polizei ein gelbes Schlauchboot, die Insassen
retten sich auf andere Boote, das Schlauchboot wird hochgezogen und an Deck
von der Wasserschutzpolizei verstaut.
***
"Die wollen doch gar nicht Spreeufer für alle. Die wollen doch nur:
Spreeufer für uns", sagt der Theologe Stephan Schwartzkopff an Bord des
Schiffes. In seiner Stimme schwingt Ärger über die Demonstranten mit. "Die
definieren einfach ihre eigene Demokratie." Er arbeitet an einem Arbeits-
und Weiterbildungsprojekt in dem Gebiet und kennt die öffentliche Debatte
gut. "Diese Polarisierung, die finde ich einfach schade."
***
Die zurückkehrenden Schlauchboote werden mit Applaus am Ufer begrüßt. Im
Kiki Blofeld läuft Musik, es riecht nach Pizza von der Bar. Carsten Joost
von der Initiative "Mediaspree versenken" hält noch immer das Megafon in
der Hand, man sieht ihm die Anspannung der vergangenen Stunden an. Jetzt
strahlt er übers ganz Gesicht: "Ein voller Erfolg!" Das meint auch Sandra
Paul, die ebenfalls an der Initiative beteiligt ist: "Das war eine super
Aktion!" Vorher habe sie sich Gedanken gemacht, ob sie nicht abtreiben
würden, aber die Spree habe kaum Strömung. "Ist wie Paddeln auf einem See."
***
Der Spuk ist vorbei, der Dampfer fährt zurück. Die Passagiere, zurück an
Deck, trinken ihr zweites Bier, hören sich die immer noch viel zu laut aus
dem Mikrofon tönenden Erklärungen zu den Uferbauten an. Um 20.30 Uhr lässt
die Reederei Riedel wieder an der Dovebrücke anlegen. Die Sonne hat sich
gesenkt, es ist noch ruhiger als zuvor, und kein einziges Hemd ist
schmutzig geworden.
***
Die ersten Leute sind schon nach Hause gegangen, da stürmen 100 Polizisten
das Kiki Blofeld. Sie suchen die Leute, die sie auf den Booten gefilmt
haben. "Wo ist dieser Typ auf dem Kajak?", ruft ein Polizist seinen
Kollegen zu. "Einer mit Locken! Den erkennt man doch!" Drei junge Männer
und zwei Frauen werden mitsamt ihrem Paddelboot festgehalten. "Die
Demonstration war doch angemeldet und vollkommen friedlich!", beschwert
sich ein Mann. "Meinen Sie!", erwidert der Einsatzleiter. Mehrmals seien
Boote am Weiterfahren gehindert worden, das sei Nötigung und Eingriff in
den Schifffahrtsverkehr.
2 Jul 2008
## AUTOREN
Kristina Pezzei
Juliane Schumacher
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Der Mediaspree-Vermarkter:: "Es wird noch lange Nischen geben"
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Christian Meyer, Geschäftsführer vom Regionalmanagement mediaspree.
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2008. Diese Position ist aber umstritten. Vielleicht ist sie auch
unerheblich, denn die Stadtentwicklungssenatorin könnte dem Bezirk die
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Bezirks zur Abstimmung.
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versenken" gehen beide Seiten davon aus, dass es am 13. Juli zum
Bürgerentscheid gegen das Projekt Mediaspree kommt.
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