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# taz.de -- Streit um Stuttgart 21: "Bei uns entscheiden nur Parlamente"
> Der Ton im Streit über das Bahnhofsprojekt verschärft sich. Grüne und
> Unionspolitiker machen sich gegenseitig heftige Vorwürfe. Doch die Gegner
> lassen sich nicht abschrecken.
Bild: Kleiner Protest: Ein Mädchen beobachtet die Arbeiten im Schlossgarten.
Nach der Eskalation der Gewalt am vergangenen Donnerstag hat sich der
Streit über das Bahnhofsprojekt "Stuttgart 21" verschärft. Vor allem CDU-
und Grünen-Politiker attackierten sich am Wochenende gegenseitig. Bahnchef
Rüdiger Grube sprach den Demonstranten ein Recht auf Widerstand gegen das
Projekt ab.
Das Projekt "Stuttgart 21" sieht den Umbau des Kopfbahnhofs in eine
unterirdische Station mit Anbindung an eine neue ICE-Strecke nach Ulm vor.
Mit Wasserwerfern und Pfefferspray war die Polizei am Donnerstag gegen
Gegner des Projekts vorgegangen, darunter auch viele Schüler und ältere
Menschen, um einen Teil des Schlossgartens abzusperren und mit dem
Bäumefällen beginnen zu können. Seitdem versuchen Landesregierung und
Polizei den massiven Einsatz mit der Behauptung zu rechtfertigen, die
Demonstranten seien gewalttätig vorgegangen.
Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) griff besonders hart die Grünen an -
und erhielt dabei Unterstützung auch von Berliner Unionspolitikern wie Karl
Theodor zu Guttenberg (CSU). Der Welt am Sonntag sagte Mappus, die Partei
helfe, "eine außerordentliche Opposition zu organisieren, die so tut, als
ob wir in einer Diktatur leben". Es sei kein Zufall, dass der Protest ein
halbes Jahr vor der Landtagswahl hochgepusht werde.
Bahnchef Grube ging am Wochenende so weit, dass er den Gegnern die
Legitimation für ihre Proteste absprach. "Ein Widerstandsrecht gegen einen
Bahnhofsbau gibt es nicht", sagte er der Bild am Sonntag. Und noch
deutlicher: "Bei uns entscheiden Parlamente, niemand sonst." Darauf
reagierten die Gegner mit scharfer Kritik. Gangolf Stocker vom
Aktionsbündnis gegen Stuttgart 21 sagte, über das Widerstandsrecht bestimme
immer noch das Grundgesetz und nicht der Bahnchef. Im Gespräch, aber noch
keine beschlossene Sache sei nun ein überregionaler Boykott: ein "Tag ohne
Bahn".
Grünen-Chef Cem Özdemir hatte Mappus zunächst sogar vorgeworfen, der
Ministerpräsident wolle Blut sehen. Für diese Aussage entschuldigte sich
Özdemir zwar, legte aber trotzdem nochmal nach. "Wer auf ältere Damen und
Kinder einprügeln lässt, hat jedes Recht auf den Anspruch eines
christlichen Landesvaters verwirkt", so Özdemir in der Passauer Neuen
Presse.
Unter enormen Druck steht auch Landesinnenminister Heribert Rech (CDU) -
wie sehr, davon zeugen seine eigenen verwirrenden Aussagen vom Wochenende.
"Wenn die Polizei unverhältnismäßig gehandelt hat, dann muss das natürlich
auch Konsequenzen haben. Da scheue ich mich persönlich vor keinerlei
Konsequenzen, auch wenn ich den Einsatz von Wasserwerfern nicht angeordnet
habe", hatte er zunächst im Deutschlandfunk gesagt. Später stellte das
Innenministerium klar, dass Rech einen Rücktritt ausschließe.
Inzwischen wurde bekannt, dass das zuständige Eisenbahn-Bundesamt Zweifel
an der Baumfällaktion angemeldet hatte. Diese bezogen sich darauf, dass im
Schlossgarten der seltene Juchtenkäfer vorkommen soll. Am Donnerstag hatte
die Behörde in einem Schreiben die Bahntochter DB Projektbau aufgefordert,
das weitere Vorgehen vor dem Fällen der Bäume aus Naturschutzgründen mit
dem Regierungspräsidium Stuttgart, der Bezirksstelle für Naturschutz und
Landschaftspflege Stuttgart und dem Bundesamt abzustimmen. "Das
Eisenbahn-Bundesamt hat keinen Stopp der Fällarbeiten verfügt", sagte dazu
eine Bahnsprecherin am Wochenende. Wenige Stunden vor Beginn der Rodung am
Freitagmorgen hätten noch Gespräche stattgefunden, in denen offene Fragen
geklärt worden seien.
Die Gegner des Großprojekts antworteten ihrerseits am Freitagabend auf den
massiven Polizeieinsatz vom Vortag: Laut Veranstalter eroberten rund
100.000 Demonstranten den Schlossgarten auf friedliche Weise zurück, die
Polizei sprach von 50.000 Teilnehmern. Auf der Kundgebung ging Florian
Toniutti von der Jugendoffensive Stuttgart auf die Vorwürfe ein, die
Schüler hätten ihre Marschroute am Donnerstagvormittag verlassen. "Wir
wollten nicht durch Stuttgart laufen, während unser Park verwüstet wird",
sagte er. Auf die Frage, was die Schüler im Park zu suchen gehabt hätten,
erwiderte der 25-Jährige selbstbewusst mit einer Gegenfrage: "Was hat die
Polizei im Park zu suchen? Das ist unser Park!" Die Jugendlichen hätten
durch die Ereignisse "mehr fürs Leben gelernt, als wir es jeden Tag im
Mathe-Unterricht getan hätten".
Nach der etwa eineinhalbstündigen Kundgebung und einem Demozug durch die
Innenstadt feierten im Schlossgarten noch viele S-21-Gegner bis tief in die
Nacht. Für den heutigen Montag ist die nächste Demo angekündigt.
3 Oct 2010
## AUTOREN
Nadine Michel
## TAGS
Schwerpunkt Stuttgart 21
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