# taz.de -- Regierungsvertrag mit Atomindustrie: Weniger Sicherheit für mehr G… | |
> Für die Opposition "ein schmutziger Deal": In einem nun aufgetauchten | |
> Vertrag mit der Bundesregierung sichern sich die AKW-Betreiber gegen | |
> teure Nachrüstungen ab. | |
Bild: Wo die Atomenergie herkommt: Blick in einen geöffneten Reaktordruckbehä… | |
BERLIN taz | Am Morgen hatte Linksfraktionschef Gregor Gysi noch von einem | |
"Anschlag auf die Demokratie" gesprochen, Grüne und SPD hatten mit Klagen | |
gedroht. Denn zuvor war bekannt geworden, dass die Regierung bereits einen | |
detaillierten Vertrag mit den Energiekonzernen geschlossen hat, diesen aber | |
geheim halten wollte. Bekannt war zunächst nur, dass die Konzerne sich im | |
Gegenzug für die längeren Laufzeiten zur Einzahlung in einen Förderfonds | |
für erneuerbare Energien verpflichten - und dass diese Summe je nach | |
Entwicklung von Inflation und Strompreis auch höher sein könnte als die | |
bisher genannten 15 Milliarden Euro. | |
Die Regierung zögerte zunächst mit der Veröffentlichung, | |
Unionsfraktionschef Volker Kauder verwies auf "Geschäftsgeheimnisse der | |
Energieerzeuger", die davon betroffen sein könnten. Als der Vertrag dann am | |
frühen Abend der taz und anderen Medien doch bekannt wurde, war schnell | |
klar, warum die Regierung das Werk zunächst geheim halten wollte: Die | |
Konzerne sichern sich darin gegen teure Nachrüstungen ihrer Atomkraftwerke | |
ab und verlagern die Kosten auf den Bund. | |
Sofern "ab dem 6. September 2010 gestellte Nachrüstungs- oder | |
Sicherheitsanforderungen einen Gesamtbetrag von 500 Millionen Euro für das | |
betreffende KKW überschreiten", wird dieser Betrag von den für die | |
Ökoförderung vorgesehenen Geldern abgezogen. Umweltminister Norbert Röttgen | |
bringt das in eine Zwickmühle: Wenn er auf teuren Nachrüstungen besteht, | |
würde die Bundesregierung weniger Geld von den Konzernen bekommen. | |
"Jetzt wird deutlich, warum dieser Vertrag geheim bleiben sollte. Das sieht | |
nach einem sehr schmutzigen Deal aus", kommentierte Bärbel Höhn, | |
Vizefraktionsvorsitzende der Grünen. "Die Bundesregierung hat sich die | |
Sicherheit der AKW für Geld abkaufen lassen." Bundesumweltminister Röttgen | |
war ursprünglich von Nachrüstungskosten von 1,2 Milliarden Euro pro Meiler | |
ausgegangen. Wenn er auf dieser Summe bestehen würde, bliebe dem Vertrag | |
zufolge von den geplanten 15 Milliarden Euro für den Ökofonds nur noch 3 | |
Milliarden übrig. | |
Auch an anderer Stelle sichern sich die Unternehmen ab: Sofern die geplante | |
Kernbrennstoff-Steuer, die von 2011 bis 2016 erhoben werden soll, erhöht | |
oder verlängert wird oder "wenn eine anderweitige Steuerabgabe oder | |
sonstige Belastung" eingeführt wird, dürfen die Unternehmen diese ebenfalls | |
von ihren zugesagten Zahlungen abziehen. Zudem ist die Brennelemente-Steuer | |
noch keineswegs gesichert: In der Vereinbarung behalten sich die | |
Stromkonzerne ausdrücklich das Recht vor, gegen die neue Steuer zu klagen. | |
Die Oppositionsparteien hatten zuvor massiv auf eine Veröffentlichung der | |
Vereinbarung gedrängt, die Anti-Korruptions-Organisation Transparency | |
International stellte beim Bundeskanzleramt nach dem | |
Informationsfreiheitsgesetz einen Antrag auf Akteneinsicht. | |
Transparency-Vorsitzende Edda Müller: "Demokratie heißt, auch umstrittene | |
Fragen öffentlich durch die Volksvertreter entscheiden zu lassen." Die | |
Regierung aber pflege mit den Energiekonzernen eine "Intimität im Umgang | |
miteinander, die souveräne Politik unmöglich macht". | |
Es handele sich nur um eine "Vorvereinbarung", ein "Eckpunktepapier", heißt | |
es bei RWE. "Wir mussten sicherstellen, dass die Milliardenzahlungen der | |
Energieversorger auch wirklich fließen", lässt das Kanzleramt verlauten. Es | |
gehe um freiwillige Beiträge, die die Atombetreiber RWE, Eon, Vattenfall | |
und EnBW von 2017 an im Gegenzug für längere Laufzeiten zur Förderung von | |
Ökoenergien zahlen solle. Diese sollen sowohl an die Entwicklung der | |
Strompreise als auch an die Inflationsrate gekoppelt werden. Damit könnte | |
der Staat mehr als die bisher genannten rund 30 Milliarden Euro von den | |
Konzernen kassieren. | |
Ursprünglich wollte die Regierung von der Vereinbarung kein großes Aufheben | |
machen. Die Kanzlerin und ihre Minister verschwiegen sie in ihren | |
Pressekonferenzen. Erst Greenpeace machte die Existenz des Abkommens | |
öffentlich, nachdem sich RWE-Vorstand Rolf Martin Schmitz bei einer | |
Diskussion darauf bezogen hatte. | |
9 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
H. Gersmann | |
M. Kreutzfeldt | |
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