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# taz.de -- Gesichtserkennung: Sie rechnen das Lächeln heraus
> Wunder der Moderne oder martialische Überwachungstechnik? Ohne Kontext
> ist Technik weder gut noch böse. Vier Blicke auf Aspekte von
> Gesichtserkennung.
Bild: Auf den Straßen von Prag seit dem Ende des Kommunismus: Alexei.
Technik ist praktisch. Gesichter merken? Das war früher
"Das ist die Demokratisierung von Prominenz", jubelt Web-2.0-Pionier Tim
OReilly im Interview mit Moritz Metz von Deutschlandradio Breitband.
OReilly hat Gesichtserkennung schon praktisch ausprobiert und zeigt sich
glücklich darüber, dass er "das noch erleben darf".
OReilly war es, der den Begriff "Web 2.0" prägte. Mit Web 2.0 ist das
"soziale Schreib-Lese-Internet für alle" gemeint, Blogs, Wikis, Soziale
Netzwerke wie Facebook oder der Microbloggingdienst Twitter. Anwendungen
für Gesichtserkennung finden sich eher im Web 3.0: dem Internet zum
Mitnehmen auf dem Smartphone.
Wenn man sich die Offline-Welt mithilfe von Technik mit Zusatzinformationen
anreichert, nennt man das "Augmented Reality". Schon heute ist es mit
manchen Handys zum Beispiel möglich, sich orten und anzeigen zu lassen,
welche Plätze - Restaurants, Parks, Treffpunkte - sich rund um den eigenen
Standpunkt befinden.
Gesichtserkennung würde diesen Aspekt um - nennen wir es - Augmented
Society erweitern: Zusatzinformationen über die Menschen, die sich in der
Umgebung befinden, anzeigen, zum Beispiel Social-Network-Profile der
betreffenden Person - Nie wieder peinliche Situationen wegen vergessener
Namen - wer schlecht Namen und Gesichter verknüpfen kann, dem würde mobile
Gesichtserkennung das Leben verschönern. JUS
Wir bemerken Besonderes, Computer lieben den Durchschnitt
Typisch an Gesichtern: Sie sind im Grundsatz oval und spiegelsymmetrisch.
Menschen erkennen auch übers Hören und Berühren, über den Geruch - und die
Mimik. Menschen erkennen andere Menschen an der Stimme und am
Kleidungsstil. Der Speicherplatz im Gehirn ist allerdings limitiert.
Kinder lernen sehr früh, das Muster "Gesicht" zu erkennen. Erwachsene
können hunderte unterschiedliche Gesichter erkennen und unterscheiden und
erkennen Schulfreunde auch nach Jahren noch zuverlässig.
Bei der Gesichtswahrnehmung kommt es aufs Teil und aufs Ganze an. Ein Blick
kann die Größe und die Form von Augen zielen - oder auf das Verhältnis
zueinander und ihre Lage im Gesicht. Was wichtiger ist, hängt von der
Auffälligkeit ab: Stechen große Ohren oder ein Sehfehler ins Auge, so
bleiben sie eher in Erinnerung. Die Nase wird generell besonders stark
wahrgenommen.
Doch auch die Gesamterscheinung ist wichtig: Stehen zwei gleiche Bilder von
Gesichtern auf dem Kopf, so sind sie kaum noch zu unterscheiden, selbst
wenn das eine an Mund und Nase verfremdet ist - Experiment
"Thatcher-Illusion".
Attraktive Menschen bleiben besser in Erinnerung. Von der Norm abweichende
Gesichter werden von Menschen besser erkannt - Computern hingegen fällt es
leichter, Durchschnittliches abzugleichen. JUS
Heute ist es möglich, mehr als 99 Prozent der Gesichter zu erkennen
Augen und Mund erkennt ein Computer mithilfe ihrer Symmetrie, auch erkennt
er den Rand des Gesichts. Mittels mathematischer Verfahren werden die
Gesichtsdaten korreliert, transformiert und in schlanken Formaten
abgespeichert. Diese Daten werden mit Beispielgesichtern unterschiedlicher
Merkmale (Hautfarbe, Geschlecht) verglichen. Mit einem solchen Verfahren
lassen sich auch Emotionen erkennen. Je mehr Merkmale, desto feiner die
Methode.
So schaffen es die Computer inzwischen, mehr als 99 von 100 Personen
richtig zu erkennen. Das ist so genau wie die Fingerabdruckbehandlung der
Kripo und besser, als ein durchschnittlicher Mensch Gesichter erkennt. Das
US-Institut "Nist" führt regelmäßig Wettbewerbe durch, bei dem die neuesten
Prototypen getestet werden. Diese verarbeiten immer mehr Pixel pro Gesicht.
Bis Mitte der Nullerjahre wurden die Gesichter in der Praxis
zweidimensional vermessen, also von vorne. Das machte die Verfahren
anfällig für Grimassen und verschattete Bilder. War das Gesicht mehr als 20
Grad relativ zur Kameraoptik verdreht, sank die Erkennungsrate dramatisch.
Inzwischen gibt es auch Verfahren, die einen Kopf in 3D erfassen. Sie
erkennen Gesichter auch von der Seite. Andere Algorithmen rechnen
automatisch die Lichtverhältnisse genauso heraus wie ein Lächeln. RME/JUS
Auch Diktatoren und Kriminelle können Technik nutzen
In Kombination mit einer hohen Kameradichte im umgebenden Raum und mit
einem autoritären Staat wird Gesichtserkennung gefährlich: Mit ihr ist es
möglich, das Individuum aus der Anonymität der Masse herauszuholen und
persönlich zu identifizieren. Das US-Militär hat, so ein Pentagon-Bericht,
Daten von mehr als 3 Millionen Afghanen in das seit 2004 existierende
"Automated Biometric Identification System" eingespeist.
Würden auch Techniken der Emotionserkennung eingesetzt, wäre dies
vergleichbar mit einem Lügendetektor. Deren Einsatz ist ohne Einwilligung
der Betroffenen nicht zulässig, stellte der Bundesgerichtshof fest.
Genauso beunruhigend wie eine flächendeckende Überwachung durch den Staat
ist die Vorstellung, dass Unternehmen uns in einem kommerzialisierten Web
3.0 je nach Aufenthaltsort persönlich maßgeschneiderte Werbung auftischen.
Dass Datensammler unsere Wege aufzeichnen und mit persönlichen Geo-Daten
Profit machen.
Die Rahmenbedingungen für den Einsatz von Gesichtserkennung müssen aus
diesen Gründen schleunigst diskutiert und gesetzlich reguliert werden,
fordern Politiker und Bürgerrechtler. Einspruch ist möglich: So scheiterten
die Berliner Verkehrsbetriebe mit ihrem Anliegen, einen Modellversuch zu
Gesichtserkennung zu starten, am Veto des Datenschutzbeauftragten. JUS
23 Apr 2010
## AUTOREN
Julia Seeliger
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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