# taz.de -- US-Politologe über Ergebnisse der US-Wahl: "Obama fehlt das Mitgef… | |
> Sechs, setzen? Barack Obama ist bei den Wahlen abgestraft worden. Was der | |
> US-Präsident künftig besser machen muss, erklärt der US-Politologe Robert | |
> Guttman. | |
Bild: Ein Enttäuschter, der enttäuscht hat: US-Präsident Barack Obama. | |
taz: Herr Guttman, leiden Sie als Demokrat mit Barack Obama? | |
Robert Guttman: Es war eine historische Nacht, eine historische Wahl. | |
Deswegen leide ich als Amerikaner. Aber es ist bei Wahlen üblich, die | |
Mächtigen abzustrafen, wenn die Wirtschaft nicht läuft. | |
Obama wurde in den Himmel gehoben. Spielt auch das eine Rolle für die | |
Niederlage? | |
Mit ihm war es so, wie wenn man sich verliebt: Zuerst wähnst du dich im | |
großen Glück, bekommst die ganze Welt versprochen, und dann erkennst du | |
irgendwann, dass die Frau doch nicht so großartig ist, wie du dachtest. | |
Welche praktischen Folgen hat nun der Wahlausgang? | |
Die vielen republikanischen Gouverneure, die es jetzt gibt, werden ein | |
großes Problem für Obamas Wiederwahl 2012 sein. Und es könnte sein, dass | |
das schlechte Ergebnis dazu führt, dass er einen Herausforderer aus den | |
Reihen der Demokraten haben wird und damit seine Nominierung als Kandidat | |
schon gefährdet ist. | |
Wäre es da nicht besser, wenn Obama nach einer Amtszeit aufhört? | |
Er hat das ja selbst gesagt. Obama wolle als Präsident die Chancen | |
ergreifen, beispielsweise die Gesundheitsreform durchzusetzen. Er meinte | |
das vielleicht nicht ganz ernst. Doch die Reform hat er durchgekriegt. Das | |
einzige Problem dabei ist, dass sie den meisten Amerikanern nicht gefällt. | |
Erwarten Sie, dass die Reform wieder zurückgedreht wird? | |
Die Einführung dauert immerhin noch zwei weitere Jahre. Und die | |
Versicherungsgesellschaften machen sich bereit und erhöhen jetzt schon die | |
Beiträge. Mit einer republikanischen Mehrheit im Kongress wird es nun | |
vermutlich recht ungemütlich werden. | |
Die Angst vor dem drohenden Sozialismus wird angefacht? | |
Die Leute hier fürchten sich seit jeher vor einem staatlichen | |
Gesundheitssystem. Sie hassten die Idee bislang so sehr, dass es niemals | |
eingeführt werden konnte | |
Obama gilt ja als brillanter Redner. Aber hat er nicht auch ein | |
Vermittlungsproblem? | |
Obama ist ein lausiger Kommunikator. 2008 hatte er die beste Wahlkampagne, | |
die ich je gesehen habe, und ich berichte seit 40 Jahren darüber. Aber | |
jetzt ist er von der Bildfläche verschwunden, man sieht ihn nicht mehr, er | |
inspiriert nicht. Wenn während der BP-Ölkatastrophe Bill Clinton Präsident | |
gewesen wäre, wäre er runtergefahren und hätte in einem McDonalds in New | |
Orleans mit den Menschen Cheeseburger gegessen. Sogar George Bush ist jetzt | |
beliebter. Wissen Sie, wenn Sie den Menschen die ganze Welt versprechen und | |
sie ihnen dann nicht geben, dann werden sie wütend. | |
Hat der amerikanische Präsident also doch zu viel "Change" von der | |
Bevölkerung abverlangt? | |
Allen Menschen ist ein sicherer Job das wichtigste. Egal ob in Deutschland | |
oder in China. Wir haben derzeit 10 Prozent Arbeitslosigkeit. In vielen | |
Gegenden, wie in Michigan, kommen die verlorenen Jobs einfach nicht wieder, | |
