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# taz.de -- Videoüberwachung in Niedersachsen: Ich sehe was, …
> Niedersachsen im Überwachungsrausch. 99 Prozent aller Videokameras im
> öffentlichen Raum werden rechtswidrig betrieben, klagt der
> Datenschutzbeauftragte.
Bild: Hannover, hier die City, wird von 42 Polizeikameras überwacht.
Es war die Nachricht des Tages: [1][Mehr als 99 Prozent] der in
Niedersachsen angebrachten Überwachungskameras verstoßen gegen
Datenschutzbestimmungen, das hatte der Landesdatenschutzbeauftragte Joachim
Wahlbrink am Dienstag verkündet. Von 3.345 von ihm überprüften Kameras
seien nur 23 korrekt betrieben worden.
Die Liste der Verstöße, die Wahlbrink herunterspulte, ist lang. Mal fehlten
Hinweisschilder auf die Videoüberwachung, mal wurde das aufgezeichnete
Material über Monate nicht gelöscht, dann wieder wurde ohne Scheu in
Wohnungen, Arztpraxen oder Anwaltsbüros hineingefilmt - technisch so
hochwertig, dass die abgelichteten Personen und ihre Handlungen detailliert
erkennbar waren. Umkleidekabinen mit Peep-Show-Effekt fanden sich in der
langen Liste des Datenschützers ebenso wie Haftzellen ohne toten Winkel, in
denen Gefangene nicht einmal ihre Notdurft unbeobachtet verrichten konnten.
Niedersachsen als Big Brother-Wonderland. Allein bei den Kommunen ist nach
Wahlbrinks Angaben die Zahl der Videokameras seit 2001 um 822 Prozent
gestiegen - von 54 auf 498. Trotz des rasanten Zuwachses an staatlich
betriebenen Kameras sei das Bewusstsein für Risiken und Gefahren einer
Videoüberwachung bei den öffentlichen Stellen "völlig unterentwickelt",
klagt Wahlbrink, der das Ergebnis seiner Studie als "überraschend und
niederschmetternd bewertet". Kopfzerbrechen bereitet dem
Datenschutzbeauftragten die "Ignoranz vieler Behörden" gegenüber seiner
Kritik. Sie belege, "dass es gar kein Unrechtsbewusstsein gibt".
Immerhin: Nach der Kritik des Datenschützers haben einzelne Behörden
zähneknirschend mit der Abrüstung der Kameras begonnen. "Wir haben sofort
einen Erlass an alle Justizvollzugsanstalten erteilt, eine unbewachte
Nutzung der Toilette in überwachten Zellen zu ermöglichen", gelobt das
Justizministerium Besserung. Und das Innenministerium, dem Wahlbrinks
Kritik vorab bekannt wurde, will bereits alle Mängel beseitigt haben und
die zu lang gelagerten Videosequenzen gleich mit. Laut Wahlbrink müssen
landesweit 71 Kameras, 121 Aufzeichnungsgeräte und 45 Attrappen abgebaut
oder abgeschaltet werden. Denn auch die Video-Placebos seien nicht ohne
Brisanz: Sie gaukelten Sicherheit vor, wo keine Sicherheit sei.
Die niedersächsischen Oppositionsparteien schlossen sich Wahlbrinks Kritik
an der maß- und gesetzlosen Videoüberwachung an. Die innenpolitische
Sprecherin der Linken, Pia Zimmermann, nannte die Mängelliste
"erschreckend" und sah sich in ihrer Ablehnung von Überwachungskameras
bestätigt. Der Innenexperte der Grünen, Ralf Briese, sprach von einem
deutlichen Alarmsignal, wenn sich Landesbehörden bei den
Überwachungsmaßnahmen im öffentlichen Raum "nicht an Recht und Gesetz
halten".
Allein die Polizei mochte sich der Argumentation des Landesdatenschützers
nicht anschließen. Sie sei schlicht "wirklichkeitsfremd", klagt Hannovers
Polizeisprecher Stefan Wittke. Kennzeichnungen auf den Straßen und Plätzen
seien in der Praxis nicht durchführbar, da die Kameras "riesengroße
Bereiche" abdeckten. Zudem gebe es in Niedersachsen gar keine
Kennzeichnungspflicht für Kameras. Und schließlich könne im Internet jeder
Interessierte sehen, wo es in Hannover Kameras gibt, behauptet Wittke.
Dass eine solche Haltung nicht überall auf Gegenliebe stößt, machten in der
Nacht zum Mittwoch Aktivisten der selbst ernannten "Militanten
Interventionsgruppe gegen Überwachung und Sicherheitsstaat" deutlich. Sie
haben - so ihr martialischer Sprachgebrauch - "in der Nacht auf den 21.
April die Staatsanwaltschaft Oldenburg mit Farbe angegriffen". Die
Farbbeutel-Aktion sei, so heißt es in einer Bekenner-E-Mail, "Antwort auf
die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens […] gegen diejenigen, die […]
zur öffentlichen Demontage der geplanten Überwachungskameras in der
Oldenburger Innenstadt aufrufen".
***
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21 Apr 2010
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## AUTOREN
Marco Carini
## TAGS
Schwerpunkt Überwachung
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