# taz.de -- Streit um "Stuttgart 21": Vom Volkszorn zur Volksabstimmung | |
> Laut Landesverfassung möglich, ohne Mitwirkung der CDU jedoch kaum | |
> durchsetzbar: Die Gegner von "Stuttgart 21" wollen einen Volksentscheid - | |
> noch vor der Landtagswahl 2011. | |
Bild: "Bald sind Landtagswahlen": Teilnehmer der 48. Montagsdemonstration gegen… | |
"Das Volk soll über ,Stuttgart 21' abstimmen" - diese Forderung eint die | |
Gegner des neuen Bahnhofs mit der SPD, die bisher noch an dem umstrittenen | |
Projekt festhält. Gegen ein Referendum sind aber CDU und FDP. | |
Anders als das Grundgesetz sieht die Landesverfassung Baden-Württemberg die | |
Möglichkeit zu Volksbegehren und Volksentscheiden vor. Allerdings sind die | |
Hürden so hoch wie sonst nirgends. Um überhaupt eine Abstimmung über | |
"Stuttgart 21" zu erreichen, müsste ein Sechstel der Wahlberechtigten, also | |
1,28 Millionen Menschen, binnen zwei Wochen auf ihren Rathäusern den Antrag | |
unterschreiben. Diese Hürde ist so hoch, dass es in Baden-Württemberg noch | |
nie einen landesweiten Volksentscheid gab. | |
Die SPD hat nun einen Passus in der Verfassung entdeckt, der eine | |
Volksabstimmung auch ohne Volksbegehren erlaubt (Artikel 60 Absatz 3). | |
Dabei kann das Volk über einen Gesetzentwurf der Regierung abstimmen, der | |
vom Landtag abgelehnt wurde. Problem dabei: Der Dissens zwischen Regierung | |
und Landtag müsste fingiert werden, das Ganze wäre also extrem unelegant. | |
Konkret stellen sich die Sozialdemokraten das Verfahren folgendermaßen vor: | |
Die schwarz-gelbe Landesregierung bringt (entgegen ihrer Überzeugung) einen | |
Gesetzentwurf zum Ausstieg aus "Stuttgart 21" in den Landtag ein. Dieser | |
würde mit den Stimmen von CDU, FDP und SPD abgelehnt, weil diese Fraktionen | |
für das Bahnhofsprojekt sind. Dann würden die SPD und die Grüne zusammen | |
einen Volksentscheid beantragten, der dann durchgeführt werden müsste. | |
Justizminister Ulrich Goll (FDP) hat schon erklärt, dass er das Spiel nicht | |
mitspielen wird. Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) war vorsichtiger und | |
ordnete erst mal eine rechtliche Prüfung der Zulässigkeit an. Gutachter | |
sind der ehemalige Verfassungsrichter Paul Kirchhof und der Rechtsanwalt | |
Peter Dolde. Das Ergebnis der Prüfung wird Mappus vermutlich am Donnerstag | |
im Landtag bekanntgeben. | |
Dass das Gutachten negativ ausgeht, gilt als sicher, denn Dolde hat für die | |
Landesregierung schon öfter derartige Gutachten verfasst. Der Verein Mehr | |
Demokratie e. V. bezeichnete Dolde als "Auftragskiller für Bürgerbegehren". | |
Ebenfalls am Donnerstag wird im Landtag über einen gemeinsamen | |
Gesetzentwurf von SPD und Grünen debattiert, der Volksabstimmungen in | |
Baden-Württemberg generell erleichtern will. Statt 16,6 Prozent der | |
Wahlberechtigten, sollen 5 Prozent (375.000 Personen) für den Antrag auf | |
eine Abstimmung genügen. Für die Unterschriftensammlung sollen statt zwei | |
Wochen künftig sechs Monate Zeit sein. Dabei soll auch die Straßensammlung | |
möglich sein. Da für eine Verfassungsänderung jedoch eine | |
Zweidrittelmehrheit erforderlich ist, ist auch dieser Weg derzeit | |
unrealistisch, jedenfalls solange die CDU nicht mitmacht. | |
Bleibt also das Warten auf die Landtagswahl. Dann könnte eine mögliche | |
rot-grüne Mehrheit einen Volksentscheid herbeiführen. Bundeskanzlerin | |
Angela Merkel hat die Wahl bereits zur Bürgerbefragung über die Zukunft von | |
"Stuttgart 21" erklärt. Allerdings dürfte "Stuttgart 21" im März faktisch | |
und rechtlich so weit fortgeschritten sein, dass es kaum noch mit | |
vertretbarem finanziellen Aufwand umzukehren ist. | |
Ein weiteres Problem stellt bei allen Vorschlägen für einen Volksentscheid | |
auch der Inhalt eines möglichen Ausstiegsgesetzes dar. Ob das Land per | |
Gesetz zum Kündigen von Verträgen verpflichtet werden kann, ist umstritten. | |
Im Kleinen hat sich eine ähnliche Frage bereits auf kommunaler Ebene | |
gestellt. 67.000 Stuttgarter wollten per Bürgerentscheid erreichen, dass | |
Stuttgart aus dem Bahnhofsprojekt aussteigt. | |
Die Stadtverwaltung hielt den Bürgerentscheid jedoch für unzulässig. Das | |
Verwaltungsgericht Stuttgart bestätigte dies im Juli 2009. Ein | |
Bürgerbegehren, das auf die Kündigung von Verträgen zielt, widerspreche der | |
Rechtsordnung, so die Richter. Auf Landesebene mag das aber anders | |
aussehen, weil per Volksentscheid ja ein Gesetz beschlossen würde, dass | |
dann selbst Teil der Rechtsordnung wäre. | |
4 Oct 2010 | |
## AUTOREN | |
Christian Rath | |
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