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# taz.de -- Kommentar Atom-Geheimverträge: Herr und Diener
> Die geheimen Atomverträge sind ein Politik-Skandal, der nicht vergessen
> werden darf. Denn es geht nicht nur um den Atomkonsens – es geht um
> Demokratie.
Erst verschweigen, dann ertappt werden, schließlich mit der Wahrheit peu à
peu rausrücken - die Geheimverträge, in denen die Regierung den
Atomkonzernen großzügige Schutzklauseln zugesteht, sagen viel über das
schwarz-gelbe Politikversagen aus: Die Manager schreiben der Regierung die
Entscheidungen ins Merkheft.
Sicher, die großen Tageszeitungen widmeten dem Atomgeschäft am Freitag ihre
Titel - "Industrie diktiert Gesetz" oder "Merkel schützt Atomindustrie".
Aber der Bild-Zeitung war das alles keinen Aufmacher wert. Als es hingegen
um den Umgang mit dem rechtslastigen Thilo Sarrazin ging - Titel "Das wird
man ja wohl noch sagen können" - hatte sie sich noch als Stimme des Volkes
gegeben. Laut einer ZDF-Umfragen vom Freitag sind gut 60 Prozent der
Bevölkerung dagegen, die Reaktoren länger am Netz zu lassen. Das
entgegengesetzte Diktat der Industrie - offenbar kein Grund zur Empörung.
Wer das Volk ist und was es will, wird eben von Fall zu Fall entschieden.
Dabei ist die Geschichte, wie der Deal aufflog, so einmalig wie
bezeichnend. Ein RWE-Manager verplappert sich auf einem Kongress, genervt
von den Fragen eines Greenpeacers, wer denn garantiere, dass die Konzerne
von ihren Milliardengewinnen durch Laufzeitverlängerungen dem Staat auch
etwas abgäben. Die Vereinbarung sei längst unterzeichnet, am Montag in der
Frühe "um 5.23" platzt es aus ihm heraus. Das war nur wenige Stunden
nachdem die Koalition festgezurrt hatte, dass Atomkraftwerke mindestens
noch bis zu dreißig Jahre laufen. Der Manager zeigt mit dem Finger auf den
Umweltstaatssekretär Becker und sagt dann diesen Satz: "Auch Sie, Herr
Staatssekretär, haben wir ja dafür noch mal aus dem Bett geholt." Der
Manager agiert, der Politiker schläft.
Mag sein, dass man von der selbst ernannten schwarz-gelben "Gurkentruppe"
nichts anderes erwarten kann. Es ist bekannt, dass die Energiemanager einen
engen Kontakt zum Kanzleramt pflegen, dass die schwarz-gelbe Koalition zwar
angeblich die Mittelständler fördern will, aber tatsächlich lieber mit
Großkonzernen kuschelt. Doch so unverhohlen hat bisher kaum einer klar
gemacht, wer der Herr und wer der Diener ist im Berliner Regierungsviertel.
Schwarz-Gelb braucht noch nicht mal eine ausgefeilte Kommunikationskampagne
um seine ungerechte Politik - Atomkonzernen geben, Hartz-IV-Empfängern
Bezüge nehmen - zu kaschieren. Gewiss, es gab Ansätze. Die Kanzlerin
erzählte, mit der Laufzeitverlängerung käme die "Energierevolution" (sie
bremst Ökoenergien, weil der Atomstrom die Leitungen verstopft), es gäbe
billigen Strom (wahrscheinlicher ist ein Preisanstieg, wenn nur vier
Atomkonzerne den Markt beherrschen), und erstmals sei die Energiepolitik
wissenschaftlich basiert (die von der Regierung bestellten Gutachter wurden
von RWE und Eon bezahlt).
Spätestens jetzt müsste auch der noch so Gutgläubige ins Rätseln kommen.
Warum verbergen die Kanzlerin und ihre Minister einen Vertrag mit den
Atomkonzernen, wenn sie angeblich das Beste für die Bürger herausgeholt
haben? Warum hintergehen sie die Wähler? Dies ist ein politischer Skandal,
der nicht vergessen werden darf. Dabei ist unerheblich, dass Merkels
Mannschaft aus ihrer Atomliebhaberei von vorgestern nie einen Hehl gemacht
hat. Ja, Laufzeitverlängerungen waren von ihr zu erwarten. Ja, sie lässt es
kalt, dass keiner weiß, wo der giftig strahlende Atommüll gelagert werden
soll. Und natürlich nimmt sie es mit der Sicherheit in den Pannenreaktoren
nicht so genau.
Doch das Ganze hat auch ein Gutes: So viel Bürgerbewegung wie jetzt war
lange nicht mehr. Die Antiatombewegung erlebt ein Revival. In den letzten
Jahren hieß es, kaum einer interessiere sich noch für Politik, allen sei
alles scheißegal. Das war schon damals nur die halbe Wahrheit. Jetzt gehen
jedenfalls die alten, die schon vor Jahren einmal "Atomkraft, nein
danke"-Buttons! trugen, zusammen mit einer neuen Protestgeneration auf die
Straße. Eine echte und mächtige Massenbewegung ist das aber noch nicht. In
Deutschland neigt man anders als etwa in Frankreich nicht so schnell zum
Generalstreik. Schade eigentlich, denn hier geht es nicht nur um die Frage
pro oder contra Laufzeitverlängerung. Hier geht es um die Demokratie.
10 Sep 2010
## AUTOREN
Hanna Gersmann
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