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# taz.de -- Die taz unterwegs im Wendland: Mein Castor
> Aufblasbare Tierchen, fast-tödliche Hirsche, Azteken-Kakao und
> Schienenblockaden: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der taz über ihr
> schönstes Castorerlebnis. Oder über ihr hässlichstes.
Bild: Seifenblasen in der Straßenblockade zwischen dem Dorf Gorleben und dem Z…
Sonntagmorgen auf den Schienen bei Harlingen. Sitzblockade. Auf den Gleisen
sitzt ein Pärchen. Die beiden sind über sechzig und um Deeskalation bemüht.
Sie befragen den Polizisten, der vor der Sitzblockade steht. Besonders die
Frau gibt sich Mühe. Nach fünf Minuten hat sie herausbekommen, dass der
Beamte aus Sachsen kommt und irgendwie ja auch gegen Atomkraft ist, sich
aber Sorgen macht, wenn der Castor wegen der Blockade so lange in der
Landschaft steht und alles verstrahlt. Er mache eben nur seinen Job.
Die Demonstrantin sagt: "Aber man kann seinen Job so oder so machen, das
ist wie als Kassiererin im Supermarkt." Der Polizist schaut zu seinem
Kollegen nach rechts. "Man kann freundlich sein und grüßen und danke
sagen", sagt die Frau. "Oder die Leute anblaffen." Als sie ihn überreden
will, von dem Kitkat, das er gerade ausgepackt hat, auf
Fairtrade-Süßigkeiten umzusteigen, sagt der Polizist nichts mehr. LUISE
STROTHMANN
Bahnhof Berg. Südblockade am Samstag. 12.30 Uhr. Es ist kalt und nass. Es
herrscht Windstärke 12 (gefühlt). Egalité pur: Es frieren die
Demonstranten, die Polizisten, die Journalisten. Dann kommt ER und schwingt
die Alarmglocke: Der fetteste Bäcker der Südpfalz. Der ein Näschen fürs
dicke Geschäft hat. In seinem Van stapeln sich Hörnchen, Brötchen und
Brezeln. Hunderte stürzen sich darauf. Gerettet auch ich: Ein
Schokostückchen und zwei Brezeln erbeutet. Eine Brezel biete ich einer leer
ausgegangenen schönen Polizistin an. Sie blickt mich bitterböse an und
beißt mir dann fast in die Hand. KLAUS-PETER KLINGELSCHMITT
Mit Luftmatratzen und aufblasbaren Tierchen, mit Bauhandschuhen und
Schutzbrillen, in Overalls, ausgestopft mit Stroh oder Schaumstoff, ziehen
hunderte Atomkraftgegner am Sonntagmorgen durch Wälder und Wiesen. So sehen
also Schotterer aus. Am Ziel angekommen, wühlen die einen Steine aus dem
Gleisbett, während die Umpolsterten Knüppel einstecken, um die Polizisten
fernzuhalten. Stoppen können die Schotterer den Castor nicht. Aber sie
zeigen: Protest ist nicht mehr nur Lichterkette. Das ist Wendland 2010:
entschlossener Ungehorsam – wütend, friedlich. KONRAD LITSCHKO
Hunderte Castorgegner, von Schlagstöcken und Pfefferspray lädiert, ziehen
nach einem Scharmützel zwischen Schotterern und Polizisten über einen
Waldweg ab, an dem ein Wasserwerfer parkt. An dessen Windschutzscheibe ist
ein Buch platziert: "Unter Linken" vom Spiegel-Redakteur Jan Fleischhauer,
eine bitterböse Abrechnung mit dem linken Milieu. Nun beobachteten die
Polizisten zufrieden, wie immer Demonstranten irritiert stehen bleiben.
Doch, auch Polizisten können kreativ sein. CHRISTIAN JAKOB
Ich konnte dem Tod knapp von der Schippe springen. Schuld an meinem
Beinahe-Ableben ist der Castor. Besser gesagt, die Polizei, die sich in den
Wäldern um Gorleben einnistete, als wolle sie dort ihr Hauptquartier
errichten. Das machte das Wild verrückt. Rehe und Hirsche wussten nicht
mehr, wohin sie fliehen sollten. Bis ich kam. Fünfmal rannten mir Hirsche
und Rehe vors Auto. Am Ende fuhr ich 20 und war nachts um drei im Quartier.