das macht die Leute richtig ärgerlich. Wenn sie in den kommenden Jahren auf | |
4 Prozent sinkt, wird er ganz schnell wiedergewählt, wenn sie sich | |
verdoppelt, nicht. | |
Hat Obama während der Finanzkrise Fehler gemacht? | |
Die Banken hatten Probleme mit den Hypotheken, und alles, was der Präsident | |
hätte tun müssen, wäre einen Zahlungsstopp einzuführen und nicht die Leute | |
aus ihren Häusern zu schmeißen. Stattdessen hat Obama zu den Banken | |
gehalten. Das ist unglaublich. Das wäre auch ein perfektes Wahlkampfthema | |
gewesen. Es ist seltsam, dass gerade der ehemalige Sozialarbeiter so sehr | |
den Kontakt zu den Menschen verliert und stattdessen auf Seiten der Banken | |
steht. Die bisherigen Präsidenten waren wohlhabend, einige Multimillionäre. | |
Und jetzt haben wir jemanden, der aus einfachen Verhältnissen kommt, und er | |
zeigt keine Empathie, kein Mitgefühl. | |
Auch ein strategischer Fehler? | |
Auch wenn ich eine staatliche Gesundheitsversorgung befürworte, war der | |
Zeitpunkt, diese durchzufechten, schlicht falsch. Wir standen an der Kippe. | |
Wir hatten fast eine wirtschaftliche Depression. Da haben sich alle | |
gefragt, wovon redet der eigentlich. | |
Befürchten Sie nun eine weitere Radikalisierung? | |
Oh ja. Wir haben solche Leute wie die Erzkonservativen der Tea Party seit | |
Ewigkeiten nicht mehr gesehen, und jetzt sind sie offiziell gewählte | |
Abgeordnete. | |
Aber vielleicht diskreditieren sie sich selbst, wenn sie einmal im Kongress | |
sind. | |
Ich glaube, die Polarisierung wird voranschreiten, wir werden mehr und mehr | |
wie Europa, wo es sehr linke und sehr rechte Flügel gibt. Dieses Land | |
funktionierte immer damit, dass die Politik mehr auf das Zentrum | |
ausgerichtet war. Und ich glaube nicht, dass Obama die politischen Skills | |
hat, mit dem Kongress zusammenzuarbeiten und es besser zu machen. Zudem hat | |
er gute Leute verloren, wie seinen Bürochef, der nach Chicago zurückging. | |
Dieser Wahlverlust hat historische Züge. Dies war ein Referendum über | |
Obama. | |
Sie erwähnen Europa. Es wirkt so, als wäre sein Interesse an der | |
Europäischen Union ziemlich geschrumpft. Stimmt das? | |
Sein Fokus liegt auf Asien. Da fährt er auch nächste Woche hin. Er ist auf | |
Hawaii und in Indonesien aufgewachsen. Europa ist nicht sein Fokus. Bush | |
war derjenige, der Brüssel besuchte. Er sprach mit den wichtigen Leuten | |
dort. Es liegt zum Teil auch an der EU selber, sie hat Leute zu Diplomaten | |
und Außenminister gemacht, von denen niemand jemals was gehört hat. Es | |
liegt an beiden Seiten. | |
Wer, glauben Sie, wird im Januar 2013 das Amt des US-Präsidenten einnehmen? | |
Das ist schwer zu sagen. Wenn die Arbeitslosigkeit nicht sinkt, wird Obama | |
es sehr schwer haben. Noch ist niemand auf der republikanischen Seite zu | |
sichten, der eine ernsthafte Gefahr darstellen würde. Sarah Palin wird es | |
nicht sein, Mitt Romney auch nicht. Aber es gibt andere, die jetzt groß | |
werden. Frauen, wie Nikki Haley etwa. Trotzdem gilt: Es ist immer schwer, | |
einen amtierenden Präsidenten zu schlagen. | |
3 Nov 2010 | |
## AUTOREN | |
Frauke Böger | |
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