| # taz.de -- Videoüberwachung verändert Verhalten: Überwacht bis in die Kaffe… | |
| > Gefühlte Überwachung beginnt schon, bevor eine Kamera montiert ist. Doch | |
| > was fehlt, sind unter anderem Langzeitstudien. Die sollen klären, wie | |
| > Menschen damit umgehen. | |
| Bild: Schon ein Warnschild reicht aus, damit die sich beobachtet fühlenden Men… | |
| BERLIN taz | Es war nicht mehr als ein kleines Experiment in der | |
| Kaffeeküche der Psychologischen Fakultät in der Universität von Newcastle. | |
| Eine Forschergruppe hängte dort über zehn Wochen lang unterschiedliche | |
| Bildmotive an die Wand - und stellte fest, dass der Betrag in der | |
| Kaffeekasse abhängig vom Motiv war. | |
| Der Trick: Neben unterschiedlichen Blumenbildern pinnten die Forscher | |
| Abbildungen von menschlichen Augenpartien an eine Schranktür. Der | |
| Zusammenhang war eindeutig: In den Wochen, in denen ein Augenpaar die | |
| Küchennutzer ansah, stieg die Summe in der Kasse, in den Wochen, in denen | |
| Blumenbilder zu sehen waren, sank die Summe. Durchschnittlich, so | |
| errechnete die Gruppe, war in den Augenwochen knapp dreimal so viel Geld in | |
| der Kasse wie in den Blumenwochen. Der Getränkekonsum änderte sich | |
| währenddessen nicht. | |
| "Wer das Gefühl hat, überwacht zu werden, wird sein Verhalten häufig | |
| normieren", erklärt der Soziologe Stephan Humer, der an der Berliner | |
| Universität der Künste als Forschungsleiter tätig ist. Ein großer Teil | |
| dieser Verhaltensänderung passiere unbewusst. So schreiben auch die | |
| Forscher aus Newcastle: "Das menschliche Wahrnehmungssystem enthält | |
| Neuronen, die speziell auf Stimuli mit Gesichtern und Augen reagieren, | |
| daher ist es möglich, dass die Bilder einen automatischen und unbewussten | |
| Effekt der Überwachung bei den Nutzern generiert haben." | |
| Auch wenn Videoüberwachung immer mehr öffentliche und nicht-öffentliche | |
| Flächen abdeckt - die Wirkung der Kameras ist in den meisten Fällen unklar. | |
| Eines der wenigen verhältnismäßig gut erforschten Anwendungsgebiete ist die | |
| Kriminalitätsbekämpfung. | |
| "Hier gibt es zunächst eine Verdrängung, denn Überwachung löst natürlich | |
| nicht die Probleme, die hinter der Kriminalität stecken", sagt Humer. | |
| Außer, dass es zunächst zu einer Verlagerung komme, sei auch eine | |
| Abstumpfung denkbar - nämlich dann, wenn außer der Überwachung keine | |
| Sanktion erfolgt. So gibt es in Großbritannien Orte, an denen Menschen über | |
| Lautsprecher aufgefordert werden, beispielsweise weggeworfenen Müll wieder | |
| aufzuheben. "Wenn die Leute da merken, dass außer der Ermahnung über | |
| Lautsprecher nichts passiert, werden sie der Kamera beim nächsten Mal | |
| vermutlich einfach den Stinkefinger zeigen", sagt Humer. | |
| Unklar ist dagegen, wie sich die Verdrängung von Kriminalität als | |
| Konsequenz der Überwachung über einen längeren Zeitraum auswirkt - etwa auf | |
| die soziale Entwicklung einer Stadt. | |
| Einige Forscher gehen davon aus, dass sich bereits vorhandene | |
| gesellschaftliche Klüfte dadurch vergrößern: Wenn tendenziell | |
| innerstädtische, wohlhabende Plätze oder Viertel videoüberwacht werden, | |
| würde sich Kriminalität in rand- oder weniger wohlhabende Gegenden | |
| verlagern. | |
| "Es ist nicht nur wenig erforscht, ob und wie Menschen ihr Verhalten | |
| ändern, sondern auch, ob mit der Zeit eine Gewöhnung an Kameras erfolgt", | |
| sagt Nils Zurawski, Sozialanthropologe am Lehrstuhl für Kriminologie der | |
| Universität Hamburg. Die psychologischen Effekte der Videoüberwachung | |
| blieben so im Dunkeln. "Es gibt Hinweise, dass Kameras in als privat | |
| empfundenen Kontexten eher abgelehnt werden als in öffentlichen, also | |
| Videoüberwachung im Parkhaus eher akzeptiert wird als im Park." | |
| Dass bei Umfragen zur Akzeptanz von Videoüberwachung die Zustimmung | |
| trotzdem meist hoch liegt, führt Zurawski auf die Fragesituation zurück. | |
| Bei einer Fragestellung wie "Befürworten Sie Videoüberwachung oder lehnen | |
| Sie sie ab?" würden die Menschen eher an Situationen denken, in denen sie | |
| eine Kameraüberwachung sinnvoll finden würden, und nicht an Fälle, in denen | |
| sie sich dadurch eingeschränkt fühlen könnten. | |
| Dennoch legen Wissenschaftler Wert auf Differenzierung: "Unter bestimmten | |
| Bedingungen, in bestimmten Kontexten, kann Videoüberwachung schon Sinn | |
| machen", sagt Humer. Das könne etwa in einem Parkhaus der Fall sein, wo | |
| Sicherheitspersonal hinter dem Bildschirm sitze und in brenzligen | |
| Situationen direkt eingreife. "Das sind aber wenige, maßgeschneiderte | |
| Fälle." Meist werde Videoüberwachung als einfaches und kostengünstiges | |
| Mittel eingesetzt und dabei versäumt, Betroffene mit einzubinden oder | |
| Alternativen zu suchen. | |
| Zurawski nennt als Beispiel das Problem trinkender Jugendlicher auf der | |
| Hamburger Partymeile Reeperbahn, dem die Stadt mit Kameras begegnet. "Die | |
| Frage, die dahinter steckt, lautet eigentlich: Wie bekämpfe ich eine Trink- | |
| und Drogenkultur? Dazu brauche ich beispielsweise Streetworker, also | |
| Menschen, und die kosten mehr Geld als Kameras." Außerdem werde mit den | |
| Maßnahmen ständig Politik gemacht: Wer als Politiker finanzielle Mittel | |
| beispielsweise für die Rehabilitierung Drogenabhängiger ausgebe, sehe sich | |
| schnell Vorwürfen ausgesetzt, den Falschen zu helfen und Geld zum Fenster | |
| hinauszuwerfen. "Videoüberwachung ist ein billiges Mittel, mit dem man | |
| große öffentliche Effekte erzielen kann, dessen Wirkung aber nicht | |
| nachgewiesen ist", fasst Zurawski zusammen. | |
| "Die Frage ist, ob derjenige, der eine Kamera anbringt, immer abschätzen | |
| kann, was das für Folgen hat", formuliert es Humer. Es brauche daher | |
| Studien, die Effekte der Überwachung über lange Zeiträume evaluieren und | |
| auch klären, wie sich Menschen mit der Überwachung fühlen. | |
| *** | |
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| 23 Apr 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Svenja Bergt | |
| Svenja Bergt | |
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