# taz.de -- Beschlossene Laufzeit-Verlängerung: Kommunale Versorger drohen | |
> Nach der Einigung auf längere Laufzeiten für AKWs sehen sich die | |
> kommunalen Versorger in ihrer Existenz bedroht. Sie wollen | |
> Ausgleichszahlungen von der Regierung. | |
Bild: Atomkraftwerke bleiben erst mal noch am Netz, die geplante Ökostrom-Vers… | |
Die Stadtwerke München wollen bis 2015 alle 800.000 Privathaushalte der | |
bayerischen Landeshauptstadt mit Ökostrom versorgen. Bis 2025 soll der | |
gesamte Münchener Strombedarf so gedeckt werden. Ähnliche Pläne, wenn auch | |
oft in kleinerem Umfang, hat das Gros der 900 Stadtwerke in Deutschland. | |
Seit die Bundesregierung Sonntagnacht beschlossen hat, die Atomkraftwerke | |
bis zu 30 Jahre länger laufen zu lassen, stehen die Projekte allerdings in | |
Frage. Das will nicht jeder hinnehmen. | |
Am Dienstag sagte Petra Roth, Frankfurter Oberbürgermeisterin und | |
Präsidentin des deutschen Städtetages, der taz: "Die Stadtwerke brauchen | |
einen finanziellen Ausgleich, die Wirtschaftlichkeit der Investitionen ist | |
gefährdet." Kurt Kuhn ist Geschäftsführer der Stadtwerke Lübeck und spricht | |
für einen Zusammenschluss von 150 kommunalen Stromanbietern. Er sagte der | |
taz: "Wir prüfen eine Schadenersatzklage gegen die Regierung." | |
Opposition und Atomkritiker haben der Regierung wegen der | |
Laufzeitverlängerung "Käuflichkeit" oder "Einknicken gegenüber der | |
Atomlobby" vorgeworfen. Finanzielle Forderungen aber sind neu. Kuhn | |
erklärt: "Wir haben im Vertrauen auf den Atomausstieg unsere | |
Wirtschaftlichkeitsberechnungen gemacht und investiert." Er beruft sich | |
darauf, dass Unternehmer Entschädigungen einklagen können, ändert der | |
Gesetzgeber die Rahmenbedingungen in unverhältnismäßig kurzer Frist. | |
Viele kommunale Versorger sind in die Stromproduktion eingestiegen, als SPD | |
und Grüne vor zehn Jahren beschlossen, bis 2023 alle Reaktoren | |
abzuschalten. Nun drohen "Milliardenverluste", sagt Kuhn, die Kommunen | |
müssten um die Auslastung ihrer Kraftwerke fürchten. Das betrifft nicht nur | |
Windräder oder Photovoltaikanlagen. Kuhns Unternehmen baut zum Beispiel | |
auch mit an dem umstrittenen konventionellen Kohlekraftwerk in Lünen. | |
Andere Stadtwerke haben in moderne Gaskraftwerke investiert oder in die | |
Kraft-Wärme-Kopplung, die als sehr effizient gilt. Die Stadtwerke hofften | |
sich am Markt zu etablieren. | |
Die Laufzeitverlängerung führe nun zum Gegenteil, sagt Ronald Heinemann vom | |
Bundesverband Erneuerbare Energien. Sie "zementiert" die Marktmacht der | |
vier großen Stromkonzerne. Kaum einer werde noch investieren, wenn die | |
Atomkraft die Stromleitungen verstopfe. Dabei schreibt die Koalition im | |
neuen Energiekonzept selbst: das "Strommarktdesign der Zukunft" müsse im | |
"Kern marktwirtschaftlich ausgerichtet sein". Berücksichtigt hat sie das | |
aber nicht, kritisiert auch der Chef des Bundeskartellamts, Andreas Mundt. | |
RWE, Eon, Vattenfall und EnBW sollen mit ihren abgeschriebenen Reaktoren in | |
den nächsten Jahren milliardenschwere Gewinne machen können, davon aber | |
nicht einmal die Hälfte an den Staat abgeben. Das ändert nichts am Oligopol | |
der vier Atomkonzerne, die 80 Prozent des deutschen Strommarkts beherrschen | |
- und die Politik. Kanzlerin Angela Merkel hatte sich noch Sonntagabend, | |
als die Spitzen der Regierung den Atomplan ausgehandelt haben, mit den | |
Chefs der vier Stromkonzerne telefonisch beraten. | |
Die kommunalen Versorger fühlen sie übergangen. Sie wollten mit einer Klage | |
aber noch warten, sagt Kuhn - "vielleicht stoppen die Länder die | |
Laufzeitverlängerungen noch über den Bundesrat". Merkel sagte am Dienstag | |
nur: "Wir werden mit den Stadtwerken natürlich im Gespräch bleiben." | |
7 Sep 2010 | |
## AUTOREN | |
Hanna Gersmann | |
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