| # taz.de -- Technoszene über Loveparade: "Raver sind nicht bekloppt" | |
| > Die Protagonisten der Technoszene, Monika Kruse, WestBam und Anton Waldt, | |
| > über das Desaster in Duisburg, die Verurteilung der Raver und die | |
| > Schlamperei der Organisatoren. | |
| Bild: Erinnerung an die Toten auf dem Partygelände. | |
| Monika Kruse hat am Samstag zur Loveparade aufgelegt | |
| "Als ich aufgelegt habe, zwischen 17.20 Uhr und 17.40 Uhr, war noch nichts | |
| bekannt von dem Unglück. Es hieß, es gibt Probleme, mehr nicht. Wir sind | |
| sehr abgeschottet auf das Gelände gefahren worden, über den Tunnel rüber, | |
| wir mussten da nicht durch und ich hab ihn nur von oben gesehen. Es war | |
| wahnsinnig eng und es war wirklich extrem voll überall. Als ich wieder | |
| rausgefahren wurde, hat mir der Fahrer gesagt, dass es zehn Tote gibt. Ich | |
| war und bin immer noch schockiert. Ich habe dann die Krankenwagen gesehen | |
| und Leichensäcke. | |
| Das Schlimmste ist, dass man es wohl vorher hätte wissen und verhindern | |
| können. Ich habe von den Warnungen nichts mitbekommen. Man geht dahin zu so | |
| einer Veranstaltung und denkt, das ist wie immer, ein offenes Gelände. Es | |
| wussten ja alle, dass da bis zu 1,5 Millionen Menschen kommen würden, da | |
| kann man doch nicht zusperren. In Berlin wurde die Loveparade ja auch wegen | |
| Sicherheitsbedenken umgelegt, vom Ku'damm in den Tiergarten. Das fanden | |
| zwar nicht alle gut, aber es war natürlich absolut sinnvoll. Und dass jetzt | |
| in Duisburg, um das Image der Stadt aufzupeppen, solche Sicherheitsfragen | |
| einfach außer Acht gelassen wurden, ist wirklich unglaublich. Ich sehe die | |
| Verantwortung ganz klar bei der Stadt und dem Veranstalter. Und bei der | |
| Polizei. | |
| Ich habe Leute über die Zäune klettern sehen und dachte, ja, so ist das | |
| eben bei solchen Veranstaltungen. Wenn ich aber jetzt auf Bildern sehe, | |
| dass da Menschen von außen gegen die Zäune gedrückt haben und innen Panik | |
| herrschte, dann kann ich nicht verstehen, dass da nicht eingegriffen wurde. | |
| Es ist auf alle Fälle richtig, dass die Loveparade nicht mehr stattfinden | |
| wird, das wäre Leichenfledderei. | |
| Ich weiß nicht, ob ich noch hätte weiter spielen können, nachdem klar war, | |
| dass es Tote gegeben hat. Vermutlich hätte ich es nicht gekonnt. Es war | |
| wohl die einzig sinnvolle Möglichkeit, die Veranstaltung weiterlaufen zu | |
| lassen, um Schlimmeres zu verhindern. | |
| So was kann letztlich bei jeder Veranstaltung passieren, auch den Wildecker | |
| Herzbuben. Das hat nichts mit der Szene zu tun. Die Szene lebte schon lange | |
| nicht mehr von der Loveparade. Dass es die Parade jetzt nicht mehr geben | |
| wird, ist für die Szene nicht entscheidend, dafür war es in den letzten | |
| Jahren schon zu schwierig geworden, viele hatten sich ja schon abgewandt, | |
| weil sie zu groß und zu kommerziell geworden sei. | |
| Ich konnte mir am Sonntag keine Nachrichten anschauen, und auch jetzt fällt | |
| es mir sehr schwer, die Bilder zu ertragen. Ich versuche, meinen Respekt | |
| den Betroffenen gegenüber zu zeigen, aber das ist schwer. Ich trauere." | |
| Monika Kruse ist DJane und Labelbesitzerin in Berlin. | |
| Protokoll: Frauke Böger | |
| *** | |
| WestBam sagte seinen Auftritt ab | |
| "Ich bin immer noch im Schockzustand. Zur Loveparade nach Duisburg kam ich | |
| direkt aus dem Urlaub, mein Flug hatte drei Stunden Verspätung. Als ich | |
| mein Handy nach der Landung wieder angemacht habe, hatte ich schon 30 SMS | |
| bekommen, die mich über das Fürchterliche informierten. Der Musikchef | |
| wollte mich dann überreden, doch aufzulegen. Auch die Polizei hatte die | |
| Parole ausgegeben: The show must go on. So sollte noch größeres Unglück | |
| vermieden werden. | |
| Aber ich fand es extrem geschmacklos, in so einer Situation weiter Stimmung | |
| zu machen. Ich hatte überhaupt keine passende Musik dabei, sondern nur sehr | |
| energetische Tracks. Deshalb bin ich gar nicht erst aufs Gelände gefahren. | |