SIMONE SCHMOLLACK
Bahnkilometer 188, westlich von Harlingen, in der Nacht von Sonntag zu
Montag. Die Luft ist eisig, auf den Feldern liegt Raureif. Der Weg zum
Gleis scheint endlos. In diesem einsamen Wald, bei dieser Kälte sollen
3.000 Menschen auf der Schiene sitzen? Kaum vorstellbar. Aber wahr. Die
Menschen sind da. Dicht an dicht sitzen und liegen sie auf und neben dem
Gleis, das in einer fünf Meter tiefen Schlucht liegt. Und: keine Spur von
Tortur. Stattdessen Decken und Stroh. Suppe, Schokolade und Tee.
Lagerfeuer, Gitarrenmusik und Gespräche. Und, anders als beim
Campingurlaub, noch das Gefühl, das Richtige zu tun. MALTE KREUTZFELDT
Laase. Letzter Ort vor dem Zwischenlager. Als der Atommüll vorbeikommt und
keine Chance mehr bleibt, ihn aufzuhalten, da stehen die Menschen in ihren
Feldern und weinen. Und als es vorbei ist, spielen sie ein Lied: "Always
look on the bright side of life." Laase, das Synonym einer Demütigung:
17.000 Polizisten tagelang im Einsatz gegen das Gefühl des Einzelnen, etwas
ausrichten zu können. Es sind jene letzten Minuten, die mich bedrücken und
mir das Gefühl geben: Am Ende gewinnt doch der Stärkere. FELIX DACHSEL
Kalt ist es. Kaum Wind, der Wald schützt. Die mit Rauch gefüllte
Riesenseifenblase steigt ruhig in den sternenklaren Himmel. Immer wieder
blitzt sie durch die Partyscheinwerfer. Die Menge staunt, klatscht, jubelt.
Zu Balkanbeats und Techno hab ich die letzten paar Stunden mit Mitgliedern
meiner Bezugsgruppe Linden 22 am Musikwagen getanzt. Als die Party vorbei
ist, um 22.30 Uhr, wollen wir noch nicht schlafen.
Doch wer nachts in der Blockade nicht schläft, friert. Nur an den
Feuertonnen – fünf Tonnen hat die Polizei auf der Straße zwischen dem Dorf
Gorleben und dem Zwischenlager genehmigt – lässt es sich aushalten. Sogar
ohne Jacke. Sogar ohne Pulli, als die Flammen kurz aufflackern. Pizza
hatten wir schon, Waffeln auch und die Gemüse-Flatrate sowieso. Der
kulinarische Höhepunkt dann an der Tonne: "Kakao wie bei den Azteken", sagt
einer, was aber nicht stimmt. Die Azteken hatten doch keinen
Schoko-Nuss-Harmonie-Kakao aus selbst gemachter Sojamilch. Deswegen: Kakao
– noch besser als bei den Azteken. JULIA SEELIGER
Das Beeindruckendste an diesem Wochenende ist, wie müde die Polizei
aussieht. Eines muss ja auch mal raus: Auch wenn viele dieser Beamten im
Göhrder Wald übel, fies und mopsig gegen rund 3.500 weitgehend friedliche
Demonstranten vorgingen und diese mit einigen wenigen Autonomen
verwechselten, war das Gros der Polizei völlig überfordert, überstrapaziert
und oft schlecht organisiert. Nur bemitleidenswerte Statisten in einem
Schauspiel, das andere dirigierten: Da drüben Angela Merkel, hier all diese
Widerständler. Das war so traurig, da hilft nur eins, meine Damen und
Herren Beamten: sabotieren, demonstrieren, mitmarschieren. Aber auf der
richtigen Seite. Und wenn nicht - dann trotzdem mein herzlichstes Beileid.
MARTIN KAUL
9 Nov 2010
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