| Ich bin kein Sicherheitsfachmann. Man muss auch vorsichtig sein mit | |
| vorschnellen Urteilen. Aber wenn man ein Areal für 300.000 Menschen hat, zu | |
| dem es nur einen Tunnelzugang gibt, durch den angeblich 1,2 Millionen | |
| Menschen strömen, klingt das sehr gefährlich. Andererseits muss man sagen, | |
| dass auch bei der Loveparade in Berlin nicht immer alles hundertprozentig | |
| sicher war. | |
| Teilweise ist es einfach Glück, dass bei Massenveranstaltungen nichts | |
| passiert. Den Veranstalter Rainer Schaller halte ich nicht für einen | |
| schlechten Menschen. Dass er wie alle zutiefst betroffen ist, nehme ich ihm | |
| ab. Er mag vielleicht manchmal va banque spielen. Dass er nun das Aus der | |
| Loveparade verkündete, war das Beste, was er machen konnte. Die Loveparade | |
| ist definitiv vorbei." | |
| WestBam ist einer der ersten deutschen Techno-DJs und wollte auf der | |
| diesjährigen Loveparade sein letztes DJ-Set absolvieren. | |
| Protokoll: Matthias Lohr | |
| *** | |
| Anton Waldt sah die Loveparade im Internet | |
| Es gibt natürlich keinen ursächlichen Zusammenhang zwischen der Katastrophe | |
| bei der Loveparade in Duisburg und den kulturellen Phänomenen "Techno" oder | |
| "Rave". Denn das Desaster geht nicht auf die Eigenheiten der hier | |
| zelebrierten Kultur zurück, sondern auf organisatorisches Versagen, das | |
| sich auch bei einem Death-Metal-Festival, einem Megaevent der Volksmusik | |
| oder einer Sportveranstaltung hätte ereignen können. | |
| Auch auf der symbolischen Ebene bedeutet die Tragödie der Love Parade | |
| nichts, Duisburg ist also nicht "das Altamont der Techno-Szene", wie | |
| Spiegel Online am Montag forsch titelte. Denn anders als beim "Altamont | |
| Free Concert" gab es in Bezug auf die Loveparade schon lange keine | |
| Illusionen mehr, die durch die Katastrophe nun zerstört wären. Die Analogie | |
| zum Festival von 1969, bei dem die Hippies symbolisch ihre Unschuld | |
| verloren, ist im besten Fall an den Haaren herbeigezogen, eher aber | |
| schlicht unangemessen angesichts der 20 Toten und knapp 500 Verletzten von | |
| Duisburg. | |
| Denn dass die Loveparade schon lange eine von kommerziellen Interessen | |
| dominierte Veranstaltung ist, wussten auch die diesjährigen Besucher, und | |
| wer "den Ravern" anderes unterstellt, erklärt sie für bekloppt und | |
| tendenziell irgendwie selbst schuld. Auf den unappetitlichen Punkt gebracht | |
| wurde dieses Deutungsschema von der Ex-Tagesschau-Sprecherin Eva Herman, | |
| die fabulierte, dass hier "ganz andere Mächte mit eingegriffen" haben | |
| könnten, "um dem schamlosen Treiben endlich ein Ende zu setzen". Dem | |
| gleichen Muster - wenn auch deutlich abgeschwächt - folgt die | |
| TV-Berichterstattung nach der Katastrophe, in der teilweise so penetrant | |
| von "Ravern" die Rede war, dass sich der Eindruck aufdrängen musste, es | |
| handele sich dabei um einen ganz besonderen Menschenschlag, der für ein | |
| bisschen Spaß routiniert auch die eigene körperliche Unversehrtheit aufs | |
| Spiel setzt. | |
| In dieser Logik musste "so was" dann wohl früher oder später passieren. | |
| Andersrum formuliert, aber wiederum demselben Muster folgend, hört sich das | |
| Klischee vom hirnlosen Raver dann so an: "Das ist vielleicht die einzige | |
| gute Nachricht von diesem Wochenende in Duisburg: dass der kommerzielle | |
| Massenwahn keine Zukunft hat", so das Fazit einer Spiegel TV-Reportage. | |
| Aber es war eben kein "Wahn" spaßfixierter "Raver", der die verheerende | |
| Massenpanik auslöste, sondern nur ganz normale Schlamperei bei der | |
| Durchführung einer Großveranstaltung - ein ähnliches Desaster beim Public | |
| Viewing zur WM könnte wohl kaum auf den "Fußballfanatismus der deutschen | |
| Fans" zurückgeführt werden. | |
| Anton Waldt ist Chefredakteur von "De:Bug, Magazin für elektronische | |
| Lebensaspekte" | |
| Text: Anton Waldt | |
| 27 Jul 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Frauke Böger | |
| Matthias Lohr | |
| Anton Waldt | |
| ## TAGS | |
| DJ | |
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